Leo Neugebauer hat die Messlatte weit nach oben gelegt: Mit 8.961 Punkten ist er im Moment der beste Zehnkämpfer der Welt. Dahinter steckt viel Arbeit und Disziplin. Mithilfe eines Sportstipendiums hat der Stuttgarter sein Leben vor vier Jahren komplett auf den Kopf gestellt. Aus dem beschaulichen Schwabenland zog der Zwei-Meter-Mann nach Austin im Bundesstaat Texas der USA. Dort konnte Neugebauer Studium und Sport optimal unter einen Hut bekommen. Das Leben an der University of Texas hat ihn nicht nur sportlich, sondern auch persönlich reifen lassen.
Sport und Studium in Texas: ein Lifestyle
Sein Kalender an der Uni in Austin ist vollgepackt mit Terminen. Trotzdem startet der Stuttgarter seinen Tag erstmal ganz entspannt. Mit Jazz-Musik groovt sich der 24-jährige Modellathlet am Morgen ein. Meistens rollt er dann mit seinem E-Scooter über den Uni-Campus. Der Tag ist streng durchgetaktet: Training, Vorlesung, Physio und Lernen. Dazu kommen Wetttkämpfe in der amerikanischen College-Liga NCAA.
Sein Sportstipendium an der University of Texas macht das alles aber deutlich leichter. "Die Uni hat alles, was man sich vorstellen kann. Wir fliegen mit Privatjets zu den Wettkämpfen, an der Uni ist alles neu gebaut, es sieht echt alles cool aus. Man merkt schon, dass die Uni gut Geld hat", erklärt der Zehnkämpfer.
Das Sportbudget der University of Texas liegt bei circa 220 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das Bundesinnenministerium investiert im Jahr ungefähr 300 Millionen Euro in den gesamten deutschen Sport. Für die Leistungssportler der Uni gibt es dafür ein Rundumsorglospaket: Trainer, Physios, Kraftraum, Ernährungsexperten und akademische Berater. Für Leo Neugebauer ist es ein optimaler Weg für seine Leistungsentwicklung.
Vom Underdog zum Zehnkampf-Überflieger
Mithilfe der Agentur Scholarbook ließ sich Neugebauer 2020 an die University of Texas vermitteln. Scholarbook hat seit seiner Gründung mehr als 3.500 Athleten in die USA gebracht. Für Leo Neugebauer eine Entscheidung, die sich ausgezahlt hat: Über vier Jahre lang konnte er an der Uni mit einem Vollstipendium Wirtschaft studieren und bis zu fünf Stunden am Tag trainieren. Zusammen mit zwei Vollzeit-Trainern hat er intensiv an seiner sportlichen Form gearbeitet.
Bevor Leo Neugebauer in die USA ging, hatte er im Zehnkampf eine Bestleistung von 7.886 Punkten. Innerhalb von vier Jahren packt der 100-Kilo-Athlet über 1.000 Punkte oben drauf und geht als Goldfavorit zu den Olympischen Spielen nach Paris. Auch sein letzter Test vor den Spielen lief vielversprechend: Beim Thorbe-Cup in Wetzlar (21.07.2024) stellte er im Stabhochsprung mit 5,30 Metern eine persönliche Bestleistung auf: Ein Fingerzeig an die internationale Konkurrenz, dass in Paris kein Weg an ihm vorbeiführt. Auch sein schärfster Konkurrent auf nationaler Ebene, der Mainzer Niklas Kaul, attestiert ihm Goldambitionen: "Wenn er durchkommt, gewinnt er Olympia."
"Leo ist ein Quatschkopf"
Die meiste Zeit Leo Neugebauer mit seinem Coach Jim Garnham. Die beiden haben sich über die Jahre kennen und schätzen gelernt und sich zusammen entwickelt. "Leo ist ein Quatschkopf. Wenn er keine Scherze macht, weiß man, dass etwas nicht stimmt. Ich glaube, dass er in der Lage ist etwas zu schaffen, das keiner vor ihm jemals erreicht hat", erklärt der Mehrkampftrainer der Uni Texas.
Obwohl Leo Neugebauer in den Disziplinen Diskus, Weitsprung und Stabhochsprung die meisten Punkte sammelt, besteht das Trainingsprinzip von ihm und seinem Trainer darin, in allen Disziplinen ein bisschen besser zu werden. Dieses Prinzip ging auf: 2023 konnte Leo Neugebauer den 39 Jahre alten Deutschen Rekord von Jürgen Hingsen brechen und ihn 2024 nochmal verbessern. Ein Ende seiner Entwicklung ist noch nicht in Sicht: "Wenn alles perfekt läuft, traue ich mir irgendwann die 9.000 Punkte zu", erklärt er selbstbewusst.
Weit weg von Familie und Freunden
Ein Stipendium an einer amerikanischen Uni bringt allerdings nicht nur Vorteile mit sich. Seine Familie und die Freunde aus der Heimat sieht Leo Neugebauer in den letzten Jahren nur selten. Ein bis zweimal im Jahr finanziert die Uni einen Heimatbesuch. Neben den Wettkämpfen und Uni-Terminen bleibt für die Familie aber selten mehr Zeit als ein bis zwei Wochen.
Zehnkämpfer hofft auf Medaille Niklas Kaul über Leo Neugebauer: "Wenn er durchkommt, gewinnt er Olympia"
Zehnkämpfer Niklas Kaul sieht bei den Olympischen Spielen seinen Teamkollegen Leo Neugebauer als Topfavoriten. Er selbst strebt bei den Sommerspielen seine Saisonbestleistung an.
Für Neugebauer eine neue Situation, auf die er sich aber gut einstellen kann: "Klar vermisst man sich, aber ich telefoniere viel mit meinen Eltern und wenn ich zuhause bin, ist die Zeit noch intensiver geworden." Obwohl Leo Neugebauer sportlich durch die Decke geht, ist er auf dem Boden geblieben und schätzt, was er hat: "Ich empfinde einfach eine Riesenfreude und Dankbarkeit, dass ich jetzt soweit gekommen bin und bei den Olympischen Spielen dabei bin."
"Bei Olympia möchte ich einfach Spaß haben"
Der bevorstehende Start bei den Olympischen Spielen zaubert Leo Neugebauer ein Lächeln aufs Gesicht: "Das ist pure Freude, da werden so viele von meinen Freunden und meiner Familie dabei sein. Es ist einfach krass, dass ich vor denen da performen darf." Keine Frage, dass Leo Neugebauer in Paris "so fit wie möglich" sein möchte. Das Wichtigste für ihn ist aber der Spaß am Wettkampf. Diese Lockerheit braucht der Stuttgarter, um sein volles Potenzial auszuschöpfen. Denn der College-Athlet begeistert nicht nur die Experten mit seinen Leistungen, sondern auch das Publikum mit seinem Showcharakter.