SWR1: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Tod Gorbatschows gehört haben?
Klaus Meine: Sehr traurig. Aber man muss dazu sagen, dass ich ihn das letzte Mal 2019 gesehen habe. Wir hatten ein Konzert in Moskau und das war wenige Tage vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls, und er konnte, gesundheitlich angeschlagen, nicht nach Deutschland reisen. Und wie es sich ergab, hatte ich die Möglichkeit, ihn mittags in der Gorbatschow-Stiftung zu treffen. Man hat gesehen, dass er schon gesundheitlich zu kämpfen hatte. Aber er war mental so gut drauf an dem Tag. Natürlich war es traurig, gestern auf dem Weg zum Konzert diese Nachricht zu hören, dass er in Moskau verstorben ist. Er hat ein hohes Alter erreicht, und er wird uns Deutschen für immer und ewig in Erinnerung bleiben. Wir werden ihm ewig dankbar sein dafür, dass er, als die Menschen in der DDR auf die Straße gegangen sind, die Panzer in den Kasernen gelassen hat und dass diese Revolution unblutig über die Bühne gegangen ist.
SWR1: Haben Sie mit ihm über Glasnost und Perestroika reden können? Und wie stand er heute dazu?
Meine: "Wind of Change" ist ein Song, der natürlich von Glasnost und Perestroika inspiriert war und um die Welt gegangen ist. Es gab damals eine russische Version, die auch, glaube ich, der Grund war, dass er uns im Dezember 1991 in den Kreml eingeladen hat. Er hat sich eine Stunde Zeit für uns genommen. Seine liebe Frau Isa war auch dabei, und im Gespräch ging es um Glasnost und Perestroika und natürlich auch um Rock'n'Roll und Popmusik. Und es war großartig zu sehen, dass nach all den Hardlinern im Kreml jemand da saß, der Verantwortung hatte und einfach ganz anders drauf war. Jemand der zugehört hat und der auch ein Ohr für die junge Generation hat und der es möglich gemacht hatte, dass 1989 so ein Konzert wie das Moskauer Peace Festival im Lenin-Stadion stattfinden konnte. Also wir haben eine lange Geschichte, und es gab natürlich viele Treffen, auch in Berlin, in all den Jahren. Und es war jedes Mal ein herzliches und sehr, sehr freundschaftliches Wiedersehen.
SWR1: Sie haben bei ihrem Konzert gestern Abend "Wind of Change" Gorbatschow gewidmet. Wie haben die Fans reagiert?
Meine: Die Fans haben großartig reagiert gestern Abend in Detroit und natürlich den Song aus ganzem Herzen mitgesungen. Wir haben den Song für Michail Gorbatschow gespielt. Ich habe, als wir in diesem Jahr mit der Tour angefangen haben, einige Zeilen im Text geändert, weil ich glaube, es ist eben jetzt nicht die Zeit, Russland mit Zeilen wie "I follow the Moskva down to Gorky Park" zu romantisieren. Ich hab's geändert in "Now listen to my heart, it says Ukrainia". So haben wir das bis gestern gespielt.
Als auf dem Weg zum Konzert die Nachricht kam, dass Michael Gorbatschow verstorben ist, habe ich mich spontan entschieden, den Song am Abend in der Originalversion zu singen - zum ersten Mal nach langer, langer Zeit. Und die Reaktionen vom Publikum waren großartig. Das war auch für mich und für die Band ein ganz besonders emotionaler Moment.
Scorpions-Sänger Klaus Meine bei SWR1 Leute (2010)
SWR1: Haben Sie jemals daran geglaubt, als Sie "Wind of Change" geschrieben haben, dass das mal die Hymne zur Wiedervereinigung werden könnte?
Meine: Natürlich nicht. Der Song ist ja vor dem Mauerfall entstanden. Aber wir haben natürlich zwischen den Konzerten 1988 in Leningrad und einem Jahr später in Moskau gesehen, dass die Welt sich verändert. Junge, russische Fans sind zu uns gekommen und haben gesagt, die Zeiten des kalten Krieges werden bald vorbei sein. Und im Kreml sitzt ein Mann, der heißt Michail Gorbatschow und es ist eine Zeitenwende und die Dinge verändern sich.
Und das war natürlich für uns als deutsche Band, die mit dem kalten Krieg und mit der Mauer in Berlin aufgewachsen ist, sehr emotional. Auf der Bühne in Moskau im August 1989 zu stehen und zu sehen, wie 100.000 Fans zusammen mit den Sicherheitskräften und Rote Armee Soldaten, die ihre Jacken und Mützen in die Luft geschmissen haben, feierten und eins wurden mit dem Publikum. Man hat gesehen, die Welt verändert sich gerade vor unseren Augen. Das war sehr emotional, das zu sehen und nur möglich, weil kein Hardliner mehr im Kreml saß, sondern Michail Gorbatschow, der all das möglich gemacht hat und die Welt verändert hat und den Eisernen Vorhang runtergerissen hat. Wir werden ihm das nie vergessen.
Das Interview führte Frank Jenschar.