Pharmanotstand

Bundesweiter Medikamentenmangel - Gibt es Auswege?

Stand
Autor/in
Ellen Diez

Schon seit Jahren kommt es immer wieder vor, dass Medikamente für Hausarztpraxen und Apotheken fehlen. Momentan ist der Medikamentenmangel besonders kritisch. Was kann man tun?

Vor allem Fiebersäfte und Hustensäfte für Kinder mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sind im Moment kaum noch verfügbar. Sie werden zwar noch geliefert, aber in der aktuellen Krankheitswelle kann der große Bedarf trotzdem nicht ausreichend gedeckt werden. Auch Krebsarzneien, Antibiotika und Medikamente für Allergiker werden dringend benötigt, sind aber nur eingeschränkt vorhanden.

Warum gibt es immer wieder Lieferengpässe?

Für den Engpass gibt es verschiedene Gründe. Natürlich sind viele Medikamente momentan sehr stark gefragt. Der Mangel hängt aber auch damit zusammen, dass der Medikamentenmarkt extrem ökonomisiert ist. Über drei Viertel der verschriebenen Medikamente sind patentfrei. Krankenkassen bezahlen solche patentfreien Arzneimittel aber nur, wenn ihr Preis unterhalb des sogenannten Festbetrags liegt. Dieser Festbetrag ist allerdings so gering, dass es sich für viele Hersteller nicht mehr lohnt, ein Medikament zu produzieren. Nur wenige Hersteller kommen also als Lieferanten in Frage. So entstehen Monopolstrukturen und Abhängigkeiten.

Für Paracetamol Saft gibt es beispielsweise nur noch einen dominierenden Produzenten: Der Pharmakonzern Teva mit Produktionswerken in Ulm und Blaubeuren/Weiler. Kann dieser nicht liefern, werden die Apotheken daher nicht mehr mit Paracetamol Saft versorgt.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt zwar an, dass die Lieferketten in diesem Winter nicht abgebrochen seien und der Mangel unter anderem an der großen Nachfrage liege. Trotzdem trägt diese Lieferstruktur dazu bei, dass es gerade überall an Medikamenten fehlt. Auch präventive Käufe von Medikamenten würden den Mangel verstärken, so die Apothekerin Carolin Rueppell:

"Wenn das jetzt medial so sehr aufgegriffen wird, verschärft sich meiner Meinung nach aber das Problem noch viel mehr, weil es einfach an die breite Öffentlichkeit kommt und jeder denkt: 'Oh, es gibt einen Engpass, ich leg mir lieber noch was hin, weil mein Kind wird ja immer ständig krank.'"

In einer Pharmafabrik werden Fläschchen abgefüllt.
Nur noch wenige Medikamenthersteller können dem Preisdruck standhalten. Während die Energie- und Produktionskosten steigen, bleiben die Festbeträge gleich.

Langfristige Lösungen

Um das Problem langfristig zu lösen, brauchen Apotheken mehr Lieferanten. Deswegen sollten Krankenkassen wieder mehr für Medikamente bezahlen, meint Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Lauterbach kündigte vergangene Woche im ARD-"Morgenmagazin" an, dass der Festbetrag für Kindermedikamente in Zukunft um 50 Prozent angehoben werden soll. Dadurch könnten wieder mehr Produzenten gewonnen werden, vor allem auch in Europa.

Außerdem fordert Lauterbach, dass Händler Medikamente länger lagern und somit die Versorgung sicherstellen sollen. Darüber hinaus sollten Apotheken die eigenen Medikamentenbestände transparent aufzeigen, meint Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, gegenüber dem NDR. Denn möglicherweise sind die vorhandenen Medikamente auch ungleich verteilt.

Was können Betroffene kurzfristig tun?

