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Nachwuchstrainer nach dem Burnout

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Autor/in
Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

Vor neun Jahren, am 10. November 2009, nahm sich Nationaltorwart Robert Enke das Leben. Er litt an Depressionen. Markus Miller, Ex-Keeper des Karlsruher SC, erkrankte zwei Jahre später an Burnout, ließ sich behandeln und wurde gesund. Seine Erfahrungen gibt er heute als Torwarttrainer weiter.

"Komm, Philipp, den kriegst du!" Die Stimme von Markus Miller hallt über einen der Trainingsplätze im Nachwuchsleistungszentrum des VfL Wolfsburg. Markus Miller ist in seinem Element. Als Nachwuchs-Torwarttrainer coacht der 36-Jährige an diesem Abend die Torhüter der B-Junioren des VfL Wolfsburg. Die drei Jungs hechten sich nach den Bällen. Der 15-jährige Philipp Schulze ist begeistert von seinem Trainer.

Immer mehr. Immer besser.

"Wenn’s drauf ankommt, muss man Leistung bringen. Klar kann man ein bisschen Spaß haben. Aber wenn man Vollgas geben muss, gibt Markus Gas und wir auch", sagt der DFB-Juniorennationaltorhüter.

Gas geben. Das hat Markus Miller sein Leben lang gemacht. Ob als junger Kerl beim VfB Stuttgart, wo er das Fußball-Internat besuchte und bei der U23 im Tor stand, oder später als Bundesliga-Profi beim Karlsruher SC. Ein Spiel bleibt unvergessen: Am 21. September 2004 hält Miller im DFB-Pokalspiel des Zweitligisten KSC gegen Erstligist Mainz 05 zwei Elfmeter und wird zum Matchwinner. An diesem Tag bekommt er einen neuen Namen: "Killer-Miller". Von da an wollte Miller mehr. Immer mehr. Er wollte immer besser werden.

Seine Gedanken waren "verklebt"

Im SWR-Gespräch erinnert er sich: "Ich wollte immer alles perfekt machen. Auch wenn es schon gut war, wollte ich es noch besser machen. Dinge, die eigentlich genügend waren, reichten nicht aus. Dann besteht die Gefahr, in eine Spirale zu kommen." Eine Spirale, aus der sein Torwartkollege Robert Enke irgendwann nicht mehr herausfand. Im November 2009 nahm sich der Nationaltorwart das Leben. Enke litt an schweren Depressionen. Er hatte eine Fassade aufgebaut. Nach außen war er immer stark gewesen, innerlich aber balancierte er jahrelang am Abgrund. Bis er keinen Ausweg mehr sah und sich vor einen Zug warf.

Zwei Jahre später wurde auch Markus Miller, inzwischen beim Enke-Club Hannover 96 gelandet, von Ängsten und Erschöpfungssymptomen geplagt. Seine Gedanken hätten sich damals "verklebt", sagt er rückblickend. "Der entscheidende Punkt war, als ich morgens zum Training fahren wollte und gemerkt habe, ich kann irgendwie nicht mehr weiterfahren. Da habe ich gemerkt: Wenn ich meinem Traumberuf nicht mehr nachkommen kann, dann passt irgendwas nicht."

Dank an Robert Enke

Miller holte sich ärztliche Hilfe. Er entschied sich gegen ein Versteckspiel, machte als erster Bundesliga-Profi seine Erkrankung öffentlich und begab sich für einige Wochen zur Behandlung in eine Klinik. Er ging - unterstützt von seiner Frau Marina - bewusst einen anderen Weg als Robert Enke. "So tragisch die Geschichte von Robert war, sie hat mir geholfen, das Ganze anzugehen. Letztendlich habe ich es ihm zu verdanken, dass ich so meinen Weg gehen konnte, wie ich ihn gegangen bin", erzählt Miller. Gut zwei Monate nach seiner Erkrankung feierte Miller sein Comeback auf dem Platz.

Miller hat viel gelernt durch seine gesundheitliche Krise. Er hat eine Ausbildung zum Sport-Mentaltrainer gemacht, sitzt im Kuratorium der Robert-Enke-Stiftung. Er sei gelassener geworden, sagt er, gönne sich trotz seines hohen Arbeitspensums wichtige Ruhephasen. Auch seine jungen Torhüter in Wolfsburg ermutigt er, einfach mal durchzuatmen. Nicht permanent unter Strom zu stehen. Denn, so sagt Miller, "Druck bekommen wir überall – ob von den Eltern, den Beratern oder vom Cheftrainer. Da muss ich als Torwarttrainer nicht auch noch in die gleiche Kerbe schlagen."

Trainer und Lebenscoach

Miller arbeitet meist in einer kleinen Trainingsgruppe mit den Nachwuchs-Keepern. Die Talente duzen ihn und - sie vertrauen ihm. Denn Miller ist ein offener und ehrlicher Mensch. Die Jungs kennen seine Burnout-Geschichte. Der 16-jährige Gian-Luca Graefe meint anerkennend: "Ich denke, es zeugt von Größe, wenn man das im aktiven Bereich so zeigen kann, aber trotzdem wiederkehrt. Das ist eine ganz große Stärke, die man da zeigt."

Für Torhüter-Kollege Niklas Wienhold ist Markus Miller ein väterlicher Freund, bei dem er auch nachts anrufen könne, wenn er ein Problem habe. "Wenn wir mal einen schlechten Tag haben, sagt er: Das hat jeder mal. Nächstes Training bist du dann stärker. Und so ist es dann auch."

Markus Miller ist mehr als ein Torwarttrainer. Er scheint für die jungen Talente auch eine Art Lebenscoach zu sein (inzwischen wieder in seiner alten Heimat Karlsruhe).