Derzeit quälen sich die besten Radler der Welt bei der legendären Tour de France – und ein Ex-Profi schaut sich das mit gemischten Gefühlen im Fernsehen an. Dominik Nerz, geboren in Wangen im Allgäu, erlebte berauschende Erfolge, aber auch schwere Stürze und unbeschreibliche Qualen. Mit 27 Jahren war er physisch und psychisch am Ende. Fünf Jahre später geht es ihm wieder gut: Seinen Erfolgshunger stillt der damals magersüchtige Nerz jetzt als ehrgeiziger Koch.
Kochen ist so anstrengend wie die Tour de France
Im Restaurant "Fein7 Stuonobach" steht Dominik Nerz am Herd, blickt konzentriert auf die Töpfe, jongliert geradezu mit Messern und Gabeln, wechselt flink und mit Tempo zwischen den verschiedenen Arbeitsplätzen hin und her. Ein fitter Koch, ganz klar. Die körperliche Belastung ist schließlich so ähnlich wie bei Leistungssportlern, was ihn damals, in der Anfangszeit als Koch, zuerst überrascht hat. "Wenn man zehn bis zwölf Stunden täglich steht, dann merkt man das schon. Also ich brauchte auch am Anfang nicht groß Sport zu treiben, was für mich sehr ungewöhnlich war."
Dominik Nerz - talentiert, ehrgeizig, erfolgreich: 2009 wird er U23-Straßenradmeister. Der Bergspezialist gehört zum Nationalkader und als Profi bekommt er einen Vertrag beim italienischen Top-Team Liquigas. 2012 geht sein Tour-de-France-Traum in Erfüllung. Zuerst rollt er als Helfer nach Paris, danach zeigt er beim Team BMC eine starke Vuelta und überzeugt bei vielen weiteren Rennen - und das trotz vieler, krasser Stürze.
Der Arzt hat Nerz' Karriere beendet
2015 soll er als Kapitän von Bora-Argon bei der Tour de France unter die Top Ten fahren. Neue Ziele, neuer Leistungsdruck - und ein Gedanke hat sich in inzwischen im Bergspezialisten Nerz verankert: je leichter, desto besser. "Man muss Gewicht verlieren, um an Top-Leistungen heranzukommen. Und irgendwie hat sich das dann bei mir abgespeichert, wo ich gesagt habe: Wenn ich Top-Leistung bringen möchte, dann muss ich dementsprechend aussehen." Wann genau er den Schritt von, "es ist grad noch okay" zur Magersucht gegangen ist, könne er nicht mehr nachvollziehen. "Ich weiß nur, wann es nicht mehr haltbar war."
Ein abgemagerter Radler, kraftlos, sturzgefährdet - physisch und psychisch am Ende. Die Tour 2015 musste er nach mehreren Stürzen vorzeitig beenden. Auch danach kam er nicht mehr in Schwung. Im Herbst 2016 das Karriere-Ende - mit 27 Jahren. Das war nicht seine Entscheidung: Aus ärztlicher Sicht sei ihm nachdrücklich ans Herz gelegt worden, alles sein zu lassen. Er war an einem Punkt, an dem sich der Körper nicht mehr hätte regenerieren können.
Küche statt Tour de France
Dominik Nerz ist nicht nachtragend, will niemand beschuldigen. Natürlich, einige dieser schwarzen Tage hätte er sich sparen können. Auf der anderen Seite ist er daran aber gewachsen. Wichtig damals: der Rückhalt der Familie und die Behandlung in einer psychosomatischen Klinik. Nur zufällig entdeckt er dann eine neue Leidenschaft: Kochen.
Wegen Personal-Mangels rutscht er zufällig in ein Küchenteam. Und das Kochen hat so viel Spaß gemacht, dass er dort hängen geblieben ist. Die Küche, so Dominik Nerz, ist für ihn als magersüchtigen Menschen wie eine Heilung gewesen.
"In der Küche war ich ja quasi gezwungen dazu, mir dauernd was in den Mund zu stecken. Die Sachen, die man zubereitet, muss man ja probieren. Über diese Schiene hab ich geschafft, wieder ein komplett normales Essverhalten an den Tag zu legen. Ich kann es mittlerweile auch wieder wirklich genießen."
Nerz nun mit eigenem Restaurant am Bodensee
Der größte Genuss: das eigene Restaurant, vor einem Jahr gemeinsam mit Mutter Ulrike eröffnet. Das "Fein7 Stuonobach", oberhalb von Dornbirn, auf der österreichischen Seite des Bodensees, bietet regionale, anspruchsvolle Küche. Mit einem leicht asiatischen Einschlag möchte Dominik Nerz normale Gerichte "aufpimpen".
Wieder Bock auf Tour de France
Die Tour de France guckt sich der 31-Jährige mittlerweile ganz gerne im Fernsehen an, direkt nach seinem Ausstieg habe er das seelisch schwer verkraftet, inzwischen habe er genug Abstand.
Und selber radeln? Wenn, dann auf dem Mountainbike. Er ist ein richtig gemütlicher Hobbyfahrer geworden und wenn er nach einer halben Stunde merke, dass es reicht, dann dreht er einfach um und fährt nach Hause. Für Nerz ist das ein "richtig gutes Gefühl".
Nerz schöpft neuen Lebensmut
Das Einzige, wobei es auf die Zeit und Schnelligkeit ankommt, ist beim Kochen und Servieren im Restaurant. Der neue Job fordert ihn extrem, ist aber eine absolut angenehme Herausforderung. Dabei will Dominik Nerz, ein ungelernter, aber sehr kreativer Koch, keine Wettbewerbe mitmachen, sich nicht um Hauben oder Sterne bewerben. Er kocht einfach nur, weil es unglaublich viel Spaß macht.