Ein mögliches neues Gesetz hilft den im Moment Kranken allerdings nicht. Gerade Eltern von fiebernden Kindern sind besorgt. Gegenüber dem "Tagesspiegel" schlug der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt deswegen „Flohmärkte“ vor, um private Medikamente an diejenigen zu verteilen, die sie brauchen. Allerdings könnten diese Märkte Medikamente nicht richtig lagern oder sie könnten von Betrügern ausgenutzt werden, so die Kritik. Sind die Medikamente aber richtig gelagert und haltbar, so sei es völlig in Ordnung, dass man sich im Bekanntenkreis aushilft, betont Carolin Rueppell. In Einzelfällen dürfen Apotheken auch individuelle Rezepturen mischen. So eine Rezeptur muss allerdings von einem Arzt gesondert verschrieben werden.

"Im ganz großen Notfall können die Apotheken ja auch herstellen. Es gibt auch Rezepturen, wie man die Fiebersäfte zum Beispiel aus Tabletten herstellt, genauso kann man auch Zäpfchen aus Tabletten herstellen."

Eine Apothekerin fertigt Arzneimittel im Labor selbst an.
Apotheken dürfen Rezepturen in Einzelfällen auch selbst mischen. Das erfordert allerdings eine extra Verschreibung des Arztes.

Vorsicht bei abgelaufenen Medikamenten

Vielleicht findet sich im Schrank auch noch ein alter, abgelaufener Fiebersaft. Tatsächlich sind viele Medikamente auch noch weit über das Mindesthaltbarkeitsdatum wirksam, so die Stiftung Warentest. Trotzdem empfiehlt die Stiftung, abgelaufene Medikamente nicht mehr zu verwenden, weil die Hersteller dann nicht mehr haften und die Wirkstoffdosis eventuell abgenommen hat. Vor allem angebrochene Medikamente sind nach dem Öffnen häufig nur wenige Wochen haltbar.

Dürfen Kinder Medikamente für Erwachsene einnehmen?

Wenn Kinder mit Fieber in der Not allerdings Erwachsenenmedikamente bekommen sollen, ist Vorsicht geboten. Die Wirkstoffe dürfen nicht zu hoch dosiert sein, das ist sonst lebensgefährlich. Am besten informieren Eltern sich darüber, wie viel Gramm Wirkstoff ein Kind mit bestimmtem Körpergewicht zu sich nehmen darf. 500mg-Paracetamol-Tabletten und 400mg Ibuprofen-Tabletten können halbiert werden und sind ab einem bestimmten Alter unbedenklich.

Medikamentenzufuhr aus dem Ausland kann helfen

Medikamente bei Apotheken im Ausland zu bestellen, ist nur erlaubt, wenn diese ähnliche Sicherheitsstandards haben. Das ist in Tschechien beispielsweise für nicht verschreibungspflichtige Medikamente der Fall und in Schweden für verschreibungspflichtige.

Nicht immer sind Medikamente notwendig

Eltern sollten sich aber vorher gut überlegen, ob so ein Aufwand tatsächlich notwendig ist. Niedriges Fieber muss auch nicht immer behandelt werden, wenn es dem Kind noch gut geht.

"Nicht jedes Fieber muss sofort gesenkt werden. Fieber ist ja auch eine gute Abwehrreaktion vom Körper. Die ganze Körpereigenabwehr läuft bei hohen Temperaturen ja besser."

Alternativ können sich manchmal auch einfache Hausmittel bewähren, zum Beispiel sogenannte Wadenwickel. Um heiße Haut zu kühlen, kann ein lauwarmes, feuchtes Handtuch um die Waden gewickelt werden. Es kann auch schon helfen, ein Kind mit einem feuchten Waschlappen abzureiben und es danach zuzudecken. Die fiebernden Kinder sollten auch viel trinken: Besonders Lindenblütentee kann helfen.

Eine Rücksprache mit dem Arzt sollte bei der Selbstbehandlung dennoch erfolgen, um die Ursache der Beschwerden zu klären und einen möglichen weiteren Behandlungsbedarf zu besprechen.

Eine Frau legt ihrem Sohn Wadenwickel an.
Auch Hausmittel sind hilfreich. Wadenwickel können die heiße Haut eines Kindes kühlen.

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Ellen Diez