Stolzes Forscherteam in Erlangen-Nürnberg
Mit Applaus wird Baby Oliver nach der Geburt im Kreißsaal des Nürnberg-Erlangener Krankenhauses begrüßt. Zwölfmal hatten die Erlangener Ärzte zuvor vergeblich eine "in vitro", also eine Befruchtung im Glas, bei verschiedenen Frauen versucht.
In England war die erste künstliche Befruchtung bereits vier Jahre früher geglückt. Doch die Briten hielten die Details der erfolgreichen Zeugung im Labor geheim, weshalb die deutschen Mediziner selbst experimentieren mussten. Der Erlanger Gynäkologe Prof. Siegfried Trotnow und sein Team schafften schließlich den Durchbruch und seien natürlich glücklich und stolz gewesen: „Wir als Wissenschaftler und Gynäkologen waren fest davon überzeugt, dass das eine große Zukunft hat, und dass wir den Frauen helfen.“
Auch Olivers Eltern hatten nicht damit gerechnet, dass sie die Ersten sind, bei denen diese Sensation gelingt. Schon sieben Jahre hatten sie vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen: „Dass wir gleich auf Anhieb das erste Ehepaar sind, wo es klappt, also das hätten wir uns nie träumen lassen.“
Rund zehn Millionen künstliche Befruchtungen weltweit
Bei dieser Art der Befruchtung werden Samen- und Eizellen in einem Laborglas zusammengeführt. Ist die Eizelle beziehungsweise dann der Embryo im Labor befruchtet, wird er in die Gebärmutter der Frau eingesetzt.
In den ersten Jahren reagierten viele noch irritiert bis empört auf den vermeintlich vermessenen Eingriff in die Natur. Inzwischen sind solche Vorbehalte die Ausnahme. Bereits rund zehn Millionen Kinder weltweit sind bereits durch die Befruchtung einer Eizelle im Reagenzglas entstanden. Doch eine Sorge ist geblieben: Birgt die Zeugung im Reagenzglas gesundheitliche Risiken?
In-vitro-Befruchtung als Risiko?
Schon länger ist klar, dass Kinder nach künstlicher Befruchtung etwas häufiger mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Das klingt bedenklich, kann aber auch weitgehend harmlos sein, erklärt Prof. Katharina Hancke, Leiterin des Kinderwunschzentrums der Uniklinik Ulm: „Das kann ein Herzfehler sein, der überhaupt nicht relevant ist oder irgendwas, was nicht sehr die Lebensqualität beeinträchtigt bis zu einer schweren körperlichen oder geistigen Behinderung, und da ist die Varianz sehr sehr groß.“
Auch bei natürlichen Geburten sind Fehlbildungen möglich, das passiert häufiger als viele vermuten. Man müsse sich immer klarmachen, dass wenn ein Paar auf natürlichem Wege schwanger werden würde, das Risiko einer Fehlbildung beim Kind plus/minus vier Prozent sei, so die Leiterin des Kinderwunschzentrums der Uniklinik Ulm. „Das heißt, vier von hundert Schwangerschaften haben irgendeine Auffälligkeit. Und die ist eben dann durch eine Kinderwunschmaßnahme bei sieben bis acht Prozent.“
Im Labor hergestellte Flüssigkeit: Möglicherweise Einfluss auf die Epigenetik
Ob eine künstliche Befruchtung möglicherweise auch die Blutgefäße schneller altern lässt und so das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, ist bisher noch unklar. Ein möglicher Auslöser könnte die Nährflüssigkeit sein, in der die Embryonen in den ersten Tagen heranwachsen – da würde es immer Unterschiede zu den natürlichen Bedingungen in der Gebärmutter geben, so Katharina Hancke. Natürlich versuche man im Labor technisch diese Flüssigkeit zu imitieren, aber es würde nie exakt die sein, die im Körper der Frau vorhanden wäre.
Auch in einer weiteren Forschung wird deshalb untersucht, welchen Einfluss dieses Kulturmedium auf die spätere Gesundheit des Kindes hat. Prof. Dr. Michael von Wolff, Leiter der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Universitätsspital Bern, sagte 2018 gegenüber dem Science Media Center: „Es ist relativ sicher, dass Kulturmedien einen Effekt haben. Es gibt jedoch keine schlüssigen Studien, die aufzeigen, welche Zusammensetzung des Kulturmediums das Risiko erhöht oder verringert.“
Einfluss der Eltern sind groß
Eine kleine Schweizer Studie von 2018 deutet auf mehr Fälle von Bluthochdruck nach künstlicher Befruchtung hin. Eine deutsche Untersuchung konnte dies später nicht bestätigen.
Doch bei solchen Studien gibt es immer das Problem: Selbst wenn bestimmte Gesundheitsprobleme nach Kinderwunschbehandlungen häufiger auftreten, kann nicht genau gesagt werden, was die Ursache ist.
Liegt es wirklich an der künstlichen Befruchtung? Oder doch, dass betroffene Paare meist schon älter sind oder eigene gesundheitliche Probleme haben? Untersuchungen mit Paaren, die sowohl mit medizinischer Hilfe als auch auf natürlichem Weg Eltern geworden sind, belegen nämlich einen großen Einfluss der Eltern.
Forschung möchte Chance für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch erhöhen
In der Forschung geht es derzeit allerdings weniger um mögliche Risiken als um neue Chancen. Die zentrale Frage lautet: Wie lassen sich die Erfolgsaussichten bei Kinderwunschpaaren erhöhen? Die sogenannte baby-take-home-rate liegt immer noch bei nur 23 Prozent. Nach einem Behandlungsversuch sind also immer noch rund drei Viertel der Paare ohne Nachwuchs. Daran hat sich seit Jahren nichts geändert.
Die Ulmer Kinderwunschexpertin Katharina Hancke, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, hofft deshalb auf neue Erkenntnisse. Im Mittelpunkt steht dabei unter anderem das sogenannte Endometrium, die Schleimhaut der Gebärmutter: