Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl und die Bedeutung der Christen im Nahen Osten kontinuierlich ab. "Wir haben heute noch zwei Prozent. Das ist eine dramatische Entwicklung," erklärt Matthias Vogt vom Deutschen Verein für das Heilige Land in Köln. Vor 50 Jahren seien es weit über zehn Prozent gewesen und zur Zeit des Ersten Weltkrieges sogar noch etwa 20 Prozent.
Drei Hauptursachen nennt der studierte Islamwissenschaftler für diesen drastischen Rückgang: "Das eine sind Kriege, Terror und Gewalt. Das Zweite ist die wirtschaftliche Situation, die Christen hindert, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und das Dritte ist die fehlende gesellschaftliche Teilhabe. Christen fühlen sich als Bürger zweiter Klasse und suchen daher Perspektiven woanders."
Christen geraten bei Krieg oft zwischen die Fronten
Ähnlich sieht es Kamal Sido, der Nahost-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker: "Wenn staatliche Strukturen zerfallen, wenn Chaos entsteht wie in Syrien, Irak, Libyen oder Jemen, geraten die Christen zwischen die Fronten". Deshalb müsse in Syrien, wo nach dem Sturz von Diktator Assad Islamisten die Herrschaft übernommen haben, die Lage genau beobachtet werden.
Die Zahl der Christen in dem gebeutelten Land ist ohnehin nur noch sehr gering. Waren es vor dem Bürgerkrieg schätzungsweise 1,5 Millionen, so seien inzwischen rund 80 Prozent von ihnen ausgewandert, sagt Matthias Vogt. Im Libanon, wo der Anteil der Christen zur Staatsgründung 1943 noch über 50 Prozent lag, ist er inzwischen auf unter 30 Prozent gesunken. Ähnlich deutlich ist der Schwund im Irak, wo unter Saddam Hussein ebenfalls rund 1,5 Millionen Christen lebten. Inzwischen sind es maximal 300.000 – mit abnehmender Tendenz.
Das Christentum in Israel verändert sich
Im Heiligen Land sind ein bis zwei Prozent der Bevölkerung Christen, sagt Nikodemus Schnabel, Benediktinermönch und Abt der Dormitio-Abtei. Das Kloster liegt mitten in Jerusalem, genau zwischen Israel und Palästina. Die Christen fühlten sich „zwischen allen Stühlen“, so Schnabel. Durch den Krieg gebe es eine starke Polarisierung: "Der echte Israeli ist der Jude, der echte Palästinenser ist der Muslim". Die Christen hätten das Gefühl, eine "Fußnote" zu sein, deren Lebenslage niemanden interessiere.
Wie in anderen Ländern des Orients, nimmt die Zahl der einheimischen Christen auch im Heiligen Ländern immer weiter ab. Gleichzeitig kämen aber Christen aus anderen Ländern dazu, erläutert Nikodemus Schnabel: Gastarbeiter aus Indien, Philippinen oder Sri Lanka, die in Israel auf dem Bau oder in der Pflege arbeiteten und unter prekären Bedingungen lebten. Das Christentum werde sein Gesicht massiv ändern. "Das Christentum im Nahen Osten wird in Zukunft die Religion der Unterprivilegierten, der modernen Sklaven sein".
Das einzige Land, das eine einigermaßen stabile christliche Bevölkerungsgruppe hat, ist Ägypten. Hier liegt ihr Anteil bei geschätzten sechs bis acht Prozent. Besonders schlecht sieht es hingegen in Saudi-Arabien aus, denn hier ist das Praktizieren des christlichen Glaubens in der Öffentlichkeit verboten. So gibt es keine Kirchen, und die Tausenden von christlichen Gastarbeitern aus den Philippinen und Indien müssen – sozusagen verborgen – ihre Gottesdienste in ihren Botschaften feiern. Diese würden zwar von den saudischen Behörden toleriert, sagt Matthias Vogt, doch "man dürfe nicht groß drüber sprechen."