Baden-Württemberg macht’s in Stuttgart

Flüchtlingscamps: Jasmin aus Stuttgart hilft dort, wo kaum einer hinschaut

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AUTOR/IN
Christiane von Wolff
SWR1 Redakteurin Christiane von Wolff

Die 33-jährige Jasmin aus Stuttgart arbeitet in Flüchtlingscamps an den Außengrenzen Europas – auf Lesbos oder in Bulgarien. Sie will helfen, wo die Not groß ist, aber kaum einer hinschaut.

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Hilfe in Flüchtlingscamps an den Außengrenzen Europas

Jasmin Schneider aus Stuttgart ist vor kurzem in das größte Flüchtlingscamp Bulgariens aufgebrochen – zeitweise leben dort dreimal so viele Menschen wie vorgesehen. Viele der geflüchteten Kinder, Frauen und Männer brauchen dringend medizinische Versorgung. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen versucht mit einer kleinen Klinik im Aufnahmezentrum zu helfen. Um die psychologische Erstversorgung kümmert sich für das nächste halbe Jahr Psychotherapeutin Jasmin. Eine herausfordernde Arbeit, Jasmin weiß, was auf sie zukommt. Sie war für Ärzte ohne Grenzen auch schon sechs Monate auf Lesbos, ebenfalls in einem Flüchtlingscamp, ebenfalls an einer Außengrenze der Europäischen Union.  

Warum denn um alles in der Welt nicht!

Flüchtlingscamp Mavrovouni Lesbos

Auf Lesbos hat Jasmin im Flüchtlingscamp Mavrovouni gearbeitet – eines der Nachfolgecamps des abgebrannten Camps Moria. Aktuell leben hier 1.800 Menschen, in Hochzeiten können es knapp 4.000 sein, in einem mit Stacheldraht eingezäunten Gelände, das sie nur tagsüber verlassen dürfen. Die meisten kommen aus Afghanistan, Syrien, Sierra Leone, Eritrea und dem Staat Palästina. Und fast alle von ihnen sind in irgendeinem Schlauchboot auf die Insel gekommen.

So eine Überfahrt kann traumatisieren. Weil man realistisch ahnt oder sogar weiß, dass das Überleben dieser Fahrt nicht garantiert ist. Gleichzeitig ist man in einer Situation, in der man kaum einen Einfluss hat auf das, was passiert.

 

Mitarbeiterinnen von Ärzte ohne Grenzen im Flüchtlingscamp Mavorouni auf Lesbos
Foto: Ärzte ohne Grenzen/Evgenia Chorou

Pushbacks, Schiffsbruch, schlechtes Wetter, Panik auf überfüllten Booten, kleine Kinder, die sich nicht über Wasser halten können. Angekommen auf Lesbos verstecken sich viele Schutzsuchende direkt in Wäldern oder Olivenhainen. Ohne Essen, oft in klatschnasser, zerrissener Kleidung. Jasmin und das Ärzte ohne Grenzen-Team versuchen dann, mit Megaphon in Kontakt zu kommen und leisten medizinische und psychologische Nothilfe.  

Flucht ist nie leichtfertig

Jasmin ist übrigens kein einziger Mensch begegnet, der sein Land eben mal so verlassen, der sich leichtfertig in eines der Boote gesetzt hätte. Im Gegenteil. Viele sind auf der Flucht wegen Kriegen, Verfolgung oder Hungersnöten. Gerade Eltern verlassen ihre Heimatländer oft, um ihre Kinder zu schützen – in der Hoffnung, den Kindern an einem anderen Fleck der Erde ein sicheres Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig um so tragischer: Ausgerechnet auf der Überfahrt sterben immer wieder Menschen, Eltern verlieren ihre Kinder.  

Das sind unbändig viele Emotionen: Von Schockreaktion, Fassungslosigkeit, absolute Wut, Ärger, Schuldgefühle, dass man das eigene Kind nicht unterstützen konnte, Trauer, Verzweiflung … bis hin zu Selbstvorwürfen.

Ein Mädchen malt, während ihre Mutter medizinisch beraten wird, in der Klinik der Ärzte ohne Grenzen, direkt neben dem Flüchtlingscamp Mavrovouni auf Lesbos
Ein Mädchen malt während ihre Mutter medizinisch beraten wird in der Klinik direkt neben dem Flüchtlingscamp Mavrovouni auf Lesbos. Foto: Ärzte ohne Grenzen/Evgenia Chorou

Bei ihrer Arbeit, sagt Jasmin, gehe es oft erstmal darum, mit auszuhalten, was man kaum auszuhalten vermag! Da zu sein, egal was dann kommt. Es gehe darum, einen Gesprächsraum anzubieten, im Camp oder auch in der kleinen Klinik der Ärzte ohne Grenzen neben dem Camp.  

Situation in den Flüchtlingscamps ist oft schwierig

Viele Geflüchtete leiden unter dem Dauerstress im Camp. Rückzug ist kaum möglich, viele müssen in großen Hallen ohne Matratze auf dem Boden schlafen, darunter auch Schutzbedürftige wie zum Beispiel Schwerkranke, Hochschwangere oder Säuglinge. Um bei der Essensausgabe dranzukommen, muss man mitunter 4-5 Stunden anstehen, Tag für Tag. Und keiner weiß, wann er oder sie das Camp wieder verlassen kann, wann das Asylverfahren entschieden wird.   

Das sind keine Zustände, wie ich sie in Europa erwartet hätte!  

Jasmin weist darauf hin, europäische Maßstäbe müssen auch an den Außengrenzen der EU gelten. Dies gebietet auch die EU-Aufnahmerichtlinie. Dafür brauche es an vorderster Stelle für alle im Camp eine medizinische Grundversorgung, humanitäre Hilfe und ein menschenwürdiges Asylverfahren. Die EU plant in Zukunft noch mehr Asylverfahren direkt an den Außengrenzen abzuwickeln. Die schon heute angespannte Situation in den Flüchtlingscamps könnte sich dadurch noch verschärfen.  

"Vergesst uns nicht!"

Viele geflüchtete Patienten haben Jasmin aus Stuttgart ein und dieselbe Bitte mit auf den Heimweg gegeben: Wir – die Menschen in Deutschland, sollen sie, die Schutzsuchenden in den Camps, nicht vergessen!

[Diese Menschen] wissen nicht, wo ihr Platz auf der Welt sein soll. Auch weil sie das Gefühl haben, dass es keinen interessiert, was mit ihnen passiert.  

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