Ein Herzinfarkt wird bei Frauen häufig übersehen. Etwa weil die Diagnosewerte auf den Mann zugeschnitten sind oder auch die Frauen selbst nicht an ihr Herz denken. Die Therapie kommt dann oft zu spät, das Herz leidet, die Frau verliert wertvolle Jahre. Das zeigt auch die Geschichte von Angelika Hesse.
Sport ist Angelika Hesses Leben. Doch eines Tages kann sie mit dem Fahrrad die kleine Steigung, die sie sonst mit Leichtigkeit bezwingt, nicht mehr bewältigen. Sie atmet schwer. "Irgendwann, mein Mann war dabei, habe ich gesagt: 'Ich muss jetzt hier absteigen.'", erinnert sich Hesse. Sie habe keine Luft mehr bekommen.
Hesse deutet Symptome falsch
Etwa ein Jahr liegt das zurück. Hesse ahnt nicht, dass der Vorfall ein Hilferuf ihres Herzens ist. Wie viele Menschen ist sie damals noch der Meinung: Am Herzen werden nur Männer krank. "Landläufig ist es ja so, dass wenn von Herzinfarkten gesprochen wird, oft Männer betroffen sind", so Hesse.
Asthma statt Herzprobleme als Diagnose
Für die Schweizer Herzspezialistin und Gendermedizinerin, Catherine Gebhard, ist das ein fataler Irrglaube. "Das hat noch nie gestimmt. Aber die Meinung hält sich leider immer noch", sagt Gebhard.
Denn auch Ärzte haben, wenn es um das Thema Herz geht, oft einen Tunnelblick. Dafür ist die Geschichte von Angelika Hesse ist ein gutes Beispiel. Die Sportlerin ringt bald nach dem ersten Vorfall mit dem Fahrrad auch beim Treppensteigen nach Luft und macht sich Sorgen. "Ich bin dann natürlich auch zum Arzt gegangen. Der meinte, es ist Asthma und da müssten Sprays her", sagt Hesse. Von da an habe sie Asthmamittel verschrieben bekommen.
Hesse klappt auf dem Sofa zusammen
Sie probiert vier verschiedene Sprays aus. Aber die Mittel helfen nicht recht. Immer wieder bleibt ihr die Luft weg. Hesse lässt sich trotzdem nicht aufhalten, macht sogar noch einen Triathlon. Dabei ist ihr Herz ist in Gefahr. Als sie eines Tages vom Joggen zurückkommt, klappt sie auf dem Sofa zusammen. "Nachmittags wollte ich die Tour de France gucken. Ich habe den Fernseher angemacht und habe mich auf's Sofa gesetzt – und dann wurde mir irgendwie komisch", sagt Hesse.
Ihr Mann ruft den Notarzt, sie kommt ins Krankenhaus. Erst hier wird zum ersten Mal auch gründlich ihr Herz untersucht. Trotzdem wird sie wieder entlassen. Eine genaue Diagnose gibt es nicht. "Drei Wochen später rief die Kardiologie an", sagt sie. "Und ich denke: 'Oh, es ist meinem Mann was passiert.'" Aber es wird schnell klar, dass es um Hesse selbst geht.
Zu hoher Blutdruck hat die Herzwand verdickt
Die 70-Jährige erfährt: Sie hat eine Herzschwäche, vermutlich verursacht durch zu hohen Blutdruck. Von ihren Blutdruckspitzen hatte Angelika Hesse viele Jahre gewusst – sie aber nicht recht ernst genommen. Die Kardiologin Anja Sandek vom Universitätsklinikum Göttingen erklärt ihr jetzt, was hoher Blutdruck am Herzen anrichtet: die Herzwand hat sich verdickt. Dadurch sei sie weniger elastisch und könne das Blut aus der Lunge nicht aufnehmen. Es bilde sich ein Rückstau. So sei ihre Luftnot entstanden, erklärt Sandek ihr.
Angelika Hesse wähnte sich viel zu lange auf der sicheren Seite. Sie war es gewohnt, als junge Frau eher zu niedrigen Blutdruck zu haben. Ein typischer Fall, sagt Sandek. Denn wie viele andere Frauen auch habe Angelika Hesse während der Wechseljahre Blutdruckspitzen entwickelt. In dieser Zeit schwinden die weiblichen Hormone und mit ihnen der natürliche Schutz für die Blutgefäße. Die Frau muss nach den Wechseljahren also umdenken. Genau so wie die Herzmedizin, die Kardiologie also, sagt Catherine Gebhard von der Universität Zürich. Denn die sei in vielem auf den Mann ausgerichtet.
Therapien sind oft auf Männer ausgelegt
Die üblichen Therapien etwa mit Medikamenten stimmen für die Frauen oft nicht. In einer renommierten medizinischen Fachzeitschrift konnte man es jüngst lesen: Frauen benötigen andere Dosierungen als Männer. "Zum Beispiel bei Medikamenten gegen Herzschwäche hat eine Studie kürzlich gezeigt, dass die Frauen am meisten profitieren – überleben – wenn sie etwa 40 bis 60 Prozent der empfohlenen Dosis bekommen", sagt Gebhard. Männer hatten am meisten profitiert, wenn sie 100 Prozent der empfohlenen Dosis bekommen hätten. "Das zeigt sich auch bei der Sterblichkeit."
Sandek rät zu regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen
Die Kardiologin rät Frauen ausdrücklich davon ab, Tabletten auf eigene Faust zu reduzieren. Wichtig sei aber, das Gespräch mit den behandelnden Ärzten zu suchen, Nebenwirkungen zu schildern. Anja Sandek von der Universitätsmedizin Göttingen legt den Frauen ans Herz, sich frühzeitig zu Vorsorgeuntersuchungen zu melden. "Und zwar schon ab dem 35. Lebensjahr regelmäßig", sagt Sandek. Bei diesen werden Blutdruck, Blutfett und Blutzucker gemessen.
Für Angelika Hesse ist die Sache noch mal gut ausgegangen. Seit sie Medikamente für ihr Herz und gegen den hohen Blutdruck nimmt, kann sie wieder wie gewohnt Sport treiben. "Die Leute, die mit mir zusammen sind, sagen: 'Du pustest gar nicht mehr'", sagt Hesse. "Die haben das vorher schon gehört, wenn sie mit mir liefen, wie ich geatmet habe. Das das anders war als jetzt."