Kurz vor Silvester, am 29.12.2011, betritt Christian Streich mit dunkelblauem Pullover und hellbraunem Schal den kleinen Presseraum im Dreisamstadion. Kameraleute und Reporter sitzen und stehen dicht gedrängt. Streich wird als neuer Cheftrainer vorgestellt. Sichtlich gerührt spricht er von der "vielleicht schwierigsten Entscheidung in meinem Leben" und meint damit die Entlassung von Marcus Sorg. Unter Sorg hatte er zuvor als Co-Trainer gearbeitet.
Es war die bis heute letzte Pressekonferenz, bei der ein neuer Trainer für die Profis des Sport-Club vorgestellt wurde, und das hat seine Gründe.
Sportlicher Erfolg und Vertrauen in den Nachwuchs
In seiner ersten Rückrunde führte Streich das Team vom letzten Tabellenplatz zum Klassenerhalt. Eines seiner Erfolgsrezepte damals wie heute: Er vertraute jungen Spielern wie Matthias Ginter, der im Januar 2012 unter Streich sein Profi-Debüt gab und in der 88. Minute gegen Augsburg den Siegtreffer erzielte. Aktuelle Beispiele für Streichs Händchen im Umgang mit jungen Talenten sind Kapitän Christian Günter, Kevin Schade, Noah Weißhaupt oder auch Torwart Noah Atubolu. "Er hat mir die Chance gegeben, mich zu zeigen und das Vertrauen, auch mal Fehler machen zu dürfen", beschrieb Ginter rückblickend Streichs Arbeit mit jungen Spielern. Es sei damals nicht selbstverständlich gewesen, dass Streich ihn in so jungen Jahren im Abstiegskampf habe spielen lassen. "Er hat mir sportlich und menschlich viel mit auf den Weg gegeben." Die Entwicklung junger Spieler ist beim SC Freiburg eine wesentliche Anforderung an den Cheftrainer. Streich und sein Team zeigen seit Jahren, dass sie diesem Anspruch gerecht werden.
Europa League und Abstieg 2015
In der Saison 2013/14 spielte der Sport-Club unter Streich dann international in der Europa League und kämpfte in der Bundesliga gegen den Abstieg - letztlich erfolgreich. Eine Spielzeit später allerdings stieg Streichs Team denkbar knapp nach einer Niederlage gegen Hannover aus der Bundesliga ab. Besonders tragisch war damals, dass die Freiburger am vorletzten Spieltag mit einem Sieg gegen Bayern München beste Voraussetzungen für den Klassenerhalt geschaffen hatten. Trauer und Wut habe Streich damals empfunden, sagte er später. Aber auch das Pflichtbewusstsein nach dem Abstieg weiterzumachen und Verantwortung zu übernehmen.
Es folgte der direkte Wiederaufstieg. Seitdem gilt der SC Freiburg als fester Bestandteil der Bundesliga, in der für Christian Streich das Ziel aber immer nur der Klassenerhalt sein kann. Bodenständigkeit, Demut, Bescheidenheit und Realismus sind die Freiburger Schlagworte, die auch in den Interviews von Christian Streich seit Jahren fallen. So trägt Streich auch in der Außendarstellung immer wieder dazu bei, dass die Freiburger Werte gehört und von einem Großteil der Fans auch verstanden werden.
DFB-Pokalfinale 2022 und Europa League
Neben seiner fachlichen Kompetenz und Erfahrung ist sein Umgang mit den Spielern geprägt von Ehrlichkeit und Einfühlungsvermögen, das ist seit Jahren von den Spielern zu hören. So bezeichnete Vincenzo Grifo Streich als "Vaterfigur". Er habe mehr Lebenserfahrung und wolle Dinge mitgeben, die wichtig seien im Leben und im Fußball. Streich hört den Spielern zu, interessiert sich für das Leben seiner Jungs auch außerhalb des Platzes. Gleichzeitig gab er in einem "Spiegel"-Interview zu, sich seiner Rolle als Trainer dabei stets bewusst zu sein, denn "je persönlicher es ist, desto schwieriger kann es werden".
