Radsport | Nordkap-Tarifa-Rennen

7.400 Kilometer auf dem Rad: Christian Englert beim längsten Radrennen der Welt in Führung

Stand
Autor/in
Lena Bergmann

Auf dem 7.400 Kilometer langen Weg vom Nordkap nach Tarifa will Christian Englert einen neuen Streckenrekord aufstellen. Die Chancen für den Extremsportler aus Mutterstadt stehen gut.

Christian Englert ist nicht verrückt, er fährt nur mit dem Fahrrad vom nördlichsten zum südlichsten Punkt des europäischen Festlands. Am 20. Juni hat sich der Extremsportler aus Mutterstadt in der Pfalz auf das sogenannte Nordkap-Tarifa-Abenteuer begeben, dem längsten Radrennen der Welt. 15 Länder wird er dabei durchqueren und 7.400 Kilometer zurücklegen, alles mit dem Fahrrad. Sein Ziel: Den Streckenrekord von 21 Tagen und einer Stunde zu unterbieten.

59-jähriger Christian Englert liegt deutlich vor Zweitplatziertem aus Finnland

Nach mehr als zwei Dritteln des Rennens sieht es gut aus für den 59-jährigen Pfälzer. Zwischen ihm und dem Zweitplatzierte Juhani Saario aus Finnland liegen nicht nur 30 Jahre Altersunterschied, sondern auch bereits 200 Kilometer. Christian Englert liegt vorn, denkt aber nicht ans langsamer werden.

Dass Christian Englert bereits 5.000 Kilometer aus den letzten beiden Wochen in den Beinen stecken, davon ist im Interview mit ihm nichts zu merken. Er wirkt nicht sonderlich aus der Puste, hält in der einen Hand den Lenker, in der anderen das Telefon und fährt einfach weiter. "Sobald man ein Ziel hat, braucht man sich um die Motivation keine Sorgen zu machen. Und man muss Spaß dabei haben. Für mich war das immer Vergnügen," sagt er.

Nordkap-Tarifa Abenteuer ist Selbstversorger-Rennen

Sechs Ultra-Rennen hat Christian Englert bereits absolviert, alle im Bereich von 1.000 bis 3.700 Kilometern. Das Nordkap-Tarifa-Abenteuer, ist mit 7.400 Kilometern mit Abstand das längste. Eine weitere Besonderheit: Die Sportler müssen sich unterwegs selbst um ihre Schlafplätze, Verpflegung und Defekte am Rad kümmern.

Alles, was Christian Englert braucht, passt aufs Rad, auch seine Unterkünfte bucht er unterwegs. Kekse und Erdnüsse hat er in der Brusttasche, Werkzeug und Klamotten in den Satteltaschen. Dennoch freut er sich, wenn er unterwegs Unterstützung bekommt. Ein Fan verfolgt Englert's Standort im Netz, passt ihn in Tschechien ab, versorgt ihn mit Getränken und trägt sein Rad in den fünften Stock der Unterkunft.

Begegnungen wie diese sind es, die Christian Englert in Erinnerung bleiben. Wer das längste Radrennen der Welt bestreitet, ist auch lange Zeit allein unterwegs. Rund 370 Kilometer ist Christian Englert in den letzten beiden Wochen täglich gefahren. Wie schafft er es, motiviert zu bleiben? Liebt er die Einsamkeit?

Auf dem Rad sei er zwar allein, erlebe aber jede Sekunde etwas: "Ob das jetzt die Landschaft ist, oder die Leute, oder nur ein Auto das vorbeifährt, dich anhupt und sich aufregt, man hat immer Ablenkung. Da brauche ich auch keine Musik und kein Hörspiel," sagt Englert.

Skilanglauf, Triathlon, Berglaufen - Englert ist Multitaltent

Christian Englert sagt über sich selbst, dass er "auch mal abhängen kann." Es sei aber nicht abzustreiten, dass er gerne extreme Dinge tue und sich neuen Herausforderungen stelle. Mit 14 Jahren bekam er sein erstes Rennrad, probierte sich nebenbei auch im Laufen und im Skilanglauf aus. Als Triathlet reiste er in den 80ern nach Hawaii und Neuseeland. 1994 gewann er mit seinem Team das "Race Across America", ein legendäres Radrennen durch die Vereinigten Staaten. Zuletzt war Englert ein erfolgreicher Bergläufer, ein echtes Multitalent.

So viel Zeit wie jetzt, um seinen Hobbies nachzugehen, hatte er allerdings nie, denn bis vor fünf Jahren arbeitete Englert in einem Textilgeschäft, das sein Großvater gegründet hatte. Das Familiengeschäft nahm viel Zeit in Anspruch, jetzt kann er sich verstärkt dem Sport widmen. "Das hole ich jetzt nach."

Zieleinlauf à la Tour de France: "Das war ein Erlebnis für's Leben"

Auch auf dem Nordkap-Tarifa Abenteuer sammelt Englert diese goldenen Momente. Am Col du Galibier, dem rund 2.600 Meter hohen Gebirgspass in Frankreich, fuhr er auf derselben Strecke, auf der nur eine Stunde zuvor noch die dritte Etappe der Tour de France stattfand. Dort traf Englert auf Radsport-Fans, sah die Teamfahrzeuge und Werbebanner der Tour und spürte den Mythos, der den Pass umgibt: "Das war unglaublich, ich war der Einzige, der Richtung Ziel gefahren ist. Das war ein Erlebnis für's Leben!", erinnert er sich.

Nordkap-Tarifa Abenteuer soll letztes Ultra-Radrennen sein

Eine knappe Woche ist Christian Englert noch unterwegs, wenn er den Streckenrekord tatsächlich unterbieten will. Da kommt auch der ein oder andere Gedanke ans Ziel auf: "So langsam merke ich schon, wie ich anfange zu denken: Oh das wird aber ein schönes Gefühl sein, da unten anzukommen und am nächsten Tag kein Fahrrad mehr fahren zu müssen." Doch Englert denkt in Etappen. Noch ein Pass in den Alpen, einer in den Pyrenäen und dann das Schwierigste zum Schluss: Der höchste Punkt der Strecke wartet in der Sierra Nevada, der über 3.300 Meter hohe Gipfel des Pico del Veleta.

Egal wie anstrengend das Nordkap-Tarifa Rennen noch wird, Christian Englert will es genießen. Denn danach soll Schluss sein - zumindest im Ultra-Bereich. "Jedes Ultra-Radrennen kostet dich ein Lebensjahr, wenn man es so intensiv angeht, wie ich das mache." Ziele hat er trotzdem. Nächstes Jahr ist Englert 60 und will in der neuen Altersklasse beim Ötztaler Radmarathon angreifen: "Da mal auf's Podest zu kommen, das wäre ein toller Abschluss."

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Lena Bergmann