Viele Jahre nach dem Tod des King of Rock’n Roll stehe ich an einem späten September-Vormittag bei 35 Grad im Schatten und dicken Gewitterwolken über dem Tennessee-Himmel in einer schier endlosen Schlange.
Marc Knopfler bringt meine Gedanken im Song "Graceland" auf den Punkt: "For reasons I cannot explain, there's some part of me wants to see Graceland". Genau: Grund gibt es keinen, aber ein Teil von mir muss diesen Ort einfach gesehen haben!
Elvis Besuch kostet viel Geld
Am Elvis-Boulevard ist Elvis natürlich überall. Automuseum, Flugzeug-Ausstellung, Merchandise-Center und Hotel. Von überall blickt das Konterfei des Jungen aus Memphis die Besucher an. Über eine halbe Million sind es pro Jahr.
Der Besuch von Graceland kostet rund 80 Euro, geführte Touren sind ab 200 Euro zu haben. Voranmeldung ist Pflicht. Am Ende der langen Warteschlange bringen uns kleine Busse, über den Boulevard am eisernen Tor vorbei, direkt vor den Eingang der Villa.
Nach heutigen Maßstäben wirkt das 1939 erbaute Haupthaus, die "Mansion", mit seinen Anbauten aus Holz eher bescheiden und verwinkelt. 100.000 Dollar hat Elvis Presley 1957 für das Anwesen bezahlt. Ein Vermögen, auch für den damaligen Shooting-Star des Rock’n Roll. Mit eingezogen sind damals erstmal nur seine Mutter Gladys und sein Vater Vernon.
1982, fünf Jahre nach dem Tod von Elvis, macht seine Ex, Priscilla Presley, Graceland zu einem Museum.
Zu Besuch bei Elvis: Keine Selfies vorher!
Ein Selfie vor dem Haus zu Anfang ist übrigens nicht drin! Da verstehen die uniformierten Aufpasser keinen Spaß. Selfies vor dem Eingang? Erst nach dem Rundgang.
Also lasse auch ich mich vom nie abreißenden Besucherstrom hineintragen in das steinerne Vermächtnis des King of Rock’n Roll.
Zu sehen gibt es nicht viel. Denn der erste Stock des Hauses, in dem der King am 16. August 1977 Tod aufgefunden wurde, ist für die Besucher bis heute tabu.
So bleiben ein kolonialistisch-modern arrangiertes Wohn- und Esszimmer mit Flügel und Glitzer, ein Schlafzimmer in Blau - und schon landen wir in der Küche. Die war damals sicher hyper-modern. Heute wirkt selbst die Mikrowelle antik.
Langsam, während ich an der Küche vorbeigeschoben werde, steigt mein Puls. Wir nähern uns dem "Dschungle-Room". Das dürfte einer der Plätze sein, an denen wir Elvis "atmen" können und um den sich unzählige Legenden ranken.
Im "Dschungle-Room" soll der King mit seiner Band geprobt, Versatzstücke für Alben produziert, Orgien gefeiert oder einfach nur Zeit mit seiner Tochter Lisa-Marie verbracht haben. Das ist die Bandbreite dessen, was über die ehemals überdachte Veranda geschrieben wurde.
Im Winter 1975-76 lässt sich Elvis ein Zimmer im Dschungel-Look in Graceland einbauen. Ein Brunnen, grüner Teppich und Sesselbezüge aus Fell. Darauf eine Gitarre und ein Plüsch-Bär. Super stylisch!
Die schönste Geschichte um den Dschungle-Room ist für mich die von Lisa-Marie. Elvis' Tochter hat dieses Zimmer wohl geliebt. Und Elvis hat seine Tochter geliebt. Wenn die kleine Lisa-Marie mit ihrem Kuschelbären auf dem Thron-Sessel spielen wollte, war der King machtlos. Die Probe der TCB-Band musste abgebrochen werden oder fiel ganz aus.
