Russische Invasion | Meinung

Krieg in der Ukraine: Wenn der Sport sich nicht positioniert, dann ist er wertlos

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Autor/in
Pirmin Styrnol

Die russische Invasion in die Ukraine stellt auch den Profi-Sport vor elementare Fragen. Wie umgehen mit Putins Russland? SWR-Reporter Pirmin Styrnol hat die Ukraine mehrfach bereist, kennt viele Menschen dort und findet: Wenn der Profi-Sport nicht klar Position bezieht, dann ist er wertlos.

Eines vorneweg: Das hier ist ein Kommentar. Eine Meinung. Meine ganz persönliche. Ich bin emotional, natürlich. Und ich finde, das müssen wir alle sein. Eine Atommacht hat mitten in Europa ihren Nachbarn angegriffen. Und nein, der Grund dafür ist keine angebliche Umzingelung seitens der NATO, keine Provokation des Westens oder eine Bedrohung durch die Ukraine. Der Grund dafür sind völkische Fantasien seitens des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seine Rede vor wenigen Tagen klang verdächtig nach "Heim ins Reich" – und wozu das führen kann, das hat die deutsche Geschichte gezeigt. Ich weiß, das hier ist ein Kommentar für ein sportjournalistisches Medium, aber so viel Exkurs muss sein.

Sport war nie unpolitisch – und wird es niemals sein

Putins Angriff kam nicht aus dem Nichts. Er deutete sich seit Monaten an, und wenn man ehrlich ist, dann muss man spätestens jetzt erkennen, dass diese Invasion von langer Hand vorbereitet war und mit der Annexion der Krim im Jahr 2014 begann. Was das alles mit dem Sport zu tun hat? Der Sport, genauso wie die westliche Politik, hat sich seit Jahren weggeduckt. IOC-Präsident Thomas Bach wird in seiner fehlgeleiteten Vorstellung nicht müde zu betonen, dass Sport für ihn unpolitisch sei. Das ist er nicht. Das war er nie. Und das wird er auch niemals sein. Ich bin Sportjournalist geworden, weil mich die moralische und gesellschaftliche Kraft des Sports immer fasziniert hat. "Sport has the power to change the world" ("Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern"), hat Nelson Mandela einmal gesagt. Er hatte recht. Doch wenn der Profi-Sport diese Kraft nicht einsetzt, wozu brauchen wir ihn dann? Was haben Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainer heute davon, dass ein Mann in Stuttgart wunderschön gegen den Ball treten kann? Was haben sie von einem Weltrekord einer jamaikanischen Sprinterin oder von Tom Bradys siebtem Super-Bowl-Ring? Sie haben nichts davon – es sei denn, diese Sportler nutzen ihre Reichweite und Symbolkraft, um Zeichen zu setzen. Und genau das muss spätestens jetzt geschehen. Und zwar auf jeder Ebene.

Russlands Präsident Präsident Vladimir Putin (links) und IOC-Präsident Thomas Bach (rechts) stehen nah beieinander und schauen sich tief in die Augen.
IOC-Präsident Thomas Bach (rechts) verharrt seit Jahren auf dem Standpunkt, dass Sport unpolitisch sei. Russlands Präsident Wladimir Putin nutzt internationale Großereignisse, um das Image seines Landes aufzupolieren.

Ein Schlag ins Gesicht der Ukrainer

Dass Diktatoren und Unrechtsregime Greenwashing durch Sportveranstaltungen betreiben ist seit Jahrzehnten Usus. Auch Wladimir Putin nutzt dieses Mittel. Alleine im Jahr 2022 sollen das Champions League Finale (St. Petersburg), die Volleyball-WM (Russland) und die Kurzbahn-WM der Schwimmer (Kasan) in der Russischen Föderation stattfinden. Dazu kommt der Formel 1 Grand Prix in Sotschi und viele weitere große und kleine Einzelveranstaltungen. Wenn der Sport seine Vorreiterrolle als moralische Instanz ernst nimmt, dann darf all das nicht stattfinden. Alles andere wäre eine Farce. Bereits die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland war ein Schlag ins Gesicht der Ukrainer. Ich war damals an der Fußball-Übertragung für die ARD beteiligt, aus heutiger Sicht ein Fehler. Auch wenn wir immer wieder kritisch über Putin berichteten - diese WM hätte gar nicht stattfinden dürfen. Weder vor Ort, noch im TV. Zum Zeitpunkt der Weltmeisterschaft hatte der Kreml bereits vier Jahre lang einen Krieg in der Ost-Ukraine finanziert – die FIFA musste sich zwischen dem moralisch Richtigen und dem Geld entscheiden. Und tat das, was sie immer tut. Dieselbe Frage stellt sich heute für die UEFA, den Weltvolleyballverband, den internationalen Schwimmverband und die Formel 1. Und natürlich auch für den FC Schalke 04 mit seinem Hauptsponsor Gazprom. Die Ausreden sind immer dieselben: Sport und Politik sollten sich nicht vermischen.

Eine Schande für den Profisport

Diese Ausrede ist eine Schande für den Profi-Sport. Für mich ist klar: Wenn sich Verbände und Sport-Stars jetzt nicht klar positionieren, dann hat der Profi-Sport keine Daseinsberechtigung mehr. Denn wer sich jetzt nicht gegen Putins Krieg ausspricht, der legitimiert dessen Handeln. Dann steht der Sport nicht mehr für Fairplay und moralische Verantwortung, sondern nur noch dafür, sich des Geldes wegen wegzuducken, wenn ein Unrecht geschieht. Dann steht der Sport für Moneten statt Moral. Und dann sehe ich persönlich auch keinen Grund mehr, über Weltrekorde und Super-Bowl-Ringe zu berichten. Dann habe auch ich nichts mehr davon, wenn in Stuttgart jemand wunderschön gegen den Ball tritt.

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Pirmin Styrnol