Prominente Politiker und Pointen

So viel Spaß macht das Stockacher Narrengericht

Stand
Autor/in
Biggi Hoffmann
SWR-Redakteurin Biggi Hoffmann

Seit 1965 schwitzen Politiker auf der Anklagebank des Stockacher Narrengerichts und verteidigen sich büttenreif. Szenen und Kurioses aus den Verhandlungen finden Sie hier.

Lange Liste von angeklagten und verurteilten Politikern

Das Stockacher Narrengericht hat eine lange Historie bis ins 14. Jahrhundert und eine ebenso lange Liste von Verurteilten. In diesem Jahr musste ein Politiker der Grünen vor das Fastnachts-Gremium: Wie erwartet wurde Cem Özdemir verurteilt.

Angeklagte vor dem Stockacher Narrengericht bis 2004:

Cem Özdemir am 20.2.2020 vor dem Stockacher Narrengericht. Neben ihm sitzt der Narrenbüttel.
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir mussste am 20.2.2020 - was für ein närrisches Datum - vor das Stockacher Narrengericht. Neben ihm sitzt der Narrenbüttel, der dafür sorgt, dass das Protokoll bei der Verhandlung eingehalten wird. Özdemir wurde zwar in zwei von drei Anklagepunkten freigesprochen. Wegen „Vorteilssuche im Amt“ muss er aber wegen besonderer Schwere der Schuld 180 Liter Wein abliefern. Bild in Detailansicht öffnen
Annegret Kramp-Karrenbauer vor dem Stockacher Narrengericht
Annegret Kramp-Karrenbauer stellte sich 2019 dem Narrengericht. Sie wurde wegen "Entmannung der CDU" verurteilt. Außerdem habe sie die Wahl um den CDU-Vorsitz nur mit Hilfe der Jungen Union gewonnen. Das deuteten die Richter als "Thronraub durch Verführung Minderjähriger". Als Strafe musste sie 3 Eimer Wein à 60 Liter entrichten. Bild in Detailansicht öffnen
Thomas Strobl vor dem Stockacher Narrengericht
„Frauen an die Macht, auch in der Fastnacht“, das forderte Thomas Strobel 2018. Das Publikum im Saal war begeistert. Letztlich wurde der CDU-Politik jedoch wegen seiner Allmachtsphantasien schuldig gesprochen. Bei der Strafe ließen die Richter Gnade walten. Statt sechs Eimer à 60 Liter Wein, musste er nur sechs Eimer zu 41 Liter abliefern. Bild in Detailansicht öffnen
Malu Dreyer vor dem Stockacher Narrengericht
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin war im Februar vom Narrengericht im baden-württembergischen Stockach zur Zahlung des Strafweins verdonnert worden. Dreyer war von den Narren aus dem Kreis Konstanz in zwei von drei Anklagepunkten für schuldig befunden worden: Sie hatten ihr "wissentliche Karnevalisierung der Landespolitik" sowie einen Verrat am angeblichen Grundkonsens der SPD vorgeworfen, wonach sich Wahlsiege nicht gehören würden. Dreyer hatte 2016 die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz gewonnen. Bild in Detailansicht öffnen
Peter Altmaier vor dem Stockacher Narrengericht
Peter Altmaier (CDU), Chef des Bundeskanzleramts, kam 2015 mit einer vergleichsweise milden Strafe davon. Er wurde zur Zahlung von einem Eimer Wein verurteilt. Schuldig gemacht hatte er sich der Schweigsamkeit. Bild in Detailansicht öffnen
Winfried Kretschmann vor dem Stockacher Narrengericht
Im Fall Winfried Kretschmann (Grüne) ließ das Stockacher Narrengericht 2014 keine Milde walten: Der Ministerpräsident wurde zur Zahlung von drei Eimern Wein zu je 60 Litern verurteilt. Sein Vergehen: Umkehrung der gesellschaftlichen Ordnung. Bild in Detailansicht öffnen
Heiner Geißler vor dem Stockacher Narrengericht
2013 musste sich Heiner Geißler, Politiker (CDU) und Stuttgart 21-Schlichter, verantworten. Und zwar wegen folgender Punkte: "Fortgesetzte Beleidigung des Wählers durch Raub des politischen Koordinatensystems, Zerstörung der eigenen Partei und des politischen Establishments und wegen gröbster Fahrlässigkeit beim Sprengen, Schlichten und Putschen von Denkmälern aller Art." Er wurde zu drei Eimern Wein verurteilt, die er persönlich in Stockach ablieferte. Bild in Detailansicht öffnen
Philipp Rösler vor dem Stockacher Narrengericht
2012 lautete die Anklage für den Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP): "Unrechtmäßige Verwendung von heißer Luft" und "Herstellung von Seifenblasen". Er wurde nur teilweise für schuldig befunden und erhielt folgendes Urteil: Zwei Eimer Wein vom "Guten Roten". Sein Urteil enthielt allerdings eine Besserungsklausel, die ihm ein Skonto in Höhe des Wahlergebnisses der nächsten Landtagswahl einräumte. Nach der Wahlergebnis im Saarland konnte er also knapp 1,5 Liter Wein von seinem Strafmaß abziehen. Bild in Detailansicht öffnen
