So funktioniert die Kommunikation über das Gehirn
In seinen Studien wollte Niels Birbaumer mit Patienten kommunizieren, die sich im Completely-Locked-in state befanden, also in einem völlig eingeschlossenen Zustand. Das bedeutet: Das Gehirn dieser Patienten war zwar funktionstüchtig, doch ihr Körper war komplett bewegungslos. Die Patienten sind sich also der Situation bewusst, haben aber keine Möglichkeit mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Und genau dort setzte Birbaumers Forschung an.
Er setzte Patienten mit dem Locked-in-Syndrom eine Haube mit Sensoren auf den Kopf. Über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle versuchte man mit dem Gehirn in Kontakt zu treten und über neuronale Netze herauszufinden, ob die Person beispielsweise “Ja” oder “Nein” denkt. Nach einer Zeit bekomme man mit, welche Areale des Gehirns bei bestimmten Antworten arbeiten und welche nicht, sagt Marco Wehr, Leiter des Philosophischen Labors in Tübingen im Gespräch mit dem SWR.
Das Locked-in-Syndrom kommt zum Beispiel bei der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, vor. Mit fortschreitender Krankheit nehmen hier die Muskelfunktionen ab, bis schlussendlich der ganze Körper betroffen ist. Irgendwann sitzen Betroffene also im Rollstuhl und auch die Gesichtsmuskulatur kann irgendwann nicht mehr bewegt werden.
Der letzte Muskel, der meistens noch einigermaßen funktioniert, sind die Augenlider, die zum Kommunizieren verwendet werden können. Wenn aber auch dieser Muskel nicht mehr gesteuert werden kann, war eine Kommunikation bisher ausgeschlossen.
Forschung von Skandal überschattet
2019 wurde diese Forschung zu einem Wissenschafts-Skandal. Der Vorwurf: Birbaumer soll fehlerhafte und lückenhafte Daten in seinen Studien mit komplett gelähmten Menschen verwendet haben. Die Universität Tübingen warf Birbaumer nach einer Untersuchung wissenschaftliches Fehlverhalten vor.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft schloss ihn daraufhin aus und forderte Fördergelder zurück. Im Zentrum der Untersuchung und Feststellungen stand dabei der methodische Umgang mit Daten und nicht die Überprüfung der aufgestellten Thesen.
Mit diesem Rechtsstreit sei er in einer gewissen Art und Weise gezwungen worden, sich zu privatisieren, so Marco Wehr, Leiter des Philosophischen Labors in Tübingen und Bekannter von Birbaumer. Birbaumers Reputation hat großen Schaden erlitten und ohne Forschungsgelder war es ihm fast unmöglich, weiterzuarbeiten.
Den jahrelangen Streit haben Niels Birbaumer und die Deutsche Forschungsgemeinschaft nun per Vergleich beendet. In der Pressemitteilung heißt es dazu: „Zur Vermeidung eines langwierigen Rechtsstreits haben sich die Parteien auf eine gütliche Einigung verständigt. Im Rahmen der gefundenen Einigung enden die durch den Hauptausschuss der DFG gegen Professor Dr. Dr. h.c. mult. Birbaumer beschlossenen Maßnahmen am 01.01.2023.“
Die Frage, ob Birbaumer wissenschaftlich korrekt gearbeitet hat, wurde dabei offen gelassen.
Jetzt hat Niels Birbaumer neue Ergebnisse veröffentlicht und nach langer Zeit einen öffentlichen Auftritt im philosophischen Labor in Tübingen gehabt.
Elektroden im Gehirn anstatt EEG oder Infrarotspektroskopie
In der neuen Studie geht es bei Birbaumer immer noch um das gleiche Thema, jedoch benutzte er eine neue Methode: Er arbeitete nicht mit EEG oder mit einer Nahfeld Infrarotspektroskopie, stattdessen wurden Elektroden in das Gehirn eingebaut. Dies habe laut Birbaumers Bekannten Marco Wehr, Leiter des Philosophischen Labors in Tübingen, wirklich revolutionäre Resultate erbracht: „Weil der Patient jetzt über ein sogenanntes Speller-Board Buchstaben aussuchen kann und auf diese Art und Weise ganze Sätze artikulieren kann. Also der Patient war bei den Befragungen tatsächlich bewusst und konnte auf die ihm gestellten Fragen Antworten geben und auch Wünsche äußern.“
Da seien ganz erstaunliche Sachen herausgekommen. Zum Beispiel der Wunsch, mit Gulaschsuppe gefüttert zu werden, eine Kopfmassage haben zu wollen oder die Frage, ob er mit seinem Kind zusammen einen Film angucken möchte.
Allerdings ist dieses Experiment mit nur einem Patienten erfolgt, der auch reagiert hat. Auf die Frage, ob die Datenlage für eine wissenschaftliche Aussage nicht zu gering sei, antwortete Marco Wehr: „Wenn man sagt, es ist unmöglich, mit einem Locked-in Patienten zu kommunizieren und es gelingt einem dann doch, dann sieht man, dass die anfängliche Aussage in der Form nicht haltbar ist. Das hat Birbaumer jetzt eindeutig bewiesen.“
Trotzdem erklärte Birbaumer jetzt, dass er seine Forschungen nicht fortsetzen wolle. Sein Name habe in Deutschland so gelitten, dass dies nicht mehr möglich sei.