In den letzten Monaten und Jahren gab es zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zur Häufigkeit, der Artenvielfalt oder zur reinen Biomasse von Insekten. Diese Studien haben immer wieder Hinweise gegeben auf einen deutlichen oder sogar dramatischen Rückgang bei den Insekten – mit verheerenden Konsequenzen für das Ökosystem.
Die meisten dieser Studien haben allerdings die Situation in Europa unter die Lupe genommen. Im renommierten Fachblatt Nature ist jetzt eine neue Studie erschienen, die das Insektensterben in den USA untersucht. Und diese Studie kommt zu ganz anderen Ergebnissen als in Europa: Laut der neuen Studie ist in den USA in der Summe kein Rückgang an Insekten zu beobachten. Doch viele Experten sind skeptisch.
Das Autor*innen-Team wertete für die aktuelle Studie Daten aus mehr als 5.300 Zeitreihen für Insekten und andere Gliederfüßer aus, die über 4 bis 36 Jahre an verschiedenen Beobachtungsstandorten gesammelt wurden. Bei einigen Arten und Standorten konnten die Autor*innen Rückgänge in Vielfalt und Häufigkeit beobachten, bei wiederum anderen Zuwächse oder keine Veränderungen. In der Summe, so die Autor*innen, seien die "Netto-Trends nicht von Null zu unterscheiden".
Sammelsurium an nicht vergleichbaren Daten
Professor Johannes Steidle, Leiter des Fachgebietes Tierökologie an der Uni Hohenheim, hat jedoch erhebliche Zweifel an der Seriösität dieser Ergebnisse. Das Hauptproblem sieht Steidle bei den Daten: Bei der neuen Nature-Studie handele es sich um eine Meta-Studie, also eine Studie, die sich ganz viel unterschiedliche Studien anschaue und deren Ergebnisse quasi zusammenfasse.
Das Problem dabei sei:
Diese Studien waren nicht darauf konzipiert, den Bestand von Insekten, einen Insektenschwund oder überhaupt eine Bestandsentwicklung zu erfassen. Die meisten Studien entstanden in einem anderen Kontext.
Es ist ein großes Sammelsurium an verschiedensten Studien mit verschiedensten Tiergruppen. Untersucht wurden beispielsweise nicht nur Insekten, sondern auch andere Gliederfüßer, beispielsweise Zecken oder Krebse.
Die Studien sind alle unterschiedlich, mit ganz unterschiedlich erfassten Zeiträumen in ganz unterschiedlichen Habitaten. Das lässt sich schwer vergleichen.
Blattläuse mit Wildbienen gegenzurechnen ist letztlich unseriös
Auch andere Fachleute kritisieren, dass die Studie nicht unterscheide zwischen seltenen Arten, die abnehmen und häufigen Arten, die zunehmen. Es gebe dann zwar in der Summe null, aber das sei für ein Ökosystem möglicherweise trotzdem enorm bedeutsam.
Stattdessen habe man, so Steidle, einfach die Daten genommen, die man hatte. So wurde in einem sehr großen Teil der Daten die Häufigkeit von Blattläusen auf landwirtschaftlichen Flächen erfasst. Und bei diesen Blattläusen waren auch noch invasive Arten dabei, also gar keine einheimischen Blattlausarten. Solche eingewanderten Blattlausarten seien allerdings Arten, von denen man auch überhaupt gar nicht erwarte, das sie abnehmen, beziehungsweise von denen man sogar wisse, dass sie unter menschlichen Einfluss sogar zunehmen.
Diese Daten habe man dann alle in einen Topf geschmissen. Und es gebe, so Steidle, nur eine Studie, wo es auch um Schmetterlinge gehe. Verwendet wurde da allerdings eine Studie über eine einzige Schädlings-Schmetterlingsart. Steidle hält eine solche Vorgehensweise für höchst problematisch.
Alles in einen Topf geworfen
Der Tierökologe Johannes Steidle hält es für sinnvoll, sowohl in den USA als auch Europa einen genaueren Blick darauf zu werfen, welche Arten konkret bedroht sind. Da gebe es tatsächlich noch große Lücken. Dann könne man beispielsweise sagen:
Für solche Ausagen sei nach der Einschätzung von Steidle auch eine Metastudie geeignet. Das habe man aber bei der neuen Studie aus den USA nicht gemacht: