SWR1 Sonntagmorgen

Ethische Grenzen des Protests

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Autor/in
Utku Pazarkaya
Porträt Utku Pazarkaya

Traktorkolonnen protestierender Landwirte und Klimaaktivisten – Kundgebungen schützt das Grundgesetz. Sie sind ein hohes Gut der Demokratie. Doch auch hier gibt es Grenzen.

Protestierende dürfen nicht versuchen, den demokratischen Rechtsstaat aus den Angeln zu heben und sie müssen gewaltfrei sein, erklärt Andreas Lob-Hüdepohl, Theologe und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Es dürfe also keine zerstörerische und beschädigende Gewalt geben und keine verletzende Gewalt gegen Personen.

Galgen als Symbol einer Hinrichtung

Auch einschüchternde Drohkulissen oder gar symbolische Galgen auf Kundgebungen überschreiten eine Grenze. Prof. Lob-Hüdepohl: "Der Galgen ist ein Symbol für Hinrichtung, und wer einen Galgen als Symbol für die Hinrichtung von einer Ampel und damit von Personen vor sich her trägt oder zeigt, ruft auf zur physischen Gewalt mit Todesfolge, vielleicht sogar im Sinne einer Lynchjustiz. Und das ist absolut, fundamental auszuschließen und muss unterschieden werden von einem legitimen, moralischen Protest."

Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktorkolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten.

Blockierte Straßen durch Proteste

Solange Klima-Aktivisten und protestierende Bauern Wege für die Rettungswagen offen lassen, sieht der Theologe kein großes Problem in ihren Protesten. "Wenn Klima-Protestler oder auch Bauern mit ihren Traktoren unmittelbar die Anfahrtswege oder Zufahrtswege zu einer Klinik blockieren würden, dann wäre das natürlich unmittelbar gefährlich und das wäre natürlich in jedem Fall auszuschließen."

Aktivisten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation sitzen bei einer Straßenblockade mit Schildern mit aufgemalten Traktoren auf der Straße. Aktivisten nehmen damit Bezug auf die Aktionswoche der Landwirte.
Aktivisten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation sitzen bei einer Straßenblockade mit Schildern mit aufgemalten Traktoren auf der Straße. Aktivisten nehmen damit Bezug auf die Aktionswoche der Landwirte.

Radikale Trittbrettfahrer nicht hinnehmen

Lob-Hüdepohl sieht bei den Organisatoren von Kundgebungen eine besondere Verantwortung dafür, dass diese Proteste nicht eskalieren oder von radikalen Trittbrettfahrern gekapert werden. "Im Zweifelsfalle müssten sie eine solche Protestaktionen absagen oder abbrechen", fordert er.

Für den Theologen wäre es daher ein starkes Zeichen gewesen, wenn der regionale Bauernverband in Schleswig-Holstein bewusst auf eine Demonstration vor dem Wahlkreisbüro von Vizekanzler Robert Habeck verzichtet hätte. "Nicht weil das illegitim wäre - das ist völlig legitim, aber um ein Zeichen zu setzen, dass es ab einem bestimmten Punkt zu weit geht."

Landwirte mit Traktoren und Lkws stehen im Umfeld des Fähranlegers. Wütende Bauern hinderten Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre.
Wütende Bauern hinderten Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre. (Foto: picture alliance/dpa/Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag | Hagen Wohlfahrt)

"Das ist mehr als bloße Demonstration"

Zuvor war es bei der Rückkehr von Vizekanzler Habeck von einer privaten Reise an einer Fähranlegestelle zu bedrohlich wirkenden Protesten gekommen. "Wenn es also tatsächlich um die Androhung einer körperlichen Gewalt geht und darum eine Anlandung zu verhindern und das mit Feuerwerkskörpern vielleicht auch zu flankieren - das ist mehr als bloße Demonstration", sagt Lob-Hüdepohl. "Das ist tatsächlich schon auch physische Gewaltandrohung."

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