Vom schlechtesten Team der Liga direkt in die Playoffs? Stuttgart Surge hat sich für 2023 viel vorgenommen. Nach der vergangenen Saison in der European League of Football (ELF) haben die Schwaben noch viel Luft nach oben: kein einziges Spiel gewonnen, Trainer zurückgetreten, viele Spieler entlassen. Was war los? Und wie soll es jetzt besser werden? SWR Sport war bei den Tryouts für die neue Runde dabei und hat hinter die Kulissen geblickt.
Ambitioniert gestartet, wenig erreicht
Surge war mit großen Plänen gestartet. 2020 wurde das Franchise gegründet, um in der neuen ELF durchzustarten. Einer europaweiten Liga, die American Football in Europa zu mehr Popularität verhelfen soll. Sie ist vergleichbar mit der groß angekündigten Super League im Fußball. "Wir versuchen, den Football auf ein neues Level zu bringen", sagt Suni Musa im Interview mit SWR Sport, kurz bevor das Probetraining startet. Er ist der General Manager und Geschäftsführer von Stuttgart Surge.
Von einem hohen Level war das Team in den ersten beiden Saisons der ELF weit entfernt. Beide Male war Surge Tabellenletzter, in der Vorsaison gab es keinen einzigen Sieg. Zu Beginn stimmte die professionelle Struktur noch nicht auf allen Ebenen. "Es gab natürlich Differenzen, Probleme, Kleinigkeiten, die dazu führten, dass Dinge größer wurden", so Suni Musa.
Die Seuchensaison 2022
Ein Auszug aus den Differenzen: Der ehemalige Head Coach Martin Hanselmann trat erst von seiner Zweitaufgabe als Offensive Coordinator zurück und schließlich ganz. Hanselmanns Spielidee galt als veraltet. Während der Saison wurden mehrfach Spieler frei- und neue eingestellt. Außerdem entließ man den Ex-Team-Captain Benji Barnes nach mehreren Streitereien. Unter anderem zog er während eines laufenden Spiels neben dem Feld sein Trikot aus und weigerte sich weiterzuspielen. Die Saison verlief durchaus "holprig".
"Holprig ist gut", muss Musa lachen: "Die Leute haben leider nicht das bekommen, was sie verdienen hier in Stuttgart." Er selbst ist erst 2022 zum Franchise gestoßen und hat seitdem versucht, die Strukturen zu verändern. In seiner Debütsaison mit wenig Erfolg: "Es ist tatsächlich sehr viel Arbeit gewesen, nach wie vor ist auch noch einiges zu tun. Es ist nicht so leicht, ein Start-up-Unternehmen, das ein bisschen festgefahren ist, in die richtige Richtung zu bringen."
Der "FC Bayern" wechselt nach Stuttgart
Das soll in der neuen Saison nicht mehr so sein: "Wir haben Dinge umgestellt. Wir haben versucht, auch auf die Saison zu reagieren." Musa ist zuversichtlich: "Wir sind gut aufgestellt. Die Strukturen passen jetzt." Musa hat das Front Office der Surge verändert. Ihm stehen nun ein Assistent sowie der NFL-erfahrene George Streeter für Recruitings und Spielerentwicklung zur Seite.
Und auch auf dem Platz hat sich etwas getan. Von den Schwäbisch Hall Unicorns kommt der neue Head Coach Jordan Neuman. Die Unicorns sind Meister der German Football League (GFL), quasi die Bundesliga des Footballs. Damit geht Neuman vom besten Team der GFL zum schlechtesten der ELF – und er nimmt seinen Stab mit. Drei Assistenztrainer hat er mitgebracht und dazu seinen Meister-Quarterback Reilly Hennessey. Im Finale der GFL wurde Hennessey zum MVP gewählt, dem wichtigsten Spieler.
"Das ist, als würde im Fußball fast der komplette FC Bayern nach Stuttgart wechseln", wurde Suni Musa jüngst in den Stuttgarter Nachrichten zitiert. Seine Vertrauten hat Neuman bewusst mit nach Stuttgart mitgebracht, um eine Kultur der Kontinuität aufzubauen. Das ständige Wechselspiel im Kader soll aufhören. Er möchte, dass die Spieler mit Freude im Gazi-Stadion am Fuße des Fernsehturms auflaufen und "Jahr für Jahr gerne zurückkommen".
Surge setzt auf Talente aus der Region
Die ELF wurde unter anderem gegründet, um regionalen Talenten eine Chance zu bieten. Dort dürfen weniger ausländische Spieler im Kader sein als in der GFL. Deswegen setzt Stuttgart Surge bewusst auf Talente aus der Region. Im Umkreis von 30 Kilometern gäbe es 25 Teams, meint Musa.
"Wir sind natürlich drauf darauf konzentriert, hier die Region irgendwo mit einzubinden und einzubeziehen. Dazu gehören natürlich auch unsere Spieler", so Musa: "Wir haben hier in der Region sehr gute Spieler, wir hatten nie den Zweifel daran. Deswegen haben wir das Team letztes Jahr ja auch so zusammengestellt. Das war ja die Idee dahinter". Unter anderem war das der Stuttgarter Ben Wenzler im Kader. Er gilt als großes Talent, ist seit Tag eins bei Surge und hat auch für die neue Saison verlängert.
Deswegen setzt Surge auch Hoffnungen in die Tryouts. 80 bis 90 Spieler aus der Region finden sich auf dem Trainingsplatz neben dem Gazi-Stadion ein, um sich zu beweisen. Die bunte Auswahl an Logos auf den Helmen zeigt, wo die Spieler herkommen: Schwäbisch Hall, Stuttgart, Tübingen. Nach dem Probetraining hofft Coach Neuman auf einige Verstärkungen für sein Team: "Es war sehr gut. Genau, was wir gehofft haben. Wenn zehn Spieler von diesen 90 unterschreiben, das wäre ein absoluter Erfolg."
Alles bereit für das nächste Level?
Die Strukturen sind umgestellt, das Team verstärkt und die Talente geblieben. Kann es jetzt richtig losgehen mit Spitzen-Football in Stuttgart? Wie soll das neue Level aussehen?
"Ein positiver Record wäre schon schön. Spiele gewinnen und Spaß haben, den Leuten hier das geben, was sie verdienen", gibt Musa die Ziele aus. Ein positiver Record bedeutet: mehr Siege als Niederlagen. Ein ambitioniertes Ziel nach null Siegen in der Vorsaison, aber Musa hat noch mehr im Sinn: "Jedes Team sollte versuchen, in die Playoffs zu kommen. Also alles andere würde keinen Sinn machen."
Den Erfolg hätte Surge auch dringend nötig, das Start-up muss ankommen in der ELF. Noch so eine Seuchensaison wie 2022 - und Fans sowie Sponsoren könnten unruhig werden, vermuten Branchenkenner. Auch wenn Musa dies bezweifelt: Die Saison 2023 könnte wegweisend sein für Stuttgart Surge.