Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hat vor kurzem entschieden, dass für Zivilpersonen in Syrien "keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mehr besteht". Bedeutet das Urteil jetzt, dass geflüchtete Menschen keinen Schutzstatus mehr erhalten und nach Syrien zurückgeführt werden könnten?
Kein subsidiärer Schutz
Der Kläger in dem Verfahren war vor seiner Einreise nach Deutschland in Österreich zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil er an der Schleusung von Menschen aus der Türkei nach Europa beteiligt gewesen war. Mit der Verurteilung hat der Syrer aus Sicht der Richter keinen Anspruch auf den subsidiären Schutz. Außerdem drohe ihm in Syrien keine politische Verfolgung. Nach Angaben des Gerichts ist der Kläger kurdischer Herkunft. Er stammt aus der Provinz Hasaka, die unter der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien steht. In dieser Region könne der syrische Staat weder Männer zum Militärdienst einziehen noch Strafen durchsetzen, so das OVG.
Syrien - die Lage ist unverändert schlecht
"Die Menschenrechtssituation in Syrien hat sich leider nicht verbessert", sagt Jürgen Blechinger, Migrationsexperte bei der Diakonie in Karlsruhe. Für ihn steht das Urteil des OVG Münster in krassem Widerspruch zu den Gefährdungsentscheidungen namhafter Institutionen, insbesondere der Europäischen Asylagentur, des Auswärtigen Amts oder auch von Human Rights Watch. Blechinger schätzt Syrien nach wie vor als Risikostaat ein. Viele Menschen seien verhaftet und gefoltert worden und hätten schwere Menschenrechtsverletzungen erlitten. Dass das OVG Münster zu dem Ergebnis gekommen ist, in Syrien "drohe keine individuelle Gefährdung, nachdem die Gefährdungslage in allen Provinzen nach wie vor sehr hoch ist - das ist nicht nachvollziehbar", kritisiert Blechinger.
Es könnte zu Abschiebungen kommen
Für Blechinger ist es jetzt wichtig, wie sich die Rechtsprechung des OVG Münster weiterentwickelt und wie andere Gerichte entscheiden. Um den subsidiären Schutz zu erhalten, müssten Flüchtlinge dann immer eine individuelle, besondere Gefährdungslage glaubhaft machen. "Es würde dann auch Ablehnungen geben. Es würde auch Rückführungen geben. Also Menschen könnten dann nach Syrien abgeschoben werden", sagt Blechinger. Ein weiteres Problem könnte sein, dass möglicherweise auch das Bundesamt für Flüchtlinge (BAMF), subsidiäre Schutzentscheidungen widerruft, so der Migrationsexperte. "Das betrifft allerdings jetzt keine Personen, die inzwischen einen verfestigten Aufenthaltsstatus haben. Aber es würde sehr viel Unruhe in die Flüchtlingscommunity bringen", fügt Blechinger hinzu.
Kein Schutzstatus für Straffällige
Nach dem aktuellen Flüchtlingsrecht in der EU und nach der Genfer Flüchtlingskonvention, sind Personen, die schwere nicht-politische Straftaten begangen haben, von der Flüchtlingseigenschaft aber auch vom subsidiären Schutz ausgeschlossen, erklärt Blechinger. „Das ist auch völlig legitim und nachvollziehbar, dass diese Personen keinen Schutzstatus bekommen. Und interessant war jetzt bei der Entscheidung vom OVG Münster, dass es hier um einen Straftäter ging, der sowieso von der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzeigenschaft ausgeschlossen war.“, sagt Blechinger.
Konsequenzen aus dem Urteil
Für Blechinger werden Abschiebungen im großen Stil nach Syrien gar nicht funktionieren. Deutschland müsste dazu mit dem syrischen Staat kooperieren. "Und dann haben wir die Menschen in Duldungsstatus gebracht, mit viel weniger Rechten. Die Menschen hängen dann zwischen Abschiebung und vielleicht doch bleiben können", sagt der Migrationsexperte. Fatal sei der Glaube, "wir könnten bei hochgradig gefährdeten Menschen die Flüchtlingszahlen dadurch reduzieren, indem wir sie schutzlos stellen", so der Flüchtlingsexperte der Diakonie Baden, Jürgen Blechinger.