Interview

Steigert Leistungssport das Hodenkrebsrisiko?

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Prof. Frank Sommer im Interview mit Jochen Steiner
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Leonie Kalscheuer

Bei Männern zwischen 20 und 40 Jahren ist Hodenkrebs die häufigste Tumorerkrankung. Besonders bei Leistungssportlern fällt diese Diagnose oft. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Hodenkrebserkrankung und dem vielen Sport?

Bald geht die Fußball-Bundesliga wieder los. Vor dem Start kaufen die Vereine noch den einen oder anderen neuen Spieler ein, so auch Borussia Dortmund. Zum BVB kam unter anderem Sebastian Haller neu dazu. Der konnte aber nur kurz mittrainieren, denn bei ihm wurde Hodenkrebs diagnostiziert. Er fällt jetzt erstmal aus.

Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft ist Hodenkrebs eine eher seltene Tumorerkrankung, und sie ist heutzutage zum Glück gut heilbar. Aber es scheint gar nicht so selten zu sein, dass Leistungssportler an Hodenkrebs erkranken. Extremer Leistungssport vor der Pubertät könnte ein Risikofaktor für die Entstehung von Hodenkrebs sein. Jochen Steiner hat in der SWR2 Sendung Impuls mit dem Urologen und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit, Professor Frank Sommer, darüber gesprochen.

Vom Leistungssport zur Hodenkrebsdiagnose

Jochen Steiner: Ist die Studienlage hier wirklich so eindeutig? Kann man also den kausalen Zusammenhang zwischen Leistungssport vor der Pubertät und anschließendem erhöhten Risiko für Hodenkrebs herstellen?

Professor Frank Sommer: Nein, das kann man so eindeutig nicht festlegen. Das Problem bei solchen Studien ist, dass man diese nicht von Beginn macht. Also das heißt, man untersucht nicht schon die Kinder und beobachtet was der Leistungssport macht, sondern man schaut sich die Menschen an, die schon einen Hodentumor haben und wie viel Leistungssport diese getrieben haben. Und damit macht man nur rückwärts Rückschlüsse. Es könnten also auch ganz andere Faktoren mit eine Rolle spielen, die einen Hodentumor auslösen können.

Jochen Steiner: Es gibt jedoch mehrere Studien, die sagen, dass Leistungssport vor der Pubertät dazu führen könnte oder zumindest einen Risikofaktor von mehreren sein könnte?

Professor Frank Sommer: Wie Sie gerade gesagt haben, es gibt mehrere Studien. Insbesondere eine Studie welche aussagt, dass wirklich versucht wurde alle Faktoren rückwirkend auszuschließen. Hier kam man zu dem Ergebnis, dass das relative Risiko einen Hodentumor zu kriegen zwei bis dreimal höher ist als bei einem normalen jungen Mann. Laut ihnen ist eben Leistungssport vor der Pubertät der Grund dafür.

Kinder spielen Fußball
In den bisherigen Hodenkrebs-Studien werden die Probanden nicht von Beginn ihrer sportlichen Laufbahn beobachtet sondern erst, wenn es später zur Krebsdiagnose kommt. Es können also nur bedingt Rückschlüsse auf den Einfluss von viel Sport im jungen Alter geschlossen werden.

Sport kann auch gegen Tumorerkrankungen helfen

Jochen Steiner: Gibt's einen Hinweis, warum gerade Leistungssport und warum gerade Hodenkrebs?

Professor Frank Sommer: Ja, allen Anschein nach ist der Hoden extrem sensibel. Wir von der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit machen gerade gemeinsam mit unseren amerikanischen Kollegen auch eine internationale Studie, die auch einen sehr hohen Datensatz aufweisen. Wir untersuchen genau diese Verbindung zwischen Sport und Tumoren. Grundsätzlich kann man sagen, dass nicht gleich die Alarmglocken bei den Hörern angehen sollten. Normalerweise ist jemand, der Sport betreibt, tumorprotektiver. Das heißt, es bricht weniger ein Tumor aus. Die Person hat ein geringeres Krebsrisiko als jemand, der gar kein Sport macht und sich schlecht ernährt.

Jochen Steiner: Wir wollen den Sport nicht schlecht machen. Bewegung ist wichtig! Wir sitzen zu viel, macht Sport, bewegt euch, das ist gut für die Gesundheit!

Hohe Temperaturen steigern Krebsrisiko

Professor Frank Sommer: Aber es gibt eine Ausnahme. Es könnte sein, dass bei einem Hodentumor, wenn in jungen Jahren vor der Pubertät schon hart trainiert wird, so ein Tumor ausgelöst wird. Wir haben mehrere Ansätze, warum das so sein könnte: Wir vermuten ein Ansatz könnte sein: Dass die Hoden sehr temperaturempfindlich sind. Und wir wissen beispielsweise bei Radrennsportlern, wo auch enge Hosen getragen werden, dass das dazu führt, dass die Temperaturen an den Hoden weniger abkühlen. Und das ist ein Risiko, wenn beispielsweise ein Hoden in der Leiste oder im Bauchraum liegt. Es ist bewiesen, dass eine Temperaturerhöhung von 0,5 bis 1 Grad ausreicht, um das Risiko, Hodentumor zu bekommen, um das 40- bis 50-fache zu erhöhen.

Jochen Steiner: Also geht es schon auch um bestimmte Sportarten? Sie haben gerade den Radsport angesprochen, wurde das auch bei den Studien nachgeschaut?