Frank-Walter Steinmeier vor dem Stockacher Narrengericht
2011 war der damalige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier als Angeklagter vor das Narrengericht getreten. Er sei ein Meister der Täuschung geworden, er habe die Linke verraten und sich als Verantwortlicher in der Regierung auf die Seite der Banker geschlagen, diese Punkte führte Kläger Thomas Warndorf gegen ihn ins Feld. Er wurde für schuldig befunden. Zur Strafe verhängte das Gericht viereinhalb Eimer Wein österreichischen Maßes, was 270 Litern Wein entspricht. Bild in Detailansicht öffnen
Renate Künast vor dem Stockacher Narrengericht
Renate Künast traf es 2010 in ihrer Funktion als Grünen-Fraktionschefin. Sie musste sich vor dem Narrengericht in Stockach wegen folgender Anklagepunkte verantworten: Machtgeilheit, Gewaltbereitschaft und Wahnvorstellungen, unter denen sie leide. Auch sie wurde schuldig gesprochen und zu eineinhalb Eimern Wein (90 Liter) verurteilt. Bild in Detailansicht öffnen
Willi Stächele vor dem Stockacher Narrengericht
Vergesslichkeit war einer der Anklagepunkte, die dem damaligen Landesfinanzminister Willi Stächele (CDU) vor dem grobgünstigen Gericht vorgeworfen wurde. Ihm wurde zur Last gelegt, seine Ehefrau an einer Autobahnraststätte stehen gelassen zu haben. Obwohl er Dutzende Finanzamtsvorsteher dazu bewegen konnte, als Chor dem Gericht ein Ständchen zu bringen, konnte ihn das nicht vor einer Verurteilung schützen. Bild in Detailansicht öffnen
Andrea Nahles steht vor dem Stockacher Narrengericht
2008 stand Andrea Nahles als stellvertretende Vorsitzende der SPD vor Gericht - unter anderem lautete die Anklage auf "Königsmord" am "König der Arbeiter", Franz Müntefering. Auch sie wurde für schuldig befunden und zu vier Eimern Wein (240 Liter) verurteilt. Bild in Detailansicht öffnen
Günther Oettinger steht vor dem Stockacher Narrengericht
Baden-Württembergs ehemaliger Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) traf es 2007 als Beklagter. Bei ihm lautete die Anklage auf "gedankenlose Schnellsprecherei" und Frauenfeindlichkeit. Bereits 1987 war er zum Stockacher Laufnarren ernannt worden - jedoch ohne Anklage. Doch er musste vor Gericht eingestehen, dass er die Kappe inzwischen verloren hatte. Dies bestrafte das Gericht vorab bereits mit einem Liter Wein und kannte dann auch keine Gnade mehr mit ihm. Bild in Detailansicht öffnen
Franz Josef Jung steht vor dem Stockacher Narrengericht
2006 war Ex-Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) an der Reihe. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem "Handeln ohne Einsicht und wider besseren Wissens". Von seinem Fürsprecher ließ sich das Gericht wenig beeindrucken, sprach ihn schuldig und verurteilte ihn zu zwei Eimern Wein. Zusätzlich behielt sich das Gericht vor, das Weingut seiner Familie zu besuchen. Jung stammt nämlich aus einer hessischen Winzerfamilie. Bild in Detailansicht öffnen
Peter Müller steht als Angeklagter vor dem Stockacher Narrengericht
Peter Müller (CDU), der damalige saarländische Ministerpräsident saß 2005 auf der Anklagebank. Er bekam den ersten und einzigen Freispruch! Allerdings wurde eine Ordnungsstrafe gegen ihn verhängt, wegen Ungebührlichkeiten gegenüber dem Gericht in Höhe von zwei Eimern Wein und der Teilnahme am Laienschauspiel in Stockach. Er hatte die Gerichtsnarren als "Beischläfer" betitelt. Bild in Detailansicht öffnen
Friedrich Merz vor dem Stockacher Narrengericht
2004 wurde dem ehemaligen Vizevorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz, die Narrenkappe aufgesetzt. Bei der Verhandlung nahmen die Richter insbesondere sein damaliges Steuerkonzept aufs Korn. Es hieß, er habe sich ein Steuerkonzept ausgedacht, das so eindeutig und klar sei, dass die "Lieblinge der Nation", die Finanzbeamten, arbeitslos würden. Ihr Urteil: zwei Eimer Wein. Bild in Detailansicht öffnen

Empörung nach Rede von Kramp-Karrenbauer 2019 in Stockach

Nach dem Auftritt von der angeklagten Annegret Kramp-Karrenbauer gab es einigen Wirbel in Stockach. Die CDU-Politikerin landete in der Verhandlung eine Pointe mit Nachwirkungen. Sie machte einen Witz über das dritte Geschlecht.

