Sie strahlt, die Augen leuchten: "Ich bin glücklich!" Das sagt Hannah Vester, als sie auf den 9. August im Kalender in der Trainingshalle schaut. "Das ist Olympia, da sind wir dran", ergänzt die 18-Jährige. Die Wettkampftage von ihr und ihrer Gruppe sind unübersehbar mit bunten Farben markiert. Für sie ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris ein Traum, der in Erfüllung geht und, wie sie sagt, auch eine Erleichterung.
Hannah Vester: Unzählige Trainingsstunden bis zur Perfektion
Erleichterung deshalb, weil sie fast ihr ganzes Leben in der Trainingshalle verbringt. Mit der Qualifikation für Paris hat sie gemerkt, dass sich die unzähligen Stunden in der Halle gelohnt haben. Das hat sie in ihrem Weg bestärkt. Mit ihrer Gruppe trainiert sie in Fellbach-Schmiden bei Stuttgart fünf bis acht Stunden am Tag. Vor der Schule und nach der Schule. So kurz vor den Spielen geht es für die fünf jungen Frauen um Detailarbeit an ihrer Übung. Alle hier brauchen Durchhaltevermögen und Disziplin, sagt die Bundestrainerin Camilla Pfeffer: "Das tägliche Training ist natürlich kein Zuckerschlecken." Vielen gefalle die Sportart am Anfang, die Eleganz mache die rhythmische Sportgymnastik vor allem für Frauen und Mädchen attraktiv. "Aber es steckt halt wahnsinnig viel Arbeit dahinter." Und da müsse man auch bereit sein, viel zu opfern und vor allem viel von seiner Jugend zu opfern.
Das hat Hannah Vester getan. Mit 16 Jahren ist die Schülerin von ihrer Familie in Ludwigshafen weggezogen, um im Stützpunkt in der Nähe von Stuttgart mit der Nationalmannschaft zu trainieren - und zu leben. Gleich neben der Halle ist das Internat. Gleich neben der Trainingshalle noch ein Ballettraum. Der Fokus soll ganz auf dem Sport liegen.
Deshalb fehlt ihr die Heimat
Auch außerhalb der Halle verbringen die fünf Sportgymnastinnen immer wieder Zeit miteinander. Für Hannah sind ihre Mannschaftskolleginnen im Stützpunkt wie eine neue Familie geworden, dennoch vermisst sie die Heimat, "weil ich eine riesengroße Familie habe, die in Ludwigshafen wohnt, aber auch die Mädels und meine Heimtrainerin sind ja wie meine Familie. Also ich habe damals viel mehr Zeit in der Halle und bei Freunden verbracht als zu Hause und natürlich vermisst man das."
Hannah Vester zählt während des Trainings immer wieder laut zur Musik, sie ist hoch konzentriert und strahlt Positivität aus. Sie ziehe die Gruppe hoch und das zeichne sie auch aus, meint die Trainerin. "Wenn ich eine Übung beginne und dann lächele, fällt es auch gleich viel, viel leichter", erzählt Hannah Vester. Auch wenn sie nicht so gut drauf ist, versucht sie bei der Übung wieder zu lächeln, "weil es dann einfach einfacher erscheint."
Ausdruck und Perfektionismus als Stärke
Hannah Vester überzeugt aber nicht nur mit ihrer Positivität und Teamfähigkeit in der Gruppe der rhythmischen Sportgymnastinnen. Sie sei eine "sehr starke Persönlichkeit", sagt die Trainerin und vor allem ausdrucksstark: "Sie hat wirklich einen tollen, tollen Ausdruck, sowohl vom Gesicht als auch vom Körper auf der Fläche. Und sie ist so ein richtiger Eyecatcher dadurch."
Hannah Vester: "Trainieren, um perfekt zu sein"
Zudem gilt sie als Perfektionistin. Dabei ist genau das, die Perfektion, das Ziel jeder Übung, sagt Hannah Vester: "Alle Gruppen verbessern sich und die besten sind auch schon nahezu am Perfekten. Deshalb trainieren wir jeden Tag, um auch perfekt zu sein." Ob auch bei den Olympischen Spielen in Paris eine nahezu perfekte Übung gelingt? In Fellbach-Schmiden trainieren sie jedenfalls stundenlang genau dafür. Hannah Vesters Lieblingsgerät ist übrigens der Ball. Sie findet es elegant, wenn er über den ganzen Körper rollt und vor allem sei es das einzige Gerät, was früher nicht weh getan hat, als die Geräte auch ab und zu auf den Kopf gefallen seien.
Ziel bei den Olympischen Spielen: Finale und dann Top 5 oder 6
Am 9. August, wenn Hannah Vester auf der Fläche in Paris antritt, wird ihr wohl kein Gerät mehr auf den Kopf fallen. Dann geht ein Traum von ihr in Erfüllung. Aber die Perfektionistin will mehr als nur dabei sein, sie will mit ihrer Gruppe mindestens ins Finale der besten acht Gruppen kommen und dann am liebsten unter den ersten Fünf landen. Wenn das gelingt, würde sie sicherlich - wie beim Blick auf den 9. August im Kalender in der Trainingshalle - über das ganze Gesicht strahlen und ihre Augen leuchten.