Als die ersten Geflüchteten in Andernach ankamen, taten sich viele Freiwillige zusammen, die helfen wollten. Schnell gründete eine Gruppe Ehrenamtlicher einen Förderverein. Bis heute ist er aktiv. Mit dabei ist Jochen Grade. Er erinnert sich noch gut daran, wie groß die Hilfsbereitschaft am Anfang war, das sei heute anders. "Wir erleben eine aggressive Stimmung, eine aggressivere als wir sie früher erlebt haben, wenn wir zum Beispiel mit unserem Informationsstand in die Öffentlichkeit gehen und dann kommt es schon mal zu verbalen Entgleisungen", berichtet Grade.
Auch Anna-Nicole Heinrich, Präses des Kirchenparlaments der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD, beklagt, die Diskussion drehe sich aus politischem Kalkül zu sehr um Abschottung und Ausgrenzung. "Der heiße Wahlkampf wird die Temperatur auch bei diesem Thema massiv hochdrehen", befürchtet sie. Heinrich betonte während der Synode der EKD im November, die evangelische Kirche werde sich auch zukünftig für den Schutz von Geflüchteten engagieren.
Geflüchtete in den Mühlen des Wahlkampfs?
Im Interview mit SWR1 äußert der Beauftragte der EKD für Flüchtlingsfragen Bischof Christian Stäblein die Sorge, dass im Wahlkampf verschiedene Gruppen, die Bedürftigkeit haben, gegeneinander ausgespielt werden könnten. "Das macht unsere Gesellschaft dann nicht menschlich, sondern unmenschlich."
Stäblein warnt vor Begriffen wie "Massenschwemme", "Zuströme" oder "Überflutungen" oder Ähnlichem. "Wenn das gewissermaßen in Naturereignis-Metaphern bedrohlicher Art übersetzt wird, dann ist das immer zu Ungunsten und zum Leid der konkreten Menschen, die zunächst einmal ja Hilfe brauchen."
Stäblein: Diskussion um Geflüchtete erschreckt
Bischof Stäblein zeigt sich erschrocken über eine Diskussion, in der es darum gehe, die Bedingungen für Flüchtlinge zu verschlechtern. Was man im Einzelnen diskutieren könne, wie die Bezahlkarte und vieles andere, "das kommt in der Summe dann doch so in eine Gefühlslage, die ich als einen Wettbewerb nach unten in den Bedingungen empfinde." Dies sei ein großes Problem für die gesamte Stimmung und für die Gesellschaft, "als eine offene und zunächst einmal durch und durch, von den Menschenrechten und von der Würde eines jeden Einzelnen geprägten Gesellschaft."
Menschen schneller in Arbeit bringen
Geflüchtete sollten möglichst schnell in Arbeit kommen und Möglichkeiten haben gestalterisch mitzuwirken, sagt Bischof Stäblein. Überall wo das geschehe, seien die Konflikte und Probleme längst nicht so groß, wie manchmal behauptet werde. In diesem Punkt habe sich bei den Menschen aus der Ukraine in den letzten zwei Jahren viel bewegt, lobt Stäblein. Es sei zum Beispiel zum Glück gelungen, Regelungen zu schaffen, damit diese Menschen schneller tatsächlich auch mitarbeiten könnten.
Kaum neue Mitglieder in der Flüchtlingshilfe Andernach
Der Förderverein Flüchtlingshilfe Andernach unterstützt in vielen Bereichen und hilft den Menschen sich zu integrieren. 95 Mitglieder sind bei dem Verein dabei, es sei aber schwieriger geworden Freiwillige zu motivieren, sagt Grade. "Wir können kaum noch neue Mitglieder für uns begeistern. Wenn wir Menschen ansprechen, dass sie sich für einzelne Projekte oder andere Aufgaben engagieren sollten, dann finden wir eigentlich grobes Desinteresse.“
Positive Erfahrungen in der Pellenz
Der Flüchtlingshelfer sieht mehrere Gründe für dieses Desinteresse. Ein Problem: In Andernach sind die meisten Flüchtlinge in Sammelunterkünften untergebracht – ganz anders als in ländlichen Regionen wie der Eifel, etwa in der Pellenz. Dort engagiert sich Anje Kressmann in der Flüchtlingshilfe. Sie macht ganz andere Erfahrungen: "Wir haben gute Voraussetzungen: Wir konnten die Geflüchteten bisher alle in Einzelwohnungen unterbringen, wir haben keine Sammelunterkünfte. Probleme Helferinnen und Helfer zu finden, habe der Verein nicht.