Ein neugeborenes Baby im Krankenhaus.

Corona-Pandemie

Pflegenotstand – Kinderkliniken in der Krise

Stand
Autor/in
Veronika Simon
Onlinefassung
Carla Vinetta Richter

Die Personaldecke in den Kinderkliniken wird immer dünner. Im vergangenen Herbst sind viele Kliniken schon an ihre Grenzen gestoßen. Und auch diesen Herbst und Winter rechnen Fachleute mit einer erneuten Infektionswelle – und das macht ihnen Sorgen.

Die Konsequenzen des Fachkräftemangels in der Kinderkrankenpflege werden schon jetzt im Sommer deutlich. Der allgemeine Mangel an Pflegepersonal trifft die Kinderkliniken besonders hart. Denn hier arbeiten sehr spezialisierte Fachkräfte. Bei steigenden Corona-Fallzahlen gibt es immer mehr krankheitsbedingte Ausfälle.

Folgen des Personalmangels

Ersatz für Ausfälle zu finden sei schwer, auch in Baden-Württemberg, sagen Kinderklinik-Vertreter. Professor Christian von Schankenburg ist Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg. Er weiß, dass die Kinderkliniken in Not in der Versorgung sind und sie teilweise nicht genügend Pflegekräfte vor Ort haben, um die Kinder direkt zu versorgen.

"Wir schaffen das bisher auszugleichen, indem wir die Kinder umherfahren, aber mit großen Belastungen auch für die Familien, die dann 50 km entfernt auf einmal in anderen Kinderkliniken ihre Kinder betreuen müssen.“

In der Kinderabteilung der Uniklinik Ulm ist zurzeit zum Beispiel auf der Intensivstation etwa jede fünfte Pflegestellen nicht besetzt. Viele andere Kinderkliniken im Land haben einen ähnlichen Personalmangel. Das macht sich im Klinikalltag bemerkbar. Zwar werden alle Notfälle behandelt, doch die Qualität leidet, meint Professor Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Kinderklinik. Jede Schicht sei mit einer Kraft weniger besetzt, als es möglich wäre, wenn sie volle Kapazitäten hätten. Konsequenz sei, dass die Betreuungsintensität nicht so gemacht werden könne, wie es zum Beispiel auch vorgeschrieben sei.

Kinderklinik in Griechenland
In vielen Kinderkliniken ist zurzeit etwa jede fünfte Pflegestelle nicht besetzt.

Pflegeschlüssel in der Kinderklinik

Der Personalmangel hat Folgen. Fast alle Kinderkliniken in Baden-Württemberg müssen Betten schließen, oft 20 bis 40 Prozent der eigentlich vorhandenen Plätze. Denn in den Kinderkliniken gibt es einen Pflegeschlüssel. Das heißt: Eine Pflegekraft darf sich nur um eine bestimmte Anzahl Kinder kümmern.

So soll sichergestellt werden, dass alle gut versorgt sind. Doch viele Kinderkliniken finden zurzeit nicht genügend qualifizierte Kräfte, um alle Stellen zu besetzen. Deshalb dürfen sie auf den Kinderstationen nicht mehr alle Betten belegen, die vorhanden wären. Es können also nicht mehr so viele Kinder behandelt werden wie früher.

Kinderkrankenpfleger künmmern sich um ein Baby.
In Kinderkliniken gibt es einen sogenannten Pflegeschlüssel. Das bedeutet eine Pflegekraft darf sich nur um eine bestimmte Anzahl von Kindern kümmern.

Mit Blick auf den Herbst und Winter ist die Sorge daher groß. Fachleute rechnen erneut mit einer großen Infektionswelle bei den Kindern.

„Unser Pflegepersonal und auch die Ärzte sind sehr bereit auch über ihre Grenzen hinauszugehen, aber wir kommen jetzt schon an diese."

Es werde nicht mehr so sein wie in den letzten 25 Jahren, dass Kinder relativ problemlos versorgt werden konnten. Stattdessen beschreibt Prof. Schankenburg, dass teilweise Patientinnen und Patienten auf den Flur gelegt werden müssen. Nicht weil keine Zimmer mehr frei seien, sondern weil dort die Ärzte und das Pflegepersonal öfter vorbeikäme und sie sehe.

Das könne zu Unzufriedenheit bei den Patientinnen und Patienten führen. Aber auch beim spezialisierten Pflegepersonal. Denn die Arbeit unter diesen Bedingungen ist belastend – und Besserung ist nicht so schnell in Sicht.

Eine Kinderkrankenpflegerin gibt auf

Teilweise ist die Arbeit so belastend, dass Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger ihren Traumjob verlassen. Eine ehemalige Kinderkrankenpflegerin aus Baden-Württemberg hat uns anonym erzählt, warum sie nach vielen Jahren schweren Herzens ihren Traumberuf aufgegeben hat.

Zu Beginn ihrer Arbeitszeit habe sie noch jeden Tag große Freude an ihrer Arbeit gehabt, da sie sich fachlich einarbeiten und entwickeln musste. Doch irgendwann veränderte sich etwas und es fühlte sich nicht mehr gut an. Das Krankenhaussystem hinterlässt Spuren.

„Wenn man in seinen freien Tagen ständig angerufen wird, weil es klemmt auf der Station, weil der Pflegeschlüssel nicht passt, weil sich die zweite Schwester für den Spätdienst beispielsweise krank gemeldet hat, dann fällt es zunehmend schwerer zufrieden zum Dienst zu gehen, zufrieden aus dem Dienst nach Haus zu gehen und gerne in diesem Schichtsystem weiter zu arbeiten.“

Gleichzeitig wurde die Arbeit immer dichter, immer mehr Aufgaben in der gleichen Zeit. Sie wurde unzufriedener und leidete häufiger Schlafstörungen. Sie beschreibt mit welchem Ziel sie vor Jahren an den Beruf Kinderkrankenpflege heran getreten ist und dass sie dieser Verantwortung mit der Zeit nicht mehr gerecht wurde. Das habe sie so unzufrieden und vermutlich auch krank gemacht, wäre sie nicht ausgestiegen.

Dieser Abschied war nicht leicht, aber in diesem Fall wohl die richtige Entscheidung. Für die Zukunft wünscht sie sich mehr motivierte Kinderkrankenpflegekräfte, die nicht nur eingestellt würden, sondern auch ein vernünftiges Gehalt bekämen. Auch müssten neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Berufsalltag mit Freude und Verantwortung meistern ließen.

Ein Kleinkind schläft im Krankenhausbett.
Durch den Personalmangel ist es nicht leicht für Pflegekräfte, allen kleinen Patienten gerecht zu werden.
Stand
Autor/in
Veronika Simon
Onlinefassung
Carla Vinetta Richter