Wiebke Judith von Pro Asyl

Flüchtlingsdiskussion: Kommunen an den Grenzen

Stand
Moderator/in
Hanns Lohmann
Hanns Lohmann

Lässt sich die Zahl der Geflüchteten irgendwie begrenzen? Und wer zahlt eigentlich für die vielen Menschen, die aktuell ins Land kommen? Das sind zentrale Streitpunkte beim sogenannten Flüchtlingsgipfel in Berlin, einem Treffen der Ministerpräsidenten und -präsidentinnen mit Kanzler Scholz.

Wiebke Judith ist rechtspolitische Sprecherin und leitet das Team Recht & Advocacy bei der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Im SWR1 Interview berichtet sie von der Situation der Flüchtlinge in den Kommunen.

SWR1: Wir sehen täglich Bilder von überquellenden Flüchtlingsunterkünften mit Menschen, die allenfalls durch Trennwände ein bisschen Privatsphäre haben. Ist das ein realistisches Bild der Situation der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen? 

Wiebke Judith: Grundsätzlich ist die Situation sehr divers in Deutschland. Wir sehen in manchen Kommunen, dass sie wirklich an ihren Grenzen sind und dass wir nicht überall noch von menschenwürdigen Aufnahmebedingungen sprechen können. Das ist gerade für schutzsuchende Menschen dramatisch, da sie oft mit Traumatisierungen zu uns kommen nach langen, gefahrenvollen Fluchtwegen. Es gibt aber auch andere Kommunen, wo es nicht unbedingt schlecht läuft. Wo alle zusammen anpacken, wo man eben sieht, dass es funktionieren kann. Und wir sehen vor allem bei der Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge, dass es da nochmal ganz anders läuft. Die dürfen direkt auch privat oder bei Familien und Freunden wohnen.

SWR1: Kommt das bei den Flüchtlingen an, dass vielen Kommunen eigentlich schlicht das Geld fehlt?

Judith: Das ist schwierig pauschal zu beantworten. Aber was wir generell aus den letzten Jahren wissen, ist, dass die Lebensumstände in vielen Unterbringungen in Deutschland schon lange sehr belastend sind für die Menschen. Geflüchtete, die in Deutschland ankommen, müssen über Monate, manchmal über Jahre hinweg in großen Sammelunterkünften leben, die jetzt auch sehr voll sind.

Flüchtlingsnotunterkunft in Ludwigshafen in der Wattstraße.
So sehen die Schlafbereiche in der Notunterkunft aus (auf dem Foto fehlen: Matratzen und das Bettzeug).

Dort gibt es wenig Privatsphäre, kaum selbstständiges Leben. Und natürlich macht das etwas mit einem, je länger diese Situation andauert. Die Menschen können sich nicht zurückziehen, die Sicherheit und den Schutz finden, den sie natürlich brauchen - auch um sich auf das Asylverfahren zu konzentrieren.

SWR1: Wie viel Geld gebraucht wird – da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen: 670 Euro monatlich pro Flüchtling meint der Bund. Die Länder sagen "mindestens 1000 Euro". Wer hat aus Ihrer Sicht recht? 

Judith: Für uns ist nicht die Frage, um welchen Euro es hier geht, sondern es muss darum gehen, dass diese Menschen schutz- und menschenwürdig untergebracht werden. Und da wäre es für uns wichtig, dass endlich mal an einem Strang gezogen wird, dass solche Finanzfragen geklärt werden, beigelegt sind und auch nachhaltig geregelt ist. Denn letztlich, was hier oft aus dem Blick gerät, kommen Menschen zu uns, die schutzbedürftig sind, die aus Syrien, aus Afghanistan, der Türkei oder dem Iran geflohen sind. Und diese Menschen haben ein Recht auf Schutz, und den werden sie auch bekommen. Und wir erleben viele Scheindiskussionen, die sich auf andere Aspekte konzentrieren, anstatt hier wirklich zu schauen, wie kriegen wir die Aufnahme vernünftig hin.

SWR1: Es gibt auch Diskussionen um das Thema, wie viele wir überhaupt aufnehmen können? 2015 sagte Angela Merkel den legendären Satz "Wir schaffen das". Heute sind die Zahlen vergleichbar hoch, vielleicht sogar noch höher. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung? Und inwieweit sehen Sie eine Bereitschaft in der Gesellschaft, das tatsächlich im Sinne von "Wir schaffen das" zu stemmen?

Judith: Ich denke, eine Bereitschaft der Gesellschaft hat auch immer viel damit zu tun, was ihr gegenüber kommuniziert wird. Und wenn wir darüber reden, dass Menschen aus gutem Grund nach Deutschland kommen und wir auch eine Rekord-Schutzquote von 72 Prozent haben, schafft das auch die Voraussetzung, dass die Menschen sagen "Na klar müssen wir diesen Menschen helfen und diese Menschen aufnehmen". Wenn wir stattdessen, wie das die Politik aktuell macht, nur von Abschiebungen, Abschottung und von möglichst viel Abwehr reden, dann kreiert man dadurch umso mehr eine Rhetorik und ein Narrativ, dass die Flucht nach Deutschland gestoppt werden muss. Und das wäre wirklich fatal. Denn, wie gesagt, es kommen sehr viele Menschen, die einfach Schutz brauchen.

Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.

Weitere Informationen zu Pro Asyl e.V. finden Sie auf proasyl.de

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