Sie kamen, um ihrem Schöpfer nah zu sein. Doch ausgerechnet diese spirituelle Reise sollte für viele tödlich enden. Tausende muslimische Pilger verstarben in den vergangenen Tagen während der Wallfahrt, dem sogenannten Hadsch, in Mekka aufgrund der Hitze. Der Hadsch ist eine der fünf Säulen im Islam und somit verpflichtend für jede muslimische Person, die gesundheitlich und finanziell in der Lage dazu ist. Jedes Jahr pilgern Millionen von Menschen während des zwölften Monats (dem "Dhul-Hidscha") im islamischen Mondkalender dorthin und erhalten anschließend den Ehrentitel "Hadschi" oder "Hadscha". Den Höhepunkt des Hadsch bildet das muslimische Opferfest.
Muslime glauben und hoffen, dass ihre Sünden nach dem Hadsch vergeben werden. Sie gehen dabei oft innerlich gestärkt nach Hause. "Die Kaaba ist das Haus Gottes für die Muslime. Das ist eine innere und spirituelle Reinigung, ein Ritual von höchster Bedeutung", sagt der Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi von der Universität Münster im Gespräch mit dem SWR.
Mekka ist als Geburtsort des Propheten Mohammed die heiligste Stadt im Islam und ein Sehnsuchtsort. Vom 14. Bis 19. Juni reisten in diesem Jahr circa 1,8 Millionen Muslime aus aller Welt zur Pilgerstätte in Saudi-Arabien. Immer wieder kommt es dort aber zu Unglücken wie beispielsweise Massenpanik, Feuer, oder Hitzetod.
Tausende Hitzetote bei muslimischer Wallfahrt in Mekka
Nach offiziellen Angaben sind vor wenigen Wochen mehr als 1.300 Menschen bei Temperaturen von mehr als 50 Grad Celsius ums Leben gekommen. Das Gastgeberland Saudi-Arabien, in dem sich der heilige Wallfahrtsort befindet, gerät nun in Erklärungsnot. In vielerlei Hinsicht.
Der Hadsch ist zwar im muslimischen Glauben eine zentrale Pflicht, für viele Menschen aber finanziell kaum zu stemmen. Zum Vergleich: Ein Pilger aus Deutschland zahlt schon mal 5.000 bis 10.000 Euro für Unterkunft, Betreuung, Programm, Visum, etc. Dabei gibt es verschiedene Reiseveranstalter für verschiedene Hadsch-Kategorien – je nach Budget bis zu einem Fünf-Sterne-Hadsch.
Offenbar reisten in diesem Jahr viele Menschen initiativ mit einem Touristenvisum nach Mekka, statt wie üblich beim Hadsch mit einem registrierten Pilgervisum. Letzteres ist aber notwendig. Nur wer offiziell als Pilger nach Saudi-Arabien einreist, dem steht auch die Hadsch-Infrastruktur, wie beispielsweise klimatisierte Reisebusse, zur Verfügung.
Dass die Wallfahrtstätte derart der Obrigkeit der Saudis unterliegt, sorgt immer öfter für Kritik. Schließlich ist die muslimische Pilgerreise ein bedeutender Wirtschaftssektor des Landes, mit Umsätzen von zwölf Milliarden Dollar jährlich. Auch bestimmt das Königreich anhand von Kontingenten wie viele Menschen pro Jahr aus verschiedenen Ländern zum Hadsch einreisen dürfen.
Viele Muslime warten jahrelang um Pilgern zu dürfen
Viele Muslime warten jahrelang, bis sie mit ihrem Hadsch an der Reihe sind. In der Türkei sei es beispielsweise oft der Fall, "dass Menschen zehn Jahre, fünfzehn Jahre warten, weil sie in einem Losverfahren zum Hadsch zugelassen werden", erklärt Olcay Miyanyedi im Gespräch mit SWR1. Wem dann das Glück zuteilwird, einmal den Hadsch zu erleben, nimmt dann oftmals die vielen Strapazen auf dem Weg dorthin in Kauf.
Olcay Miyanyedi hat den Hadsch absolviert. Er erklärt sich die Bereitschaft vieler Muslime, trotz aller Widrigkeiten zu pilgern theologisch: "Wer im Streben nach dem Glauben oder den Glaubenssätzen sein Leben verliert, stirbt als Märtyrer."
Islamwissenschaftler Karimi plädiert für einen Boykott der Wallfahrt unter den momentanen Bedingungen. "So zu tun, als wäre die Wallfahrt in einem Vakuum, jenseits von der Regierung und von dieser Gesellschaft, die die heiligen Orte des Islams für sich in Anspruch genommen hat", findet er aus religiösen Gründen falsch. Es gehe ihm nicht darum, gegen die Pilgerfahrt an sich zu plädieren, sagt der Professor, sondern gegen das autoritäre System Saudi-Arabiens mit seinem starren und überkommenen Vorstellungen des wahhabitischen bzw. salafistischen Islam. "Ich muss nach Saudi-Arabien, muss in diese Gesellschaft hinein, die gerade all das im Griff hat und eine unendlich destruktive religiöse Politik verfolgt und überhaupt Religiosität in einer Art und Weise entfaltet, die mir zuwider ist."
Druck auf saudische Organisatoren nimmt zu
Der Druck auf Organisatoren in Saudi-Arabien erhöhe sich zwar aktuell auch in sozialen Netzwerken. Karimi hat jedoch "nicht wirklich, den Eindruck", dass sich dadurch etwas an den Zuständen verändert. "Das Problem ist, dass es eine Pflichthandlung im Glauben darstellt. Selbst wenn ich wüsste, dass es gefährlich ist, würde ich ja trotzdem nicht darauf verzichten. Und das ist die Karte die sie (Saudi-Arabien) spielen. Das heißt, sie müssen sich überhaupt nicht ändern, weil sie wissen alle Muslime auf dieser Welt werden immer die Sehnsucht haben, die Wallfahrt zu vollziehen." Problematisch findet Karimi die wahhabitische bzw. salafistische Ideologie der Saudis, die "menschenverachtend, sexistisch, antisemitisch und nicht pluralistisch" sei. Er sieht sie als nicht vereinbar mit der Ideologie, die die Mehrheit der Muslime vertritt.
Karimi betont, es gehe nicht darum, den Hadsch anders zu gestalten, sondern die heiligen Orte im Islam zu emanzipieren und sich gegen die Macht des Königreichs zu stellen. Man könne als Muslime nicht die Augen davor verschließen.