Die Album-Produktion
SWR1: Als Band neue Musik unter die Leute zu bringen, da muss man ja diese ganzen frischen Emotionen nochmal anzapfen, oder?
Christoph Stein-Schneider: Auf der Bühne ist es schon so. Man übt ja auch und kann es dann irgendwann. Ich glaube, die Emotionen sind dann halt ein bisschen "konserviert" in den Stücken.
Kai Wingenfelder: Das hat ja auch was mit Handwerk zu tun, und Musik ist auch ein Handwerk. Das heißt, man muss auch üben und das hilft bei den meisten Dingen. Das ist ja so, dieser Prozess des Albums dauert vielleicht ein Jahr, aber das ist kein durchgehendes Jahr.
Wir haben ein ganz anderes Aufnahme-Prinzip, dass uns unser Produzent Vincent beigebracht hat: Wir sind fünf Tage im Studio und dann fahren wir nach Hause.
Er hat gesagt, die Bereitschaft als Musiker irgendetwas gut zu finden hört nach fünf Tagen radikal auf und da hat er Recht. Deswegen macht man so ein Stück oder zwei Stücke so gut wie fertig, so dass man sie wirklich gut hören kann, und dann fährt man nach Hause und hört sich das an. Und dann ist man gut gelaunt nach fünf Tagen und nach zehn Tagen wieder da und macht mal weiter.
Darum kamen sie nach zehn Jahren zurück
SWR1: Fury in the Slaughterhouse gab es ja nach 2008 mal fast zehn Jahre gar nicht. Kann man sagen, ihre Fans haben Sie zurückgeholt?
Stein-Schneider: Auf jeden Fall haben die einen großen Teil dazu beigetragen, dass wir jetzt hier sitzen. Wir hatten ja 2017 dieses eine Konzert geplant. Daraus sind drei Konzerte innerhalb kürzester Zeit geworden. Da wurde uns einfach auch klar, wie wichtig unsere Musik einigen Leuten ist. Mehr kann dir als Musiker auch nicht passieren.
Insofern haben die Fans schon eine Menge zu tun. Und ich habe das Gefühl, unsere Konzerte sind auch deswegen tolle Konzerte, weil die Fans miteinander so gut klarkommen. Sie feiern uns zwar, aber wir sind oft einfach Anlass für eine schöne Feier.
Wingenfelder: Dieser Moment, wo wir 2017 diese Arena dreimal ausverkauft haben in drei Tagen, da haben wir nicht mitbekommen, wie viele Menschen da draußen sind, für die wir wichtig waren. Das ist für mich persönlich ganz wichtig gewesen, um mir darüber Gedanken zu machen, wie wichtig diese Band auch für mich war oder ist.
Diese Band ist mittlerweile fast 40 Jahre alt und wir haben zusammen mehr Zeit verbracht als teilweise mit unseren Familien, die uns geboren und großgezogen haben. Und das ist schon ein Brett. Und dann fragt man sich schon mal, ob man das einfach in die Tonne tritt.
Das bedeutet die Band ihren Fans
SWR1: Inwiefern haben sie denn Rückmeldungen von Leuten gekriegt, die gesagt haben: Eure Songs haben mich getröstet und motiviert?
Stein-Schneider: Ganz viel. Gerade jetzt in einer solchen Zeit haben wir alles gespielt, was zu spielen war. Da gab es ganz viele Rückmeldungen, dass die Leute unglaublich froh waren, dass wir da waren und mit ihnen zusammen Musik gemacht haben.
Wingenfelder: Es gibt Einzelschicksale und Geschichten, auf die waren wir auch nicht vorbereitet. Das heftigste war für mich ein junger Mann, der zwei oder drei Jahre im Koma lag. Seine Freundin hat ihm irgendwann "Time to Wonder" vorgespielt, weil sie den Song während ihrer Hochzeit und ihrer verliebten Phase gehört haben. Dann ist er aufgewacht. Ich möchte nicht wissen, wie viele Leute zu "Dead and Gone" beerdigt worden sind.
Stein-Schneider: Oder, wie viele Kinder zu unserer Musik gezeugt wurden! Bei den Konzerten sind aktuell auch ganz viele Kinder in der ersten Reihe, die uns mit riesigen Augen auf die Finger gucken. Das ist schon faszinierend.
SWR1: Leute aus dem Koma holen und hören, dass zum eigenen Song Kinder gezeugt wurden. Mehr kann man als Rockmusiker nicht erreichen, oder?
Wingenfelder: Ich finde, das größte Ding, was man als Musiker überhaupt erreichen kann, ist Menschen zu berühren auf irgendeine Art und Weise. Es geht nicht darum, eine goldene Schallplatte zu haben oder sich einen Ferrari kaufen zu können. Wenn man mit der Musik, die man selber schreibt, Menschen berührt, dann hat man doch gewonnen.
Das Gespräch führte SWR1 Musikredakteur Dave Jörg.