Professor Frank Sommer: Nicht bei diesen Studien. Da wurde grundsätzlich der Sport beobachtet. Zwischen Fußball, Radsport, American Football wurde nicht unterschieden, sondern alle Teilnehmer, die vor der Pubertät Leistungssport getrieben haben, mit einbezogen. Wir schauen jetzt verschiedene Sportarten an und versuchen auch noch tiefer in die Familienanamnese einzusteigen. Vielleicht kommen wir über Gewebeproben an weitere Erkenntnisse, um es genauer zu analysieren.

rennradfahrer bei einer Tour.
Schon eine um 0,5 bis 1 Grad erhöhte Temperatur steigert bei Männern das Risiko, an Hodenkrebs zu erkrnaken. Besodners bei Redfahreren, die lange auf dem Sattel sitzen, stellt das eine Gefahr dar.

Jochen Steiner: Stehen auch noch andere Krebsarten im Verdacht, dass da eine Verbindung ist zum Leistungssport besteht?

Professor Frank Sommer: Da kann ich für alle Zuhörer sagen, es gibt keinen Verdacht. Das ist in vielen Studien bewiesen worden, auch in unserer Studie. Der Sport ist wie vorhin erwähnt eher protektiv. Also das Gegenteil ist der Fall. Es treten weniger Tumore auf, als bei denen, die gar keinen Sport machen und sich gar nicht bewegen.

Hodenkrebs lässt sich gut behandeln

Jochen Steiner: Welche Konsequenzen hätte denn jetzt die Diagnose von Hodenkrebs speziell für Leistungssportler?

Professor Frank Sommer: Bei Leistungssportlern handelt es schon eine ganz spezielle Patientengruppe. Weil viele Leistungssportler auch ihr Geld mit ihrem Spot verdienen. Und da muss man sie sowohl während der Therapie als auch in der Aufbauphase nach der Therapie engmaschig betreuen. Man muss sie sowohl hormonell beobachten als auch spezielle Trainingstechniken haben, um die hormonelle Situation perfekt zu gestalten und dabei keinen großen Leistungseinbruch zu haben, oder um es sogar zu schaffen, das der Sportler wieder an die Eigenleistung herankommt und sich dann noch verbessert. Aber da braucht man wirklich eine enge medizinische Betreuung.

Jochen Steiner: Vorausgesetzt natürlich, die Heilung ist zufriedenstellend. Ich hatte gesagt, Hodenkrebs ist heutzutage gut heilbar, ist das wirklich so?

Professor Frank Sommer: Ja, das ist so! Vor 1958 sind viele Männer daran verstorben. Jetzt aber sind die Therapien so gut, dass 5 bis 10 Jahre nachdem die Diagnose gestellt wurde, es so ist, als ob sie nie einen Tumor gehabt haben – und das bei circa 90 bis 95 Prozent der Männer! Das sind die guten Nachrichten. Kaum eine Art des Hodenkrebs ist sehr schlimm und die meisten sind gut heilbar. Später im Leben ist es dann so, als ob sie es nie gehabt haben was echt tolle Nachrichten sind.

Jochen Steiner: Wie sieht die Behandlung normalerweise aus?

Professor Frank Sommer: Normalerweise wird so ein Hoden immer entfernt, und zwar so schnell wie möglich. Also anders als bei anderen Arten von Tumoren darf man sofort die Diagnose stellen und sofort operieren. Das liegt daran, dass sie sehr schnell metastasieren.

Ein Hoden kann die Funktionen des anderen übernehmen

Steiner, Jochen: Und wenn ein Hoden entfernt wurde, ist man als Mann da sehr eingeschränkt?

Professor Frank Sommer: Wir Männer haben den Segen von zwei Hoden, sodass der andere Hoden wenigstens teilweise die Funktion übernehmen kann, beispielsweise die Fertilität, Fruchtbarkeit, um später mal Kinder kriegen zu können, also viele der hormonelle Sachen. Wir wissen, dass der Hoden ungefähr 95 Prozent des Testosteron des Mannes produziert. Da ist es natürlich schon etwas schwierig, wenn der eine Hoden entfernt ist, dass der andere die komplette Aufgabe übernimmt. Es gibt häufig den Fall, wenn ein Hoden mit einem Tumor erkrankt ist, dass auch der andere Hoden nicht ganz so fit ist. Das muss man aber genau untersuchen und dann individuell für den jeweiligen Mann eine entsprechende Therapie erstellen.

Übrigens die häufigste Tumorerkrankung zwischen dem zwanzigsten und vierzigsten Lebensjahr ist der Hodenkrebs. Dieser Tumor tritt in dieser Altersgruppe also gar nicht so selten, auf wie man denkt. Weil jedoch gleichermaßen die 40- bis 90-jährigen Männer beobachtet werden, tauchen anderen Erkrankungen häufiger auf. Aber es ist bewiesen, in der jungen Altersgruppe ist der Hodenkrebs der häufigste Tumor.

Was kann jeder Mann als Vorsorge tun?

Jochen Steiner: Gibt es eine Früherkennung für Hodenkrebs oder regelmäßige Kontrollen, die empfohlen sind?

Professor Frank Sommer: Unter der Dusche kann sich ein Mann gut selbst abtasten. Da es hier schön warm ist und der Hodensack entspannt, kann man gut abtasten, ob die Oberfläche glatt ist. Wenn die Oberfläche beider Hoden glatt ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Hodentumor hat, sehr gering. Also ist Abtasten das Wichtigste, was man selbst regelmäßig machen kann.

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Leonie Kalscheuer