TikTok-Trend

Ist Rückwärtslaufen gut für unsere Gesundheit?

Stand
Autor/in
Richard Kraft
Elisabeth Theodoropoulos
Lilly Zerbst
Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst.

Rückwärtslaufen soll Schmerzen bei Arthrose lindern und Körperkoordination und die räumliche Wahrnehmung verbessern. Das verspricht zumindest TikTok.

Seit knapp einem Jahr berichten immer mehr Menschen von ihrer neuen Trainingsroutine: Rückwärtslaufen. Auf Social Media sprechen sie von immensen gesundheitlichen Vorteilen, die damit einhergehen. Doch die sozialen Medien gelten – sicherlich zurecht – nicht als das seriöseste Instrument, um sich faktenbasiert über einen Sachverhalt zu informieren. Was sagt die Wissenschaft zu diesem „Trend“?

Das verspricht der TikTok-Trend Rückwärtslaufen

Grundsätzlich tut körperliche Betätigung dem Körper gut, sei es ein einfacher Spaziergang oder Joggen. Das gilt auch beim Vorwärtslaufen. Jedoch soll Rückwärtslaufen laut verschiedener User auf TikTok darüber hinaus eine ganze Reihe weiterer positiver Effekte haben:

  • Verbesserte Beweglichkeit der Oberschenkel
  • Linderung von Knieschmerzen
  • Verbesserung der Haltung
  • Schärfung des Verstands
  • Verbesserung der Körperkoordination und -wahrnehmung
  • Verbessertes Erinnerungsvermögen
  • Höhere Problemlösungsfähigkeiten

Rückwärtsgehen schon vor 200 Jahren im Trend

Bisher gibt es nur wenige Studien zur Wirksamkeit von Rückwärtslaufen. Dabei ist der Trend gar nicht so neu: Bereits im 19. Jahrhundert gab es die ersten Berichte von Menschen, die hunderte, teilweise sogar tausende Meter rückwärtsgelaufen sind.

Ein besonderer Höhepunkt ereignete sich 1915. Bei einer Wette schaffte es Patrick Harmon von San Francisco nach New York zu laufen. Unabhängigen Zeitungsberichten zufolge soll er diese Strecke nur rückwärts gelaufen sein. Inwieweit das Rückwärtslaufen hier gesund für ihn war, ist schwer nachzuvollziehen, jedoch lohnt sich dafür ein Blick auf die aktuelle Forschungslage.

Auch heute werden noch Wetten um das Rückwärtslaufen abgeschlossen | Argon Vuka springt Hürden rückwärts.
Auch heute werden noch Wetten um das Rückwärtslaufen abgeschlossen: Argon Vuka springt bei der Fernsehshow "Wetten, dass...?" 110m Hürden rückwärts.

Körperkoordination: Unterschiede beim Rückwärtslaufen

Rückwärtslaufen ist nämlich nicht einfach das genaue Gegenteil von Vorwärtslaufen. Tatsächlich erfordert Rückwärtslaufen eine höhere kognitive Kontrolle. Besonders der präfrontale Kortex wird dabei verstärkt beansprucht. Dieses Hirnareal ist unter anderem dafür zuständig, Handlungen zu planen und auszuführen.

Dass dieses Areal bei eher ungewohnten Aktivitäten wie dem Rückwärtslaufen aktiver ist, macht Sinn. Denn das Gehirn kann sich beim Rückwärtslaufen weniger auf visuelle Reize verlassen, um eine Bewegung zu kontrollieren, und ist daher gezwungen, Handlungen präziser auszuführen.

Rückwärtslaufen könnte Schmerzen reduzieren

Aber auch der Bewegungsablauf selbst ist anders: Beim Rückwärtslaufen werden die Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur noch stärker als beim Vorwärtsgehen beansprucht. Eine höhere Aktivität des Quadrizeps – verortet an der Oberschenkelvorderseite – führt zum Beispiel zu einer Dehnung des Knies, wodurch ersten Studien zufolge Knieschmerzen reduziert werden können.

Ebenfalls wird durch die andere Motorik beim Rückwärtslaufen die Innenseite des Knies entlastet. Dort entwickeln ältere Menschen bevorzugt Arthritis. Insgesamt führt die höhere Aktivität verschiedener Muskelgruppen und Hirnareale auch dazu, dass beim Rückwärtslaufen mehr Kalorien verbrannt werden.

Beim Rückwärtslaufen kann das Knie gleichzeitig trainiert und entlastet werden. Das soll Schmerzen vorbeugen | Illustration schmerzendes Kniegelenk.
Beim Rückwärtslaufen kann das Knie gleichzeitig trainiert und entlastet werden. Das soll Schmerzen vorbeugen.

Wissenschaft zeigt: Rückwärtslaufen kann gesund sein

In der therapeutischen Praxis konnte in vielen Fällen bereits eine positive Wirkung gezeigt werden. Forschende haben dazu die Ergebnisse verschiedener Studien ausgewertet. Dabei kam heraus, dass Rückwärtslaufen in der Reha durchaus einen positiven Einfluss auf die Balance bei Parkinson-Patienten und bei Schlaganfall-Patienten haben kann.

Dennoch wurde betont, dass zwar ein Effekt beobachtet werden kann, jedoch die Studienlage aktuell noch sehr dünn sei. Deshalb müsse in Zukunft weiter daran geforscht werden, um die jetzigen Ergebnisse zu untermauern.

Rückwärtslaufen könnte die Balance von Parkinson Patienten verbessern | Eine ältere Frau steht mit geschlossenen Augen im Wald
Parkinson-Patienten haben oft Schwierigkeiten, mit geschlossenen Augen auf instabilem Untergrund zu stehen. Rückwärtslaufen könnte ihre Balance wieder verbessern.

Weitere Studien konnten bereits zeigen, dass eine Therapie mit Rückwärtslaufen bei Patienten mit Osteoarthritis sinnvoll ist und sogar zu einer Linderung der Schmerzen führen könnte.

Auch im Leistungssport wird Rückwärtslaufen bereits eingesetzt. Einer Studie zufolge hat dieses Training auch bei verletzten Sportlern Erfolg gezeigt. Bei Knieverletzungen konnte so die Beinmuskulatur wiederaufgebaut werden, trotz einer Entlastung des Kniegelenks.

Weitere Forschung zu Rückwärtslaufen erforderlich

Die enthusiastische Darstellung der Vorteile des Rückwärtsgehens auf Social Media kann wissenschaftlich nicht vollständig belegt werden – zumindest bei der aktuell noch dünnen Studienlage. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keinerlei positive Effekte gibt.

Erste Studienergebnisse weisen zumindest darauf hin, dass Rückwärtslaufen positive Auswirkungen auf Knie- oder Rückenschmerzen haben kann und beim Muskelaufbau oder in der Reha helfen kann. Auch bei der Förderung der Körperkoordination kann Rückwärtslaufen gerade bei älteren Menschen helfen. Mit steigendem Alter wird die Gefahr durch Stürze größer, dem könnte durch regelmäßiges Rückwärtslaufen vorgebeugt werden.

Expertinnen und Experten empfehlen, beim Rückwärtslaufen entweder auf ein Laufband zu gehen oder von einer zweiten Person begleitet zu werden, um keine Gefahr für den Straßenverkehr darzustellen. Die fehlende Sicht fördert zwar das Umlenken auf andere kognitive Prozesse, kann aber im schlimmsten Fall auch ein akutes Sicherheitsrisiko darstellen.

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