Cornelia Bärsch-Kämmerer ist Gästeführerin in Mainz und bietet besondere Fastnachtsrundgänge an. Kaum jemand kennt sich mit der Geschichte der Mainzer Fastnacht so gut aus wie sie.
SWR1: Der Helauf-Ruf ist so selbstverständlich wie, dass auf Rosenmontag der Fastnachtsdienstag folgt. Wer hat ihn erfunden?
Cornelia Bärsch-Kämmerer: Das wollen die Mainzer nicht so gerne erzählen, aber dieser Helau-Ruf kam von Düsseldorf. Den haben die Prinzengardisten aus Düsseldorf mitgebracht, und zwar erst 1935. Vorher wurde einfach Ho und Hoho, Hallo und Ähnliches gerufen.
SWR1: In der Mainzer Fastnacht fallen überall die Gardisten auf, die wie Soldaten aussehen. Obwohl die Fastnacht eigentlich hoch friedlich ist, oder zumindest sein soll. Woher kommt dieses militärische, und warum sind die Uniformen so unterschiedlich?
Bärsch-Kämmerer: Also die ganze Fastnacht ist eine Parodie auf das Militär, auf die Uniformen der Besatzungsmacht. Nach dem Wiener Kongress 1815 ist Europa neu sortiert worden. Mainz wurde Bundesfestung, das heißt, hier waren ständig preußische und österreichische Soldaten stationiert. (...) Politisch gesehen sagt man, dass das die Metternich-Ordnung war. Es gab keine Freiheiten, es gab die Pressezensur, es gab Repressalien. Die Leute haben sich da nicht so wohlgefühlt.
Diese Parodie aufs Militär entstand 1837 mit einem kleinen Umzug, um das alles ein bisschen aufs Korn zu nehmen. Man nennt das die Gründung der Ranzengarde. Und die Ranzengarde war eine Parodie auf die Langen Kerls von Preußens Friedrich – man muss ja lang und schlank sein, um preußischer Soldat zu werden. Und die Ranzengarde war klein und dick, hatte einen Umfang von sechs Fuß (Anmerkung der Redaktion: ca. 1,80 Meter).
SWR1: Was auch auffällt, sind die "Schwellköpp", die durch die Mainzer Fastnacht wandern. Wer es noch nie gesehen hat: Beispielsweise beim Rosenmontagszug laufen Menschen mit unfassbar großen Köpfen. Was steckt dahinter?
Bärsch-Kämmerer: Da gab es einen Bildhauer in Mainz, Ludwig Lipp, der in den 1920er Jahren in Südfrankreich auf einem Winteraustreibungsfest war. Dort machte man große Pappmaché-Figuren, die hat man dann angezündet, um den Winter zu vertreiben. Er hat sich gedacht: "Das kann man auch in Mainz machen, das ist doch wunderbar, da können wir Mainzer Charaktere zeigen."
Die erste Figur, die er gemacht hat, war ein Rheinhesse. Den hat er geliebt und gut gekannt. Immer wenn er dorthin zu Besuch ist, hat er die Tür aufgemacht und gesagt: "Ach was frein ich mich, dass du da bist". Diesen Rheinhessen hat er parodiert, als Kopf produziert und ihn 1927 als ersten Schwellkopp in seinem Wagen gefahren. Schon im darauffolgenden Jahr entstanden unglaublich viele "Schwellköppe", die mitgelaufen sind – nämlich die ganze Welt. Da hat er alle Kontinente als Schwellkopp dargestellt. Davon gibt es alte Bilder, und das ist wirklich ganz toll.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.