Ingrid musste ihr ganzes Leben mit wenig Geld auskommen. Ihr kleines Haus ist dennoch voller ungewöhnlicher Schätze, die sie auf verschiedensten Wegen gesammelt und gefunden hat.
Hoch über der Lahn, im Dörfchen Winden im Westerwald, dicht an der Kirchenmauer steht ein kleines Häuschen – dahinter ein noch kleineres Haus direkt unter der Kirche, gebaut auf einem ehemaligen Zehntkeller. Hier wohnt die 81-jährige Ingrid Hustädte. Ingrid hat ein bewegtes Leben hinter sich. Sie liebt Kunst und Flohmärkte – ihr Haus ist voller Stillleben, gebaut aus Fundstücken, die sie im Wald, auf Feldern und Wiesen, beim Tauchen im Meer, in alten Hotels oder auf Flohmärkten aufgestöbert hat. Dabei hat sie ein kleines Reich geschaffen, in dem wie auf einem Wimmelbild unzählige Objekte versammelt sind: Möbel aus verschiedenen Epochen und Originalgemälde des 2003 verstorbenen Künstlers Rudolf Kaster. Ingrid hat viele Jahre mit dem Künstler zusammengearbeitet und bei vielen seiner Arbeiten handwerklich mitgewirkt – die beiden verband bis zu Kasters Tod eine enge Freundschaft.
Haus hat fast den ganzen Tag Sonne
Das Haus wurde in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom Reichsarbeitsdienst als Gerätelager gebaut. Durch den felsigen Untergrund sind Wände, Decken und Dach etwas schief – was dem Haus einen besonderen Charme verleiht. Als Ingrid Anfang der 1970er Jahre mit ihrem Mann und ihrem damals fünf Jahre alten Sohn auf der Suche nach einem Haus auf dem Land war, entdeckten sie das Haus an der Kirchenmauer. Was allen besonders gut gefiel: Das Haus mit seinem Vorgärtchen und dem großen Obstgarten hat fast den ganzen Tag Sonne. Für die Familie war es ein idealer Ort: Sie hatten mehr Platz als in der Stadt, ihr Sohn konnte hier in der Höhenluft seine chronische Bronchitis kurieren, Ingrids Mann legte einen Gemüsegarten an und pflegte den Obstgarten.
Ingrid lebt inzwischen allein – ihr Mann ist gestorben, der Sohn längst aus dem Haus. Die Witwe empfängt aber gerne Gäste. Im Haus wechselt sie immer wieder die Möbel und Einrichtungsgegenstände und arrangiert sie neu – wie bei einem Szenenwechsel im Theater. Und sie findet immer wieder neue Gegenstände für ihr einzigartiges, geschmackvoll arrangiertes Sammelsurium auf den Regalen und Möbeln.
Viel Kunst von Rudolf Kaster an den Wänden
In dem 300 Jahre alten Häuschen über dem Felsenkeller, das auch zum Grundstück gehört, hat Ingrid ihr Atelier eingerichtet. Im Lauf der Jahre gestaltete sie die Räume mit ihren Fundstücken, ergatterte ausrangierte Möbel aus Bad Emser Hotels, restaurierte sie und schuf sich so einen individuellen Wohnraum, der einer Theater- oder Filmkulisse gleicht. An den Wänden hängen rund 40 Spiegel – man hat immer die Perspektive von gegenüber.
Mindestens genauso viele Gemälde von Rudolf Kaster hängen an den Wänden – andere stehen auf dem aufgeräumten Speicher. Manchmal tauscht sie ein Bild gegen ein anderes aus. Man könnte Ingrid als eine Pionierin des Upcyclings bezeichnen: Fast alle Einrichtungsgegenstände sind Second Hand. Ingrid hat jede Menge alte Hotelsessel aus dem nahegelegenen, ehemals mondänen Bad Ems, Sofas, Tische, Liegestühle und andere Möbelstücke günstig erworben und dann aufwändig restauriert. Oft musste sie mehrere Farbschichten entfernen, das Holz mit filigranen Schnitzereien behutsam säubern, abschleifen, polieren und die Möbel mit neuen Bezügen bespannen.
Wenn im Sommer viele Menschen zu Besuch kommen, verteilt Ingrid ihre restaurierten Liegestühle aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Obstgarten – dann sieht es nach ihren Worten aus „wie in einer Lungenheilanstalt“. Im Felsenkeller – dem ehemaligen Zehntkeller des Klosters Arnstein – lagerten Ingrid und ihr Mann ihren selbst gekelterten Wein.
Mit wenig Geld trotzdem prachtvoll wohnen
Ingrid musste immer mit wenig auskommen – die meisten ihrer Einrichtungsgegenstände hat sie gefunden, bekam sie geschenkt oder hat sie günstig gekauft. Trotz der Fülle an Gegenständen und Möbeln schafft sie es, eine eigene Ordnung aufrecht zu erhalten und eine individuelle Wohnatmosphäre zu schaffen. „Zauberhaus“ nennt Ingrids Nichte Leonore das Domizil ihrer Tante – und sie meint damit genau diese besondere Atmosphäre, die Kulisse für einen Film oder ein Märchen sein könnte. Leonore sagt über Ingrid und ihr Haus: „Es ist VOLL darin. Wir andere können alle nur LEER, damit es schön aussieht. Sie kann VOLL und trotzdem schön, trotzdem strukturiert, trotzdem aufgeräumt. Ingrid hätte Opern ausstatten können oder Theaterstücke. Sie ist Stilistin, ohne es je ‚gelernt‘ zu haben. Ingrid ist arm. Sie hat eine sehr kleine Rente. Und dennoch gelingt ihr eine Prachtentfaltung. Weil sie Fantasie hat und verspielt ist.“ Ingrids Haus der gefundenen Dinge ist in vielerlei Hinsicht ein Gesamtkunstwerk – und die Bewohnerin eine wahre Lebenskünstlerin.
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