Insektensterben

Falsche Interpretation: Schadet Mobilfunk den Insekten?

Stand
Autor/in
Uwe Gradwohl
Onlinefassung
Franziska Ehrenfeld

Wer hat Schuld am Insektensterben? Es könnten die Pestizide sein. Auch der Klimawandel mag seinen Anteil daran haben. Aber Funkwellen? Von Handys und WLAN-Routern? Nicht so schnell, sagt Uwe Gradwohl.

Der Naturschutzbund Baden-Württemberg (NABU) und der Verein Diagnose Funk veröffentlichten diese Woche eine Studie zu der Frage, ob von elektronischen Geräten ausgesandte Strahlung ein Faktor „für die Schwächung der Insektenwelt“ sein könnte. Uwe Gradwohl war bei der Pressekonferenz dabei, hat die Studie gelesen und je länger er sich damit beschäftigte, umso größer wurde sein Ärger. Das ist seine Einschätzung:

Als Journalisten haben wir die Aufgabe, uns die Informationen genau anzuschauen, die uns als Neuigkeiten mit dringender Notwendigkeit sie zu veröffentlichen mitgeteilt werden. Und weil das Mediengeschäft zwischen Pressekonferenz und Publikation oft wenig Zeit lässt, habe ich es ganz gerne, dass ich mich darauf verlassen kann, dass die zentralen Aussagen einer Pressemitteilung auch übereinstimmen, mit den zentralen Aussagen in diesem Fall einer Studie, die da in der Pressemitteilung angepriesen wird. 

Libelle und Raupe
Eine Meta-Studie zum Insektensterben und einem möglichen Zusammenhang zu Mobilfunk-Strahlung wurde heute von NABU und Diagnose Funk besprochen.

Schon die Pressemitteilung verbreitet falsche Informationen

Der NABU Baden-Württemberg und der Verein Diagnose Funk kündigten in ihrer Pressemitteilung eine sogenannte Meta-Studie an. Deren Autor habe 190 Einzelstudien gesichtet, um die Wirkung von Mobilfunk- und WLAN-Strahlung auf Insekten bewerten zu können. Bei der Pressekonferenz wird dann schnell klar: Es sind nicht 190, es sind 83. 

Okay. Schwamm drüber. Kann passieren. Von den 83 Studien haben demnach 72 Anzeichen für Veränderungen im Stoffwechsel und im Verhalten von Insekten gefunden. Diese 72 Studien wurden 65 unterschiedlichen Forscherinnen und Forschern geleitet.  

Familie macht ein Selfie im Schwarzwald
Könnte Handystrahlung Insekten schaden? Das haben NABU und Diagnose Funk behauptet.

Fakten werden verzerrt

Schauen wir uns aber das nächste Statement in der Pressemitteilung an: Nach Auswertung der 83 Studien stünde fest, dass Mobilfunk- und WLAN-Strahlung den Fluss von Calcium-Ionen im Insektenkörper so beeinflussen, dass deren Orientierung und Reproduktion darunter leidet. 

Nein. Für dieses Ergebnis ist nicht die Auswertung aller 83 Studien verantwortlich. Nur der kleinere Teil der 65 Forscher hat Arbeiten vorgelegt, die sich molekularbiologischen Frage widmen. Und die Gesamtschau der Studien hat der Forschungslage keine neue Erkenntnis gebracht – was aber in der Pressemitteilung so geschrieben steht. 

Schwarzblauer Ölkäfer
Beispielsweise der Schwarzblaue Ölkäfer ist in Deutschland gefährdet. Ob das auch am Mobilfunk liegt, weiß man aber nicht.

Die vorgelegte Studie hat überhaupt nicht versucht, die Ergebnisse einzelner Studien so zusammenzuführen, dass in der Gesamtschau ein neues Ergebnis sichtbar werden könnte. Die Mobilfunk-Insekten-Studie von NABU und Diagnose Funk listet lediglich die experimentellen Ansätze von 22 der 65 Forscherinnen und Forschern und die Resultate ihrer Experimente in Ultra-Kurzform auf.  

