Von Kraftwerk zur Stummfilm-Vertonung

Karl Bartos – Der unbekannte Weltstar

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Dave Jörg
Dave Jörg (Foto: S. Waldmannstetter)
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Als deutscher Musiker ein Weltstar zu werden, ist nicht leicht, aber Karl Bartos hat es geschafft. Er war viele Jahre lang Mitglied der Elektronikpioniere Kraftwerk.

Seit seinem Ausstieg Anfang der 90er ist Kart Bartos Solokünstler und hat nun einem deutschen Stummfilm-Klassiker einen neuen Soundtrack verpasst, den er auf seiner aktuellen Tour live vor Publikum spielt.

Karl Bartos und der Stummfilm

SWR1: Du hast den ersten Psychothriller der Filmgeschichte "Das Cabinet des Dr. Caligari" neu vertont. Der Film handelt von einem fiesen Leiter einer Irrenanstalt, der einen Schlafwandler nachts zum Morden losschickt. Wie reagieren die Leute auf die neue Musik und auf diesen über 100 Jahre alten Stummfilm?

Karl Bartos: Es war bei der Premiere schon sehr verwunderlich. Man hörte in den Pausen – der Film hat relativ viele Pausen – meinen Soundtrack. Oder wo ganz leise Geräusche zu hören sind, war es mucksmäuschenstill – nicht ein einziges Wort, kein Gehuste oder irgendetwas. Die Leute waren ziemlich baff.

SWR1: Der Film ist komplett in 4K restauriert und sieht nicht mehr grieselig aus, wie vor 100 Jahren, ohne Flecken oder fehlende Bilder.

Bartos: Das ist das Erstaunliche daran. Und ich bin auch sehr dankbar, dass das Geld zur Verfügung gestellt wurde, den Film zu restaurieren, denn er ist schon ein sehr überzeugendes Dokument aus der Moderne.

SWR1: Warum hast Du Geräusche und so eine Art Stimmen auf den Stummfilm gepackt, wo eigentlich keine sind?

Bartos: Ich habe deshalb Geräusche mit in die erzählende Welt genommen, um die Zuschauer hineinzuziehen. Wenn man das will, muss man diese Welt auch erzählen lassen. Alle Menschen, die dort im Dorf Holstenwall spazieren gehen, sind auch hörbar. Und zwar nicht nur ihre Schritte und die Dinge, die sie berühren, das Lachen, das Murmeln, sogar die Sprache, sondern einfach alles, was dort zu sehen ist, hat einen Klang.

Filmszene. "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920)
Filmszene aus "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920).

SWR1: Was zieht man konkret heute aus diesem Film, der vor so langer Zeit gemacht worden ist?

Bartos: Am Anfang habe ich gedacht, der Film ist eine normale Kriminalstory und der Kommissar – der Hauptdarsteller "Franzis" – ist so eine Art Sherlock Holmes-Figur, der das Verbrechen aufklärt. Er ist auf der Suche nach der Wahrheit.

Aber wenn man sich mehr mit dem Film beschäftigt, ist es nicht so sehr die Wahrheit, die dort angeblich gefunden wird. Es ist das Verschwinden der Wirklichkeit. Und dieses Verschwinden der Grenze, zwischen Fakt und Erzählung oder Erfindung, ist heutzutage unglaublich groß. Wir schauen nach Amerika – eigentlich überall hat man dieses Phänomen.

SWR1: Das heißt, der Film erweckt Sachen, die heute auf Social Media passieren, dass Erfindungen als Fakten dargestellt werden, gelogen wird oder Halbwahrheiten verbreitet werden?

Bartos: Die Grenze zwischen Fakt und Fiktion wird immer durchlässiger, sodass man gar nicht mehr weiß, was jetzt real und was ein Fiebertraum ist. Genau darum geht es beim Opfer "Cesare", einem jungen Mann, 23 Jahre alt. Er ist ein Schlafsüchtiger und ist hypnotisiert, vollbringt Morde und versetzt die Welt damals in Schrecken.