Meterweise SchecksElvis hat immer für alles bezahlt
In den 70ern muss Graceland wie ein Hühnerstall gewesen sein. Geschäftig ging die Entourage des Kings hier ein und aus. Der auf maximale Effizienz getrimmte Hausherr unterschrieb oft genug scheinbar nur noch die entsprechenden Schecks.
Hier 1.000 Dollar für ein Auto für den Cousin eines Cousins oder dort 500 Dollar für eine säumige Mieterin. Der King hat alles gezahlt. Ein ganzer Kellergang erinnert an die Freigiebigkeit von Elvis.
Wir kommen an einem Billiard-Zimmer und noch viel mehr Devotionalien vorbei und verharren kurz am Fernsehzimmer. Gleich drei (!) TV-Geräte gibt es dort.
Alles in gelb-schwarz. Leder, Chrom, Spiegel. Schon beeindruckend könnte man meinen, aber 50 Jahre danach wirkt der 70er-Chic wie eine Attacke auf meine Sehnerven.
Dann geht es wieder ans Tageslicht. Über grünen Rasen an diversen Anbauten vorbei, landen wir in Elvis persönlichem Gym. Der King stand auf Raquette-Ball, eine Art Squash-Tennis. Und dafür hat er sich 1975 eine eigene Halle bauen lassen. Heute zeugen nur noch ein paar Sport-Geräte von einer der vielen heimlichen Leidenschaften des von Elvis.
Und ein Klavier. Das ist "Das Klavier". Hier soll Elvis am 16. August 1977 gegen halb fünf Uhr am Morgen zum letzten Mal gespielt und gesungen haben: "Blue Eyes Crying In The Rain".
Wie passend, dass die letzten Zeilen, die der King singt, sich um das ewige Thema Liebe und die Erinnerung daran drehen. Auch das ist eine schöne Legende.
Und emotional, nach dem Dschungle-Room und dem Fernsehzimmer, schon ein wenig auf Sand gebaut, kann ich mir den King an jenem August-Morgen dort am Klavier vorstellen. Um den Hals ein Sport-Handtuch, schließlich hat er mit seinem Cousin kurz vorher noch den Ball geschlagen, singt er ein letztes Lied. Dann steht er auf und geht schlafen. Für immer.
SWR1 Meilensteine: "From Elvis in Memphis"
Wir gehen inzwischen eher schweigend weiter und betreten den "Mediation-Garden". Damit sind wir auf dem sorgfältig arrangierten Gipfel der Emotionen in Graceland: Das Grab von Elvis und von Lisa-Marie, sowie weiterer Angehöriger des Clans.
Auch mir wird beim Anblick des Grabes etwas schwer ums Herz. Oder ist das die Schwüle? An die Gefühlsausbrüche rund um mich herum komme ich mental allerdings bei weitem nicht ran.
Und dann ist es auch schon fast vorbei. Noch rasch das Selfie vor dem Eingang, das muss jetzt aber sein.
Dann bringt uns der Bus schon wieder auf die andere Straßenseite. Dort warten die Auto-Sammlung und Elvis‘ Flugzeuge auf uns, nicht zu vergessen ein Diner und das Merchandise-Center. Die Wolken haben sich inzwischen verzogen, blauer Himmel über Memphis, Tennessee.
In meinem Kopf bleiben nach diesen vielen Eindrücken aber ein paar kleine Wölkchen zurück.
In diesem Jahr wäre der King des Rock’n Roll - Elvis Aaron Presley - 90 Jahre alt geworden. Was heute neben seiner Musik geblieben ist, ist der kommerziell sehr erfolgreiche Versuch, das "Elvis-Gefühl" auch rund 50 Jahre nach seinem Tod mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten.
Einen rationalen Grund für einen Besuch bei Elvis in Memphis gibt es keinen. Aber, wie Mark Knopfler singt, ist da auch in mir etwas, das diesen Besuch unbedingt wollte.