Ob diese Entscheidungen die richtigen sind, um die steigenden Inzidenz-Zahlen in den Griff zu bekommen, darüber haben wir mit dem Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, gesprochen.
SWR1: Sie haben in einem Interview von einer "Tyrannei der Ungeimpften" gesprochen. Ist das die richtige Formulierung bei der im Moment aufgeheizten Stimmung?
Frank Ulrich Montgomery: Natürlich bringt es das auf den Punkt. Was man heute bei uns nicht mehr will, ist aber, dass etwas auf den Punkt gebracht wird. Stattdessen werden die wahren Probleme verwischt.
Wir müssen festhalten: 52 Millionen Menschen sind doppelt geimpft und könnten sehr viel mehr Freiheitsgrade erhalten. Zieht man die Kinder ab, bleiben zwölf bis 15 Millionen Menschen, die sich der Impfung bisher verweigert haben - obwohl wir nun wirklich aufgeklärt haben. Die 52 Millionen müssen machen, was die zwölf bis 15 Millionen wollen. Und da finde ich, kann man ein bisschen mehr den Druck erhöhen, damit diese Menschen sich impfen lassen. Denn die Impfung ist der Schlüssel zur Vermeidung von Lockdowns.
SWR1: Die neue Bundesregierung plant offenbar eine 3G-Regelung am Arbeitsplatz und kostenlose Bürgertests für alle. Reicht das Ihrer Meinung nach aus, oder ist das zu wenig?
Montgomery: Das bringt etwas. In meinen Augen ist es aber wahrscheinlich zu wenig. Wir brauchen eine konsequentere Umsetzung der 2G-Regelung. Ich finde das Wichtigste ist, dass sich die Ampelkoalition dazu bekennt, dass sie selbst wenn die pandemische Notlage durch einen Beschluss des Bundestages aufgehoben wird, mit Hilfe anderer Gesetze eine ähnliche Situation wieder herstellt. Damit gewährleistet ist, dass wir nicht wieder dieses Durcheinander von Regelungen bekommen, wie wir es im letzten Jahr hatten, als jedes Bundesland etwas anderes machte. Das kann nicht sein.
SWR1: Sie halten es für einen Fehler, einen erneuten Lockdown kategorisch auszuschließen. Brauchen wir ihn den vielleicht doch wieder?
Montgomery: Wir haben es selbst in der Hand, wenn sich möglichst viele von uns impfen lassen. Wenn wir darüber hinaus - und das gilt auch für die Geimpften - in Situationen, in denen wir uns anstecken könnten, Maske tragen und Abstandsregelungen einhalten, dann brauchen wir mit Sicherheit keinen erneuten Lockdown. Aber wenn ich Menschen höre, die das Tragen einer Maske als einen Eingriff in die persönlichen Grundrechte begreifen und nicht sehen, dass man damit Leben rettet, dann fasse ich mir an den Kopf.
SWR1: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zeigt sich offen für eine Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen. Was halten Sie davon?
Montgomery: Ich glaube, dass es in meiner Berufsgruppe so etwas wie eine moralische Impfpflicht gibt. Das gilt aber nicht nur für Ärzte und Pflegepersonal, sondern auch für Menschen, die in Krankenhäusern oder Altenheimen, in Küchen und ähnlichem Einrichtungen arbeiten. Wir sind den Patienten gegenüber verpflichtet, alles zu tun, um eine Ansteckung zu vermeiden. Eine rechtliche Impfpflicht scheint in Deutschland extrem schwer umsetzbar. Im Gesundheitswesen und vielleicht auch bei Lehrern und Erziehern gibt es meiner Meinung nach so etwas wie eine moralische Verpflichtung. Damit kann verhindert werden, dass zum Beispiel Erzieher Kinder anstecken, die dann wiederum ihre Großeltern infizieren.
Das Interview führte SWR1 Moderatorin Birgit Steinbusch.