Hirnforschung

Das Gehirn altert unabhängig von der Bildung eines Menschen

Stand
Autor/in
Elena Weidt
Onlinefassung
Hannah Vogel

Jedes Gehirn schrumpft im Alter, egal, wie lange jemand auf der Schule war. Das sagt eine neue Studie. Hilft mehr Bildung also doch nicht, um später geistig fit zu bleiben?

Bisher war die gängige wissenschaftliche Meinung: Bildung beeinflusst, wie unser Gehirn altert. Mehr Bildung, langsamere Alterung. Doch genau diesen Zusammenhang widerlegten nun Forschende von "Lifebrain", einem großen europäischen Forscherverband. Professor Ulman Lindenberger, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, ist einer der Autoren der Studie. Er sagt:

"Die Anzahl der Bildungsjahre oder die Höhe des Abschlusses haben keinen Einfluss darauf, wie schnell verschiedene Regionen des Gehirns im Laufe des Erwachsenenalters schrumpfen."

Forscher untersuchten 2.000 Gehirne

Mit "Schrumpfen" ist die Abnahme der grauen Substanz im Gehirn gemeint, das Absterben von Nervenzellen. Ob nun also Jurastudium oder Schreinerlehre: Die Anzahl an Bildungsjahren könne diesen Alterungsprozess weder verlangsamen noch stoppen. "Die Daten, die wir analysiert haben, zeigen das einfach nicht. Das ist eine schöne Vorstellung, aber sie scheint nicht zuzutreffen", sagt Lindenberger.

Studenten, die Mundschutz tragen, sitzen in einem Hörsaal (Symbolbild).
Die Anzahl an Bildungsjahren können den Alterungsprozess des Gehirns nicht stoppen.

Zu diesem Ergebnis kamen die Forscher, weil sie sich in MRT-Aufnahmen die Gehirne von über 2.000 Studienteilnehmern ansahen. Besser gesagt, bestimmte Teile des Gehirns:  die Großhirnrinde und den Hippocampus. Bei beiden ist es ganz normal, dass sie mit dem Altern schrumpfen. Dort ist das Schrumpfen Teil der normalen Alterung.

Die Forschenden sammelten diese Daten über elf Jahre hinweg, beobachten so die Veränderungen des Gehirnvolumens über die Zeit. Überall fanden sie das gleiche Ergebnis: keinen Zusammenhang zwischen früherer Bildung und der Alterung des Gehirns. Weil sehr viele Daten ausgewertet wurden, sei diese Studie schon ziemlich bedeutend, betont Professor Lindenberger.

Einfluss von Bildung im ersten Lebensdrittel untersucht

Eine gute Bildung, geistig aktiv zu sein, das alles soll also gar keinen Einfluss darauf haben, wie unser Gehirn altert? Man könnte die Studie auf den ersten Blick so verstehen. Was aber falsch wäre. In der Studie wurde nämlich nur der Einfluss der Bildung des ersten Lebensdrittels untersucht, also der Ausbildungsjahre bis etwa 30 und nicht was die StudienteilnehmerInnen in der Zeit danach gemacht haben.

Ein Mann füllt ein Kreuzworträtsel aus (Symbolbild).
Nicht untersucht haben die Forscher, ob die Bildung im Alter einen Unterschied macht bei der Alterung des Gehirns.

Das stellt auch Professor Lindenberger klar: "Wir sagen aber nicht dazu, dass das, was man macht, wenn man in einem bestimmten Alter ist – sagen wir mal 40, 50, 60 Jahre – ob das keinen Einfluss auf die Alterung hat. Dazu äußern wir uns in dem Papier nicht, weil wir das ja in dem Papier gar nicht untersucht haben."

Ein Punkt, den Professor Lutz Jäncke, Leiter des Psychologischen Instituts an der Uni Zürich stark kritisiert. Das sei eine verkürzte Darstellung von Bildung. "Entscheidend ist vor allen Dingen, was die Menschen nach der Schulzeit, nach der Ausbildung bis zum Pensionsalter machen, ob sie eine anspruchsvolle berufliche Tätigkeit machten, sich weiterbilden", sagt Jäncke.

"Wenn zum Beispiel ein Mensch sich ab dem 40. Lebensjahr ausklinkt, nichts mehr lernt, dann ist das für das Gehirn nicht gut. Unser Gehirn ist wie ein Muskel aufzufassen, der durch Übung und Training stimuliert wird. Und solche Sachen sind in dieser Studie nicht diskutiert und bearbeitet worden."

Einfluss haben Bewegung oder Ernährung

Die Studie könne als eine falsche Botschaft vermitteln, dass Bildung nicht wichtig wäre, sagt Jäncke. Doch genau das möchten die Lifebrain-Forscher auf gar keinen Fall. Nur klarstellen, dass eben das erste Lebensdrittel überschätzt werde, sagt Bildungsforscher Lindenberger.

"Man kann nicht denken, dass wenn man bis 30 einen Doktortitel gemacht hat, dass man dann gratis mitbekommt, dass dann die Alterung langsamer verläuft, sondern es kommt darauf an, was man im Rest seines Lebens tut."

Für das mittlere Erwachsenenalter gebe es klare Belege in der Wissenschaft, dass Bewegung, Ernährung, ein großes soziales Netzwerk und eine intellektuell stimulierende Umgebung durchaus einen Einfluss haben auf die Alterung des Gehirns. Und dazu kommt auch noch ein anderer Punkt: Es komme auch darauf an, wie jemand in den Alterungsprozess startet, sagt Lindenberger.

Jogger laufen über eine Brücke (Symbolbild)
Auch wer sich körperlich fit hält, tut etwas für sein Gehirn. Dafür gibt es wissenschaftliche Belege.

Ausgangslage des Gehirns entscheidend

In einer Studie konnte gezeigt werden, dass Menschen mit höherer Bildung ein etwas größeres Gehirn und mehr kognitive Fähigkeiten hätten: die sogenannte "kognitive Reserve". Und wer mit mehr Substanz starte, der erreiche dann auch erst später ein Niveau, das für das Gehirn gefährlich werden könnte, wenn man zum Beispiel an Demenz erkranke.

"Das Wissen wird im Gehirn repräsentiert durch eine größere Zahl an Verbindungen und wenn man sich jetzt dann vorstellt, dass die Gehirne schrumpfen, dann beginnt das Gehirn das mehr Bildung genossen hat mit einer größeren Zahl von Verbindungen, mit einem robusteren Netzwerk", sagt Lindenberger. "Aber der Abbau selbst findet in der gleichen Geschwindigkeit statt wie bei Personen mit weniger Bildung."

Abbauprozesse schreiten unterschiedlich voran

Wie sich das aber am Ende bei einem Menschen auswirkt, das sei durchaus sehr unterschiedlich und hänge von vielen Faktoren ab. Wie man sein Leben gestaltet, wie man sein Gehirn bis zum Ende des Lebens fit gehalten habe, sagt Jäncke. "Rund 25 bis 30 Prozent der älteren Menschen sind im hohen Alter noch geistig relativ stabil, wir haben also eine große Heterogenität im Alter zu berücksichtigen im Hinblick auf Abbauprozesse."

Ob wir geistig also alle gleich altern, dass lässt sich auch jetzt nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Denn es gibt natürlich Unterschiede. Nur hängen sie wohl nicht wie bisher vermutet mit der frühen Bildung zusammen.

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Elena Weidt
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Hannah Vogel