Fußball | Bundesliga Bisherige Saison des SC Freiburg: Abstand nach unten und Luft nach oben?
Der SC Freiburg überwintert mit 24 Punkten auf dem achten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga. Nach dem Verlauf der Hinrunde ist das ein ordentliches Ergebnis.
Als Trainer des SC hat Christian Streich in den vergangenen beiden Spielzeiten Erstaunliches geleistet. Das DFB-Pokalfinale 2022 in Berlin war der bisher größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Zum zweiten Mal in Folge in der Europe League zu spielen und trotzdem in der Bundesliga zu bestehen, ist hoch anzurechnen. 2021/22 hatte sein Team kurz vor Ende der Saison sogar die Chance auf einen Champions-League-Platz, das hätte sich der 58-Jährige bei seinem Amtsantritt vor zwölf Jahren sicher nicht träumen lassen. Der "Kicker" kürte ihn zum "Trainer des Jahres". Streich kommentierte, diese Auszeichnung habe der ganze Verein verdient.
Wirken neben dem Platz - "Homo politicus"
Christian Streich ist weit über die Grenzen des Breisgaus hinaus vor allem auch dafür bekannt, dass er seine politischen und gesellschaftlichen Gedanken teilt, wenn er danach gefragt wird. Von der Zeitung "FAZ" wurde er als "homo politicus" unter den Bundesliga-Trainern beschrieben. Er sieht und benennt das Große und Ganze. Zum Beispiel Mitte Dezember, als er die Fanproteste gegen den Investoren-Deal der Deutschen Fußball-Liga (DFL) mit folgenden Worten kommentierte: "Wir leben ja in einer Demokratie. Es gibt Länder, wo du im Gefängnis laden würdest, wenn du das machen würdest. Von daher sind wir einfach froh, dass wir in diesem deutschen Land leben, wo noch eine Demokratie vorherrscht."
Für seine klare Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung wurde Streich Mitte November mit dem Julius-Hirsch-Ehrenpreis ausgezeichnet: "Mit seinen stets authentischen Statements ruft er nicht nur zur Zivilcourage auf, sondern ist selbst ein Vorbild dafür", hieß es in der Begründung.
Heimatverbunden und nah bei der Familie
Der SC Freiburg und Christian Streich bilden eine dauerhafte Symbiose. Das wissen beide Seiten zu schätzen: "Sicherlich ist das in Freiburg eine ganz besondere Konstellation aufgrund der Menschen, die hier arbeiten. Aber das Vertrauen kommt sicherlich auch daher, dass die Leute überzeugt sind, dass diese Konstellation gut ist", sagte Streich. Der 58-Jährige wohnt in Freiburg, bezeichnet sich selbst als eitel und weiß, dass die Nähe zu Freunden und Familie in seinem Beruf keine Selbstverständlichkeit ist. Als "seltenes Privileg" und "Ausnahmesituation, die sich viele wünschen würden", benannte er seine Trainersituation in Freiburg im "Kicker".
Wie lange ist Christian Streich noch Trainer des SC Freiburg?
Vielleicht ist das auch deshalb schwer, sich Christian Streich bei einem anderen Verein vorzustellen. Beim SC Freiburg hat er mittlerweile mehr als 370 Bundesligaspiele als Trainer bestritten - mehr als Volker Finke und Rekord beim Sport-Club. Ein Engagement bei einem anderen Verein kommt für ihn nicht mehr in Frage: "Ich bin sehr von eingespielten Prozessen und Menschen abhängig, damit es funktioniert", wird er in einem Interview mit dem Magazin "11Freunde" vom Oktober zitiert. "Ich glaube, dass ich ein so positives Gebilde nirgendwo selbst gefunden hätte."
Nach 12 Jahren im Amt bleibt eine drängende Frage: Wie lange ist Christian Streich noch Trainer des SC Freiburg? Er spüre, dass er älter werde, heißt es in dem Interview. "Und wenn ich feststelle, dass es nicht mehr reicht und es einen Jüngeren braucht, um an die Spieler ranzukommen, höre ich auf."