Für die Kinder ist so ein Adventskalender eine schöne Sache. Doch für Erwachsene baut sich auch mit jedem neuen Türchen eine Erwartungshaltung auf. Noch einen Tag Zeit, den Rest für das Essen einzukaufen, den Baum zu schmücken oder die Geschenke einzukaufen.
SWR2 Redakteur Christoph König im Gespräch mit Marcel Schütz, Professor für Organisation und Management an der Northern Business School NBS Hamburg.
Deshalb haben wir Weihnachtsstress
Christoph König, SWR2: Wie groß war Ihr Leidensdruck in der Familie, dass Sie irgendwann gesagt haben: Da müssen wir jetzt mal mit wissenschaftlichen Methoden ran?
Marcel Schütz, Professor für Organisation und Management: Das ist wohl von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Und man versucht natürlich mit einer wissenschaftlichen Distanz auch bei dem Thema Weihnachten noch heranzugehen. Aber es stimmt schon, Weihnachten verführt regelrecht zum Streit und man stellt sich die Frage: Wie kommt das eigentlich? Es hat sehr viel damit zu tun, dass sich die Erwartungen in der Vorweihnachtszeit stauen.
Das ganze Jahr läuft auf das Ende zu. Das heißt auch, dass vieles möglicherweise unausgesprochen geblieben ist. Mehrere Tage mit einigen Leuten auf einem vielleicht nicht ganz so großen Raum verbringen, das kann schon ziemlich beanspruchen. Irgendwann platzt es eben dann auch einmal.
Je perfekter man Weihnachten planen will, desto höher das Risiko einer Überforderung
Christoph König: Das ist aber für jemanden wie Sie, der über die Formen der Organisation unserer Gesellschaft nachdenkt, natürlich hochinteressant, oder?
Marcel Schütz: Ja, das ist auf jeden Fall so. Wir betrachten in Organisationen ja nicht nur die ganz klassischen formalen Abläufe, wie alles nach der guten Ordnung verläuft, sondern haben dann auch einen Blick aus der Wissenschaft auf die informellen Aktivitäten. Das heißt, das Unter- oder Zwischenleben, wie wir das nennen, die Stimmungen, die möglicherweise schlecht sind, die Atmosphäre, die nicht passt.
So wie man das in Unternehmen oder in Verwaltungen, in betrieblichen Strukturen antreffen kann, so können natürlich auch in Systemformen wie Familien oder in persönlichen Beziehungen schlechte Gefühle aufkommen, ein gewisser Zeitdruck entstehen.
Nicht alles läuft so ab, wie man es geplant hat. Man hat eigentlich geplant, dass alles schön läuft und funktioniert, aber die Tücke, die wir dann aus der wissenschaftlichen Perspektive betrachten können, ist dabei: Je genauer man alles plant und je präziser man ein perfektes Weihnachten oder eine perfekte Feierlichkeit gestalten will, desto stärker gerät man in das Risiko, dass man damit alle überfordert.
"Abwechslung ist eine gute Hilfe, um nicht in den totalen Weihnachtsstress zu geraten"
Christoph König: Das ist interessant, wenn Sie "perfekt" sagen. Wenn ich mir überlege, ich habe meine Familie vor mir und geh alle der Reihe nach durch und bei jedem bedeutet das Wort "perfekt" etwas völlig anderes. Ist das schon ein Teil des Problems?
Marcel Schütz: Ja, wir müssen sehen, dass es immer mehr Menschen auch innerhalb einer Familie gibt, die ganz unterschiedlichen Lebensstilen und Lebensvorstellungen nachgehen. Und nun muss in diesen Tagen alles synchronisiert werden.
Die Empfindungen und Vorstellungen müssen aufeinander abgestimmt werden. Dann kommt der Sohn aus der Großstadt in die ländliche Idylle und kehrt zurück an einen Ort, wo er sich gar nicht mehr gebunden fühlt, oder die Tochter, die schon international unterwegs ist, und die Eltern, die möglicherweise eine sehr konservative, gediegene Vorstellung von Weihnachten haben. Alle müssen in diesen Tagen gewissermaßen "Basis Rituale" finden können. Das kann der Gottesdienst sein, aber auch nicht mehr überall. Das kann auch ein Spaziergang sein oder auch sportliche Aktivität. Ja, man muss experimentieren. Abwechslung ist eine gute Hilfe, um nicht in den totalen Weihnachtsstress zu geraten.
Weniger Planung vor Weihnachten
Christoph König: Liegt denn der Fehler vielleicht schon ein Stück weit davor? Wie kann ich denn die Planung so anpassen, dass der Stress vor dem Fest und am Fest selbst dann doch ein bisschen geringer ist?
Marcel Schütz: Vielleicht ist das Erste, dass man nicht so sehr die Vorstellung hat, einer plant das Ganze und zu Hause wird das alles genau festgelegt, was zu tun ist. Die Leute müssen erst mal ankommen. Dass heißt, vielleicht sollte man nicht sofort anfangen, wer morgen wo besucht wird.
Die einen wollen vielleicht ein bisschen miteinander in einen Plausch gehen, die nächsten wollen joggen, wieder andere gehen mal ins Kino oder auch spazieren. Und dann kommt man eben zu bestimmten Zeiten wieder zusammen, gönnt aber auch jedem seinen Rückzugsort.
Es muss nicht über heikle Themen gesprochen werden
Christoph König: Mitunter ist das ja eine Zeit im Jahr, in der alle zusammenkommen. Und dann gibt es leider aber auch heikle Themen, die man ansprechen muss. Wie gehe ich denn am besten damit um?
Marcel Schütz: Es ist sicherlich nicht sehr klug, an diesen zwei Weihnachtstagen, die ganz schwierigen und heiklen Dinge auf den Tisch zu legen. Das ist auch deshalb problematisch, weil immer alle zusammen sind und selbst in einer Familie gibt es Themen, die nicht für alle geeignet sind. Auch da gibt es noch eine Intimität, eine Persönlichkeit, die man nicht mit jedem teilen möchte.
Und das heißt, dass es eigentlich ganz ratsam ist, nach Weihnachten, zwischen den Jahren, vielleicht auch den Kontakt dann zu diesem und jenem Familienmitglied zu suchen, mit dem vielleicht noch etwas zu klären ist. Und man dann auch sagen kann: Okay, wir haben ein schönes gemeinsames Weihnachtsfest gehabt und da wollen wir nicht über alle heiklen Themen sprechen.
Zeit ins neue Jahr zu blicken
Marcel Schütz: Aber die Zeit zwischen den Jahren, da kann man auch mal auf das nächste Jahr blicken, kann schauen, welche Baustellen gibt es denn noch und wo kann man vielleicht auch mal einen Konflikt austragen? Aber man muss vorsichtig sein, man muss die geeignete Situation finden, auch einmal jemanden zur Seite nehmen und nicht vor allen eine Eskalation riskieren. Und es passiert ja sehr oft, dass die Leute das gar nicht wollen.