Kriminalistik

Verbrechen mithilfe von Virtual Reality verhindern

Stand
Autor/in
Thomas Hillebrandt
Thomas Hillebrandt, Redakteur und Reporter bei SWR Wissen aktuell
Onlinefassung
Leila Boucheligua

Wie treffen Straftäter ihre Entscheidungen und was geht in ihnen vor, während sie eine Straftat begehen? Das wollen Forschende aus Freiburg im Virtual-Reality-Labor herausfinden.

Im Jahr 2022 ist die Zahl der Wohnungseinbruchdiebstähle bundesweit wieder gestiegen – um 21,5 Prozent auf 65.908 Fälle (2021: 54.236 Fälle). Die Einbrecher verursachten dabei einen Schaden von mehr als 280 Millionen Euro. Die Aufklärungsquote ist mit nur 16,1 Prozent nach wie vor relativ niedrig.

Jeder kann zum Opfer werden. Dass in Wohnungen oder Häuser eingebrochen wird, geschieht in Deutschland statistisch 180-mal pro Tag. Die Erfolgsaussichten der Einbrecher sind hoch, die Aufklärungsquote ist niedrig. Das stellt ein großes Problem für Gesellschaft, Justiz und Polizei dar, das Forschende am Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht lösen wollen.  

In Virtual Reality Umgebungen wird untersucht, wie Einbrecher ihre Tatorte aussuchen

Das Team nutzt Techniken der Virtuellen Realität, um Straßen, Wohngebiete und Nachbarschaften im Computer nachzubauen und testet anschließend mit freiwilligen Probanden, ob ihr neuer Forschungsansatz zur Verbrechensbekämpfung funktioniert.   

Die virtuellen Umgebungen müssen nicht fotorealistisch sein, damit bei den Probanden der Effekt einer Immersion erreicht wird, sie sich also in der virtuelle Realität präsent fühlen.
Die virtuellen Umgebungen müssen nicht fotorealistisch sein, damit bei den Probanden der Effekt einer Immersion erreicht wird, sie sich also in der virtuelle Realität präsent fühlen.

Die Kriminologen wollen herauszufinden, nach welchen Kriterien Einbrecher ihre Tatorte aussuchen, worauf sie vor der eigentlichen Straftat achten und wie sie die jeweilige Umgebung analysieren – und das weltweit.  

Wie Patrick McClanahan, Kriminologe am Max-Plack-Institut (MPI) zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht erklärt, ist es sehr wichtig, dass die virtuellen Umgebungen so geschaffen werden, dass sie das jeweilige Land oder eine bestimmte Umgebung widerspiegeln können:

Häuser sehen in Deutschland anders aus als in Großbritannien oder in Amerika. Und wenn wir etwas in der virtuellen Realität bauen, muss es so aussehen, wie es die Leute erwarten. So wie es war, bevor sie ins Gefängnis gingen.

Gesetztestreue Bürger werden mit Straftätern verglichen

Das System erfasst die Kopf- und Augenbewegungen der Probanden – und liefert so Informationen darüber, wie gesetzestreue Bürger auf die virtuellen Wohngebiete schauen. Die Vergleichsgruppe bei diesem Projekt steht auf der anderen Seite des Gesetzes. In der Justizvollzugsanstalt Bruchsal haben sich über 60 Strafgefangene, die wegen Einbruchsdelikten verurteilt wurden, bereit erklärt, am Forschungsprojekt des Freiburger Max-Planck-Instituts teilzunehmen. 

In einem Raum, in dem sich sonst Gefangene mit ihren Anwälten treffen, installiert Wissenschaftler Dominik Gerstner die notwendige Technik: Computer, VR-Brille, Tracking-Sensorenystem, Controller – das gesamte System ist leicht zu transportieren und überall einsetzbar. 
In einem Raum, in dem sich sonst Gefangene mit ihren Anwälten treffen, installiert Wissenschaftler Dominik Gerstner die notwendige Technik: Computer, VR-Brille, Tracking-Sensorenystem, Controller – das gesamte System ist leicht zu transportieren und überall einsetzbar. 

Die verurteilten Straftäter sollen nun die virtuellen Häuser und Wohngebiete so erkunden, als ob sie dort einen Einbruch planen würden. Durch den Vergleich mit Nicht-Straftätern will man dann das spezifische Verhalten von Einbrechern herausfiltern, so die zumindest die Idee. 

Die Forschenden wollen letztlich auch herausfinden, ob das Eintauchen in die virtuelle Realität durch Hafterfahrungen beeinflusst wird, erklärt Kriminologe Dominik Gerstner:

In der aktuellen Studie hier, die wir jetzt auch in Bruchsal durchführen, da geht es im Prinzip darum, inwieweit diese Methode überhaupt anwendbar ist. Und letztendlich wollen wir auch wissen, welche Unterschiede es zu der Population gibt, die nicht im Gefängnis ist, also aktuell keine Haft erfährt.

Virtuelle Realitäten sind ein hilfreiches Werkzeug, um kriminelles Verhalten zu studieren

Die ersten Ergebnisse zeigen: Die virtuelle Welt funktioniert, die Einbrecher agieren tatsächlich ähnlich wie in echten Umgebungen. Ein Erfolg für die Idee von Jean-Louis van Gelder. Der Direktor am Freiburger Max-Planck-Institut setzt schon seit über 10 Jahren auf den Einsatz virtueller Techniken bei der Erforschung von Kriminalität und betont den Mehrwert der Methode:

Als Forscher ist man einfach nicht dabei, wenn Verbrecher agieren. Kriminologen haben also jahrelang etwas studiert, das sie nicht sehen können, was sehr einzigartig ist. In der virtuellen Realität können wir einen Tatort oder eine kriminalistische Situation nachbauen und dann Menschen in diese Situation versetzen, um zu sehen, wie sie mit dieser Situation interagieren.

Verbrechen verhindern mit Virtual Reality.
An dem Projekt des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg beteiligt sind die Kriminologen Patrick McClanahan und Dominik Gerstner.

So könne man sagen, dass es erstmals möglich sei, Verbrechen in Aktion zu sehen, sagt van Gelder. Das mache virtuelle Realitäten zu einem sehr guten Werkzeug, das in allen Bereichen der Sozialwissenschaften funktioniere, besonders für diese versteckten Verhaltensweisen, erklärt der Forscher weiter. 

Verhaltensmuster der Einbrecher sollen Maßnahmen zur Verhinderung von Verbrechen aufzeigen

Die Beobachtung, wie Straftäter in einer Virtuellen Realität agieren, liefert offensichtlich bessere Erkenntnisse, als wenn man sie nur interviewt oder einen Fragebogen ausfüllen lässt.  Die Max-Planck-Forscher wollen nun neue Ansätze zur Verhinderung von Einbrüchen entwickeln, indem sie bestimmte Muster im Verhalten von Einbrechern erkennen.  

Verbrechen verhindern mit Virtual Reality.
Mithilfe von Sensoren erfassen die Forschenden die Kopf- und Augenbewegungen der Probanden, während sich diese in einer virtuellen Umgebung bewegen.

Beispielsweise achten Einbrecher darauf, ob es gute Fluchtmöglichkeiten gibt oder bestimmte Gegenstände, die sie verwenden können, um in Fenster einzusteigen, sagt Dominik Gerstner. Derartige Faktoren können mithilfe der virtuellen Umgebung identifiziert werden, in der die Forschenden unmittelbar dabei sein können und durch das Design der Umgebung direkt eingreifen können, erklärt Gerstner.

Das Labor des Freiburger Max-Planck-Instituts ist das weltweit erste, in dem Virtual-Reality-Technik eingesetzt wird, um kriminelles Verhalten zu erforschen. Und das scheint wichtiger denn je, denn die Zahl der Wohnungs- und Hauseinbrüche steigt weiter an – und vorher genau zu wissen, wie ein Einbrecher seinen Tatort auswählt, verhindert dann vielleicht, ihm später in die Augen schauen zu müssen. 

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