SWR1: Du hast mit Kraftwerk für das Album "Die Mensch-Maschine" Lieder komponiert, inspiriert von "Metropolis", einem anderen Film aus der Weimarer Republik. Ihr habt in Düsseldorf den Film gesehen und dann ist das Interesse für diese alten Filme gekommen, bei euch und bei Dir insbesondere...

Bartos: Ja, natürlich. Die 1970er Jahre hatten kein Internet, man musste sich wirklich zu Fuß informieren und auch diverse Bücher lesen. Das habe ich gemacht. Diese Zeit ist damals schon extrem faszinierend für mich gewesen.

Karl Bartos und Kraftwerk

SWR1: 1977/78 warst Du ziemlich frisch bei Kraftwerk als elektronischer Schlagzeuger und Keyboarder. Du sagst selbst, was für eine unfassbar kreative Zeit das gewesen ist im gemeinsamen Klingklang-Studio in Düsseldorf. Was war von der Stimmung genau das Tolle daran?

Bartos: Das Tolle daran war, dass wir zur selben Zeit jung waren (lacht). Und dass die Musikkultur damals explodierte, das war etwas ganz anderes als heute. Genau das war auch das Momentum im Klingklang-Studio. Da waren vier Autoren, die miteinander lebten und sich auch einigermaßen gern hatten. Aus dieser positiven Grundstimmung, der Jugend, der Zeit und dem Ort, in dem wir alle lebten, nämlich in Düsseldorf, entstand dieser Schmelztiegel der Kreativität.

SWR1: Das war eine richtige WG. Du warst Mitte 20 und ihr habt auch viel privat zusammen unternommen.

Bartos: Wir haben schon zusammengelebt, zusammen gegessen und so weiter. Das hat die Digitalisierung auch ein bisschen auf dem Gewissen, dass jeder zu Hause vor seinem Computer hängt. Man ist zwar miteinander verknüpft, aber man spürt sich nicht mehr.

SWR1: Das war bei euch damals noch ein bisschen anders, da war das mit dem Internet und Homeoffice in weiter Ferne.

Bartos: Das war in weiter Ferne und am Ende der 70er-Jahre hatten wir diese Vision, wie denn die Zukunft mit den Computern aussehen könnte. Heutzutage ist der Computer omnipräsent und die Gegenwart wird mit ihm gestaltet. Die Computerindustrie ist eben so wahnsinnig klug, dass sie es verstanden hat, uns das als das gelobte Land zu verkaufen.

SWR1: Unzählige Interpreten der elektronischen Musik sind direkt von Kraftwerk beeinflusst – OMD, Depeche Mode, Visage oder Human League. Synthie-Pop in den 80ern und später Techno in den 90ern wären ohne Kraftwerk nie entstanden. Wie ist denn das bei Dir persönlich angekommen, dass der Einfluss so gigantisch war?

Bartos: Es geht da um die Haltung, die man einnimmt. Man ist ganz gut beraten, das nicht zu sehr an sich heranzulassen. Neulich hat mir einer gesagt, die Pet Shop Boys haben "Das Model" in London gespielt während ihres Konzertes. Der Song hat über 100 Cover-Versionen, wird ständig gespielt und alle Leute können sich darauf beziehen.

Natürlich ist es schlimmer, wenn man gar nicht wahrgenommen wird. Aber diese unglaubliche Welle, die muss man relativieren, denke ich. Sonst kommt man im Leben überhaupt nicht mehr klar.

SWR1: Ist das Bescheidenheit oder um es besser begreifen zu können?

Bartos: Nein, das ist sowas wie eine vorbeugende Therapie. Aber ich muss sagen, ich erinnere mich wirklich an alles, an die guten Zeiten und die schlechten Zeiten. Ich bereue nichts davon und ich liebe die Musik immer noch.

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