Zieleinfahrt - nach etwa 7.400 Kilometern, 20 Tagen und 19 Stunden. Christian Englert hat es geschafft: Als Erster von 55 Teilnehmenden überquert er die Ziellinie in Tarifa, Spanien, nach dem längsten Radrennen der Welt. Seit etwa einer Woche hat er sich diesen Moment vorgestellt, ihn sich ausgemalt, wenn der Anstieg steil war, die Oberschenkel brannten und das Gesäß schmerzte. So viel Wille, so viel Disziplin und so viel Fokus - ist da schon Platz für Freude oder gar Stolz?
Christian Englert reagiert gelassen und unbeeindruckt: "Klar, es ist schon etwas Besonderes, aber ich bin niemand, der in Stolz verfällt oder abhebt. Nö, ich wollte das mal machen, und jetzt habe ich es gemacht. Ich bin froh, dass ich es geschafft habe." Zu Beginn des Rennens habe er sich die Zieleinfahrt oft vorgestellt, doch je näher man komme, desto mehr gerate dieser Moment in den Hintergrund. "Es ist trotzdem schön, jetzt hier zu sitzen," sagt Englert mit Blick auf das Meer.
Jetzt gerade, am Strand von Tarifa, empfinde Englert vor allem eins: Erschöpfung. Aber die genießt er richtig: "Das Schöne am Ultra-Radsport ist dieses Loslassen können, dieses Erschöpfungsgefühl in seiner tiefsten und ursprünglichsten Art empfinden zu können. Das ist ein wunderschönes Gefühl und eigentlich auch mit ein Grund, wieso man das macht," meint der Extremsportler.
Englert: "Die letzten zwei Tage waren so anstrengend, wie die erste Hälfte des Rennens"
Wie sehr die körperliche Erschöpfung im Laufe des Rennens zunehme, sei wirklich nicht zu unterschätzen, meint Englert. "Die erste Hälfte vom Rennen ist so zehrend und anstrengend und belastend, wie die letzten zwei Tage," sagt der 59-Jährige aus Mutterstadt (Rhein-Pfalz-Kreis).
Wenig hilfreich also, dass es der letzte Teil der Strecke nochmal so richtig in sich hatte: Am Tag vor der Zieleinfahrt ist Englert in der Sierra Nevada unterwegs - um ihn herum nichts als Wüste. Dort muss er nochmal alles geben, um den höchsten Punkt der Strecke, den 3.394 Meter hohen Gipfel des Pico del Veleta, zu erreichen.
"Es war sehr, sehr heiß, um die 35 Grad. Und das Gelände war extrem schwierig, mit sehr vielen steilen Rampen und langen Anstiegen. Das hat noch mal echt alles gefordert. Ich bin froh, dass ich das gut weggesteckt habe," sagt Englert.
Dass er die 2.600 Höhenmeter so gut weggesteckt hat, habe ihn selber überrascht: "Normalerweise ist man da völlig erschöpft, dem Tode geweiht. Aber mir ging's wirklich wunderbar." Englert entschließt sich, auch die Nacht hindurch weiterzufahren. "Ich dachte mir nur, ich kann mich jetzt nicht ins Bett legen und schlafen. Die fünf Stunden kann ich ja auch schon mal weiterfahren."
Mit kurzen Powernaps schafft er es am 10. Juli, kurz nach 19 Uhr ins Ziel. Erleichterung auch bei seiner Lebensgefährtin Eva: "Ich bin sehr, sehr stolz auf ihn und natürlich froh, dass er jetzt endlich wohlauf und gesund angekommen ist."
Streckenrekord wegen nachträglicher Strafen verpasst
Stolz sein auf seine Leistung, das kann Christian Englert definitiv. Lange Zeit sah es auch danach aus, dass er sogar einen neuen Rekord für die Strecke aufstellen wird. Laut Veranstalter sei Englert während des Rennens jedoch zweimal von der vorgesehenen Route abgewichen. Eine schwierige Stelle habe er umfahren und die Strecke dabei auch deutlich verkürzt. Nach den Übernachtungen sei er zudem nicht immer ordnungsgemäß an den Punkt der Strecke zurück, an dem er sie verlassen hat.
Für seine Vergehen in Teilen der Strecke in Lettland und Tschechien erhielt Christian Englert nachträglich eine Zeitstrafe von 9 Stunden und 20 Minuten. Für einen Rekord reicht es somit nicht mehr, aber Englert nimmt es gelassen: "Ich will das nicht entschuldigen, ich habe die Anweisungen an der Stelle falsch interpretiert und definitiv nicht befolgt. Das geht auf meine Kappe und das ist auch okay." Immerhin ist der Abstand auf den Zweitplatzierten Juhani Saario aus Finnland groß genug, dass Englert der diesjährige Rennsieg nicht mehr zu nehmen ist.
Markus Kröll aus Neustadt an der Weinstraße noch im Rennen
Für Christian Englert ist das Rennen zwar beendet, den Standort seines Kumpels Markus Kröll wird er dennoch verfolgen. Die beiden waren Ende Mai gemeinsam nach Kopenhagen gereist, um von dort aus zum Rennstart ans Nordkap zu radeln. Markus sei es etwas gemütlicher angegangen, scherzt Englert. Der 61-Jährige Kröll aus Neustadt an der Weinstraße dürfte noch eine gute Woche unterwegs sein. Unterstützung bekommt er aus der Ferne, von einem erschöpften aber glücklichen Christian Englert.