Vor dem „Hohen Grobgünstigen Narrengericht“ wie es auch heißt, kommt normalerweise niemand ungeschoren davon. Wirklich niemand?

Umstrittener und einziger Freispruch: Peter Müller (CDU) aus dem Saarland

Doch, einer hat es geschafft: Er wurde nicht wie alle anderen aus dem politischen Geschäft für seine Missetaten verurteilt. Dieser erste und einzige „Freispruch in der Sache“ 2005 für den damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) sei bis heute umstritten und gelte „im Nachhinein auch als krasses Fehlurteil“, gibt das Narrengericht selbst zu.  

Allerdings kam Müller doch nicht ganz ungeschoren davon. Weil er die Gerichtsnarren als „Beischläfer“ betitelt hatte, bekam er eine Ordnungsstrafe aufgebrummt: zwei Eimer Wein und die Verpflichtung am Laienschauspiel in Stockach teilzunehmen.

Prominente Angeklagte: von Kurt-Georg Kiesinger bis Angela Merkel

Prominente Politiker sitzen seit 1965 auf der närrischen Anklagebank in Stockach. Der erste war der baden-württembergische Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger (FDP). Mit humorigen Fastnachtsveranstaltungen tat man sich damals offensichtlich etwas schwer, wie man dem folgenden Video anmerkt. Heute nutzen Politiker die ernst-spaßige Verhandlung vor dem Narrengericht gerne, um sich volksnah und humorvoll zu zeigen.

SWR Retro: Ministerpräsident Kurt-Georg Kiesinger 1965 vor dem Narrengericht Stockach:


Auch Angela Merkel hat es schon erwischt: 2001 war sie noch nicht Bundeskanzlerin und wurde als CDU-Vorsitzende vorgeladen. Ihre Strafe fiel vergleichsweise milde aus: 1,5 Eimer Wein plus ein Eimer Verzugszinsen ergaben 150 Liter.

Strafen: Eimer von Wein werden in dutzende Liter umgerechnet

Einen Eimer Wein definieren die Stockacher Narrenrichter nämlich nicht etwa nach gewöhnlichen Haushaltseimern, sondern mit einer Füllmenge von 60 Litern. Manchmal lassen sich die Fastnachtsrichter auch eine kuriose Berechnung einfallen. 2012 wurde dem wegen „unrechtmäßiger Verwendung von heißer Luft“ angeklagte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) ein Skonto in Höhe des Wahlergebnisses der nächsten Landtagswahl eingeräumt: Nach der Wahl im Saarland durfte er knapp 1,5 Liter Wein von seiner Strafe abziehen.

Extras: Flaschensammeln für Thomas Strobl, Sozialstunden für Malu Dreyer

So kommen je nach Anklagepunkten und Urteil etliche Liter Wein zusammen. Eine der höchsten Strafen verhängte das Stockacher Narrengericht 2011 gegen den damaligen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier: viereinhalb Eimer Wein, was 270 Litern entspricht. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) musste 246 Liter Wein organisieren und wurde außerdem zum Flaschensammeln geschickt.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) musste 2018 vors Narrengericht:

Von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) - „die freche Malu“ - war das Stockacher Narrengericht 2017 so entsetzt, dass sie zu 150 Litern Wein plus Sozialstunden verurteilt wurde. Die Angeklagte hatte die Richter zweimal hintereinander als „Grobbrünstiges Narrengericht“ betitelt.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) steht 2017 vor dem Narrengericht in Stockach
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) steht 2017 vor dem Narrengericht in Stockach

Günther Oettinger: zum Laufnarr ernannt und Kappe verloren

Eine verlorene Laufnarren-Kappe hatte Ministerpräsident Günther Oettinger 2007 bereits vor der Verhandlung einen Liter Wein gekostet. Am Schluss kassierte er eine Strafe von 240 Litern Wein, unter anderem wegen „gedankenloser Schnellsprecherei“ und weil er offenbar mit korrupten Hintergedanken ein Fässchen Wein vorab auf der Gerichtsbühne platziert hatte.

Fürs „Hohe Grobgünstige Gericht“ darfs auch mal ein Bierchen sein

Manchmal scheint auch Bierdurst die Fastnachter vom Bodensee bei ihren Verurteilungen anzutreiben. Für die „Umkehrung der gesellschaftlichen Ordnung“ wurde Ministerpräsident Winfried Kretschmann 2014 zu drei Eimern Wein (180 Liter) und außerdem 200 Litern Bier verdonnert. Ein ähnliches, etwas milderes Urteil ereilte 2003 den Freiburger Regierungspräsidenten Sven von Ungern-Sternberg: 1 Eimer Wein und 100 Liter Bier. Die Biermarke wird dabei vorgegeben, wohl damit sich die Beklagten nicht mit billigem Fusel aus der Affäre ziehen können.

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