Tierforschung

Immer mehr Affen zieht es von den Bäumen auf den Boden

Stand
Autor/in
Nina Kunze
Onlinefassung
Ralf Kölbel

Die Klimakrise und der weltweite Schwund der Wälder treiben Lemuren und andere baumbewohnende Primaten auf den Boden. Der Wechsel des Lebensraums könne die Tiere vor dem Aussterben bewahren – allerdings sei eine solche Anpassung nicht allen Arten möglich, so eine neue Studie.

Klimawandel, begrente Lebensräume und Nahrungsknappheit

Die Zerstörung der Wälder stellt Affen-Arten, die normalerweise in den Baumwipfeln leben, vor ungeahnte Herausforderungen. Nahrungsknappheit, Platzmangel und Klimaveränderungen könnten einige Affen-Arten dazu bewegen, sich neue Lebensräume zu erschließen und auf dem Boden zu leben. Doch manche Arten sind dafür besser ausgestattet als andere. Und auch die Nähe zur menschlichen Zivilisation könnte einen Einfluss haben. Welche Rolle all diese Faktoren spielen, das hat eine neue Studie untersucht.

Studie für besseren Artenschutz

Das Ziel der Studie war, die Gewohnheiten der Affen zu untersuchen, um so einen besseren Natur- und Artenschutz zu ermöglichen, erzählt Professor Jörg Ganzhorn. Der Biologe an der Universität Hamburg hat die Studie beratend begleitet:

Wir haben im Moment über 600 verschiedene Primaten-Arten und die Lebensräume dieser Tiere werden extrem schnell zerstört. Und wenn wir da gegensteuern wollen, dann müssen wir eben mittlerweile doch sehr gezielt Naturschutzarbeit betreiben eben auch wieder Gebiete wiederherstellen, wieder renaturieren. Und dazu müssen wir wissen, was die einzelnen Arten eigentlich brauchen.

Affen versuchen sich neue Lebensräume zu erschließen, wenn es oben zu wenig Platz und Nahrung gibt.  Roter Vari (Varecia rubra) auf dem Boden, Andasibe-Mantadia Nationalpark, Madagaskar, Afrika
Affen versuchen sich neue Lebensräume zu erschließen, wenn es oben zu wenig Platz und Nahrung gibt.

Affen halten sich teils auf dem Boden auf

Denn auf Bäumen lebende Affen verlassen zwar ab und zu die Baumwipfel, beispielsweise um die Baumgruppe zu wechseln oder an Trinkwasser zu gelangen. Doch übermäßig viel Zeit auf dem Boden verbringen sie nur, wenn es die äußeren Umstände erfordern – so die Hypothese der Forscher.

Welche Umstände das sind und wie gut einzelne Arten damit umgehen können, das wurde in der Studie untersucht. Dazu haben die Forscher zwei Regionen in den Fokus genommen, in denen Affen vornehmlich auf Bäumen leben. Auf Madagaskar sind das die Lemuren, in Süd- und Mittelamerika sogenannte Breitnasenaffen.

Bäume sind für Primaten in der Regel sicherer als der Aufenthalt auf dem Boden. Dennoch machen sie jetzt immer häufiger auch Ausflüge in ihre Umgebung.
Bäume sind für Primaten in der Regel sicherer als der Aufenthalt auf dem Boden. Dennoch machen sie jetzt immer häufiger auch Ausflüge in ihre Umgebung.

Groß angelegte Studie

Ihre Beobachtungsdaten zogen die Autoren der Studie aus vergangenen Forschungsarbeiten von über 100 Primatenforscherinnen und -forschern zusammen. Eine Studie dieser Größe sei ein Schritt in eine ganz neue Richtung in der Primatenforschung, erzählt Jörg Ganzhorn. Es sei im Moment auch ein Trend in der Wissenschaft, dass man jetzt doch mehr und mehr versuche, diese Einzelbefunde zu kombinieren, zusammenzufassen und damit einen Mehrwert oder Synergien zu finden, die die Einzelstudien nicht haben.

Faktoren sind vielfältig

Die Faktoren, die nach den Ergebnissen der Forscher das Verhalten der Affen beeinflussen, sind vielfältig. So hat es etwa einen Einfluss, wie viel Obst auf ihrem Speiseplan steht. Tiere, die hauptsächlich Früchte fressen, blieben eher auf den Bäumen – wohl, weil sie dort mehr Futter finden. Und auch das Sozialverhalten spielt eine Rolle: eine größere Gruppe könnte auf dem Boden Schutz vor Angreifern bieten – entsprechend trauten sich Affen, die in Gruppen unterwegs sind, eher auf den Boden.

Gruppe junger Kattas auf den Lemuren.
In der Gruppe fühlen sich Lemuren sicherer, insbesondere wenn sie sich auf dem Boden aufhalten.

Ergebnisse deuten auch auf den Klimawandel hin

Doch die wohl wichtigste Schlussfolgerung der Studie: Die Primaten scheinen sich auch zur Abkühlung auf den Boden zu begeben. So hielten sich die Lemuren in wärmeren Waldregionen Madagaskars häufiger am Boden auf als ihre Artgenossen in kühleren Regionen.

Das bringt auch den Klimawandel ins Spiel. Durch extremere Temperaturen könnten mehr Affen gezwungen sein, Zeit auf dem Boden zu verbringen und sich dort Gefahren auszusetzen. Auch die zunehmende Zerstörung der Wälder führt zu einer weniger dichten Baumkrone und damit zu weniger Schatten.

Die Abholzung von Regenwäldern bedroht die Lebensräume vieler Primaten.
Die Abholzung von Regenwäldern bedroht die Lebensräume vieler Primaten.

Naturschutz sollte im Vordergrund stehen

Für Jörg Ganzhorn zeigt die Studie vor allem eins: Dass der Lebensraum und damit die Sicherheit der Affen sehr gefährdet ist.

Das Hauptaugenmerk sollte wirklich darauf beruhen, dass man das, was man noch hat, wirklich effizient schützt. Da wo das nicht mehr möglich ist oder wo schon die Gebiete zerstört sind, kann man versuchen, die Gebiete wieder zu renaturieren, praktisch wieder einigermaßen herzurichten. Und da ist es eben dann auch einfach wichtig, dass man die Bedürfnisse der einzelnen Arten kennt und weiß: Was muss ich in denn machen?

So könnten beispielsweise bei der Aufforstung von Wäldern gezielt die richtigen Baumarten ausgewählt werden: Tiere brachen nämlich, so Ganzhorn, eine bestimmte Schichtung des Kronendachs, sie brauchen bestimmte Ressourcen, die dann auch ganzjährig Nahrung liefern. Das wäre nach Einschätzung Ganzhorns eine sehr effiziente Maßnahme.

Jörg Ganzhorn hofft, dass die neuen Erkenntnisse über die Bedürfnisse der Affen dabei helfen, ihren Lebensraum zu erhalten.

Die Lebensräume von Primaten, wie hier einem Seidensifaka (Propithecus candidus) in den Regenwäldern im Nordosten Madagaskars, sollten eigentlich besser geschützt werden.
Die Lebensräume von Primaten, wie hier einem Seidensifaka (Propithecus candidus) in den Regenwäldern im Nordosten Madagaskars, sollten eigentlich besser geschützt werden.
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Autor/in
Nina Kunze
Onlinefassung
Ralf Kölbel