Das Interview in voller Länge hören Sie im SWR1 Leute Podcast.
SWR1: Ist die Angst vor künstlicher Intelligenz berechtigt?
Kenza Ait Si Abbou: Die Angst vor der künstlichen Intelligenz ist da. Aus meiner Sicht kommt diese Angst aus den Science-Fiction Filmen. Wenn man schaut, was beim "Terminator" passiert oder bei "I, Robot". Es sind immer die Maschinen, die sich gegen die Menschen drehen und dann die Weltmacht übernehmen und böse werden. Es gibt kaum einen Science-Fiction Film, wo eine Maschine gut ist und der Film gut endet. Und das sind die ersten Berührungspunkte, die wir mit KI hatten.
Der zweite Aspekt ist tatsächlich auch, dass viele noch nicht verstehen, wie künstliche Intelligenz funktioniert. Es ist ja so: alles was wir nicht verstehen, davor haben wir Angst. Aber im Grunde ist künstliche Intelligenz nur ein Computer, der Rechnungen durchführt. Es geht um Statistik, es geht um Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, es geht um Mustererkennung in vielen Daten. Und mit den Ergebnissen kann man natürlich etwas machen, was nach außen wie Intelligenz aussieht.
Anwendungsbereiche im Gesundheitswesen
SWR1: Wie funktioniert emotionale künstliche Intelligenz, die Thema Ihres Buches "Menschenversteher" ist?
Abbou: Emotionale KI ist ein Forschungsfeld, das sich damit auseinandersetzt, Emotionen bei den Menschen zu erkennen. dazu gehören Mimik, Augenbewegungen, Tonhöhe, Wortwahl. Dann gibt es biometrische Daten: Temperatur, Herzfrequenz, Leitfähigkeit der Haut. Unsere Gesichtsmuskeln bewegen sich ständig, um bestimmte Emotionen nach außen zu transportieren. Und diese Muskelbewegungen wurden von Wissenschaftlern kategorisiert. Viele Gesichtsbewegungen sind sogenannte Mikro-Bewegungen, die in einem Bruchteil von Sekunden passieren, und in der Regel die echte Emotion zeigen, bevor wir dann unsere Gesichtsmuskulatur mit Absicht verändern... Das passiert in Mikrosekunden, so dass ein ungeübtes Auge das gar nicht sehen kann, aber eine hochauflösende Kamera wohl. Das ist so der kleine Unterschied.
Man muss dazu sagen, dass es auch Kritik gibt an dieser Kategorisierung der Gesichtsmuskulatur, weil man sich das Leben viel zu einfach gemacht hat. Verschiedene Kulturen drücken bestimmte Emotionen anders aus. Deswegen wird diese Methode auch kritisiert. Auch, dass die Tech-Hersteller das sofort übernommen haben und Maschinen bauen, die behaupten, menschliche Emotionen viel besser erkennen zu können als Menschen.
Früherkennung von Krankheiten
SWR1: Kann künstliche Intelligenz helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen?
Abbou: Ja, absolut. Es gibt viele Forschungsrichtungen für die Frühdiagnose von bestimmten Krankheiten, beispielsweise bei Brustkrebs oder Gehirntumoren. Wenn man Maschinen Millionen Mammographien zeigt oder Röntgenbilder, dann wird die Maschine schon lernen, einen Tumor mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu erkennen. Ähnlich passiert es auch mit der emotionalen Künstlichen Intelligenz, die dabei helfen kann, bestimmte psychische Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Denn viele führen dazu, dass unsere Gesichtsmimik sich verändert mit der Zeit.
In den USA setzen Ärzte es für Parkinson und Depressionen ein. Es braucht eine Begleitung über einen längeren Zeitraum, weil ein Gesicht über einen längeren Zeitraum analysiert werden muss. Dann kann man das auch frühzeitig erkennen.
Lieber ein Roboter als gar keine Gesellschaft
SWR1: Wie weit ist künstliche Intelligenz dabei, möglicherweise pflegebedürftigen Menschen in ihrem Alltag zu helfen? Und nehmen die Pflegebedürftigen das an?
Abbou: Auch hier sind wir weiter, als viele Menschen das wahrnehmen. Es gibt viele Einrichtungen, wo Roboter zum Einsatz kommen, die Medikamente verteilen, an Medikamentenaufnahme erinnern. Aber vielmehr geht es auch um Unterhaltung, Spiele, Musik machen. In Pflegeeinrichtungen gibt es fast den größten Einsatz von Robotern. Hier zeigen auch viele Studien oder Interviews mit den Menschen, die in Einrichtungen leben, dass sie Roboter eigentlich ganz angenehm finden. Ein Roboter wird niemals einen Menschen ersetzen, aber teilweise sitzen Pflegebedürftige den ganzen Tag alleine da, und dann sagen sie, okay, dann sagt mir lieber der Roboter "Guten Morgen". Das scheint für die Menschen doch eine Hilfe zu sein, und das ist in meinen Augen das, was, was wichtig ist und nicht das, was andere Menschen, die nicht in der Situation sind, davon halten.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.