Studienleiter zieht andere Schlüsse als NABU und Diagnose Funk

Sie ist also bestenfalls eine Übersicht der Forschungslage. Das schreibt auch der Autor selbst, und weiter: Er habe gar keine Übersichtsanalyse erstellen können, weil die dafür notwendigen statistischen Angaben nur bei einer Handvoll der analysierten Studien vorlagen. Und: Die von ihm betrachteten Einzelstudien kämen in vielen Fällen zu Ergebnissen, die erst noch von anderen Teams repliziert, also bestätigt werden müssten.  

Funkantenne für Mobilfunk
Ob Mobilfunk schädlich für Insekten ist, muss weiter erforscht werden.

Der Autor sagt auch, dass er aus demselben Grund, den von ihm aufgeführten statistischen Mängeln, die Publikationsverzerrung nicht ermitteln konnte. Das meint Folgendes: Studien, die einen Effekt von Mobilfunkstrahlung auf Insekten finden, werden meist auch publiziert. Studien, die jedoch keine Effekte finden, werden oft gar nicht bis zur Publikation zu Ende geführt. Das verzerrt den Blick auf die tatsächliche Forschungslage. Das Ausmaß dieser Verzerrung konnte in der Studie von NABU und Diagnose Funk aber nicht bestimmt werden, weil Daten fehlen. Sagt der Autor. Sagen uns aber nicht seine Auftraggeber.

Weiter: Die Aussagen zur Schädlichkeit der Strahlung leiden nach Angaben des Autors darunter, dass die Mehrheit der Studien nicht nach den in der Toxikologie üblichen Sorgfaltskriterien durchgeführt wurde. Oha. 

Mann liest ein Buch und hat viele Dokumente vor sich
Studien müssen formalen Kriterien entsprechen und ordentlich ausgewertet werden, damit sie aussagekräftig sind.

Das Fazit 

Es gab keine Möglichkeit, die Daten der Einzelstudien zu einer Meta-Analyse zusammenzuführen. Die Abschätzung der Publikationsverzerrung war nicht möglich. Der Autor schreibt von Einschränkungen bezüglich der Verlässlichkeit, mit der schädigende Effekte nachgewiesen werden konnten.  Demgegenüber postulieren die Auftraggeber in ihrer Pressemitteilung, dass diese Studie erstmals aufzeige, dass Mobilfunkstrahlung ein wichtiger Faktor beim Insektensterben sein könnte.  

Was bleibt bei mir: Der Eindruck, dass hier einfach mal alles gebündelt wurde, was es an Studien zum Thema Elektromagnetismus und Insekten in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. So eine Bündelung kann zusammen mit der entsprechenden Pressemitteilung schon mal mediale Wirkung erzielen. Und dann hat man sich noch dazu verstiegen, den Eindruck zu erwecken, als ob die Bündelung grundsätzlich Neues hinsichtlich der Ursachen des Insektensterbens aufzeigen würde. Tut sie aber nicht. 

Uwe Gradwohl
Uwe Gradwohl hat sich über die falsche Interpretation der Meta-Studie geärgert.

Die Art und Weise, wie mit dieser Studie durch die Auftraggeber NABU und Diagnose Funk verfahren wurde, nährt bei mir den Eindruck, als ob hier schlichtweg das bereits prominente Thema Insektensterben für die Zwecke der Mobilfunk-Skeptiker gekapert werden sollte. Zuverlässig informiert fühlte ich mich bezüglich dieser Studie nicht – Sie aber jetzt hoffentlich schon.

(Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels war von 26 Forscherinnen und Forschern die Rede, deren Studien im Rahmen der Untersuchung berücksichtigt wurden. Tatsächlich stammen die Arbeiten von 65 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wir haben das verbessert.)

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Autor/in
Uwe Gradwohl
Onlinefassung
Franziska Ehrenfeld