Bei dem Fund handelt es sich um die bisher größte bekannte Fundstätte von Dinosaurierfußspuren in ganz Alaska: Das „Kolosseum“ – benannte nach dem römischen Amphitheater, an das die schräge Felswand erinnert, umfasst eine Fläche von insgesamt über 7500 Quadratmetern – oder umgerechnet mehr als ein Fußballfeld.
Dustin Stewart und Patrick Druckenmiller entdeckten die Fußspuren, als sie nach einer siebenstündigen Wanderung im Denali Nationalpark eine Besonderheit in der Felswand bemerkten: In der Gesteinsschicht waren in der Abenddämmerung und bei einem bestimmten Einfallswinkel des Sonnenlichts hunderte Dinosaurierspuren sichtbar.
Doch warum verlaufen die Dinosaurierspuren senkrecht? Und warum befand sich gerade in Alaska, wo heute arktisches Klima herrscht, so ein vielfältiges und komplexes Ökosystem?
Spuren geben Hinweise auf das Sozialleben der Urzeittiere
Als Dustin Stewart und Patrick Druckenmiller die Felswand voller Dinosaurierspuren entdeckten, staunten sie nicht schlecht: „Wir waren am ausflippen“, erzählt Dustin Stewart in einem Bericht der University of Alaska Fairbanks. Stewart hatte die Forschung eigentlich nur für seine Masterarbeit vorgesehen. „Dann sagte Patrick: Holt eure Kamera.“ Nun wurde der Artikel auch im Fachblatt „Historical Biology“ veröffentlicht.
Anhand der Spuren könnten die Paläontologen auch Informationen über das Sozialleben der Urzeittiere gewinnen, erläutert Eudald Mujal Grané dem SWR, der am Naturkundemuseum Stuttgart zu Fossillagerstätten forscht. „So wissen wir zum Beispiel, dass Hadrosaurier sehr soziale Tiere waren, weil sie sich in großen Gruppen bewegt haben“, erzählt Mujal Grané. Auch die Art der Fortbewegung, also ob die Dinos auf zwei oder vier Beinen gelaufen sind, können die Wissenschaftler:innen anhand der Spuren nachvollziehen.
Warum verlaufen die Spuren senkrecht?
Doch warum gerade in dieser Gegend in Alaska so viele Dinos unterwegs waren, gibt den Forschenden bis heute Rätsel auf. „Ein Grund könnte sein, dass das Klima in Alaska damals deutlich wärmer war als heute“, so Mujal Grané. Die Durchschnittstemperatur betrug vor rund 70 Millionen Jahren vermutlich rund elf Grad Celsius. Heutzutage liegt die durchschnittliche Temperatur dort bei minus zwei Grad. “Durch Isotope im Gestein können wir nachvollziehen, wie das Klima sich über die Jahrtausende entwickelt hat”, erklärt Mujal Grané.
Dass die Spuren an einem fast senkrechten Felsen entdeckt wurden, hat einen besonderen Grund: Die Erdschichten im Denali Nationalpark haben sich über die Jahrtausende hinweg so gefaltet, dass der einst flache Boden jetzt um 70 Grad geneigt ist. Über 60 Meter ragt die Felswand in die Luft, was einem 20-stöckigen Hochhaus entspricht. Da Alaska auf der Nordamerikanischen Erdplatte in der Nähe der Pazifischen Platte liegt, kam es über die Zeit regelmäßig zu Verschiebungen in der Plattentektonik.
Die Spuren wurden mit einem virtuellen 3D-Modell nachgebildet
Die Cantwell-Formation, in der sich die Stätte mit Dinosaurierspuren befindet, entstand durch die Ansammlung von Fluss- und Seesedimenten zwischen der Kollision zweier Landmassen. Da das „Kolosseum“ Teil eines Nationalparks und Schutzgebiets ist, wurden die Spuren mit virtuellen 3D-Modellen nachgebildet, anstatt sie auszugraben und zu entfernen.
Dabei nehmen die Wissenschaftler:innen zwei sich überschneidende Fotos in verschiedenen Winkeln auf und verarbeiten diese mit Hilfe einer Computersoftware. Dann messen sie den Abstand zwischen den einzelnen Fotos und verwenden diese Messungen zur Erstellung des 3D-Modells. Für die Kartierung des schwer zugänglichen Geländes wurde dabei auch eine Kameradrohne eingesetzt.
Hadrosaurier wechselten bei der Flucht auf ihre Hinterbeine
Wissenschaftler:innen vermuten heute, dass Alaska damals ein „Super-Highway“, also eine Art “Super-Autobahn” für Dinosaurier war, weil es als Teil einer Landbrücke Asien und Amerika verband. Die Fährten im „Kolosseum“ lassen sich laut dem Paläontologen Mujal Grané in drei Hauptgruppen einteilen: Die Gruppe der Ornithopoden, zu denen die Hadrosaurier gehören, die Gruppe der Ceratopsiden wie zum Beispiel der Triceratops und die Gruppe der Theropoden, zu denen der Tyrannosaurus Rex und der Lythronax zählen.
Vor allem große Pflanzenfresser haben im Denali Nationalpark ihre Spuren hinterlassen, darunter auch Hornsaurier und Hadrosaurier. Letztere wurden aufgrund ihrer flachen, breiten Schnauze auch als Entenschnabelsaurier bezeichnet. Die sozialen Tiere bewegten sich vor allem auf vier Beinen fort, wechselten auf der Flucht aber auf ihre Hinterbeine.
Noch heute kann man die Form der Dinosaurierzehen erkennen
Auch Fleischfresser, zum Beispiel Tyrannosaurier, konnten anhand ihrer Abdrücke als Besucher ausgemacht werden. Die Tiere bewegten sich dort in der Kreidezeit über einen schlammigen Untergrund, da sich in der Nähe eine große Wasserstelle befand und regelmäßig für Überschwemmungen sorgte. Mit der Zeit verhärteten sich die Fußabdrücke und konnten so über Millionen von Jahren konserviert werden.
Dass die Spuren über diesen Zeitraum so gut erhalten geblieben sind, beeindruckt den Paläontologen Mujal Grané vom Naturkundemuseum Stuttgart immer noch: “Es ist unglaublich, dass eine Spur eines Tiers so viele Jahre überlebt hat”, berichtet er. “Jedes Fossil und jede Spur ist wie ein Schatz für uns.”
Noch heute sind die Fußspuren so detailliert, dass man sogar die Form der Dinosaurierzehen und die Beschaffenheit der Haut erkennen kann. Schon 2014 wurde in Alaska eine Gesteinsformation mit tausenden Abdrücken von Entenschnabel-Dinosauriern entdeckt. Allgemein gilt Alaska als ein besonders ergiebiger Fundort für Dinosaurier-Fußabdrücke.
Tyrannosaurier, um ein Vielfaches größer als der größte Braunbär
Auch die Paläontologen der University of Alaska Fairbanks zeigen sich beeindruckt: „Es ist faszinierend zu wissen, dass die Flora und Fauna im Denali-Nationalpark vor 70 Millionen Jahren genauso beeindruckend war wie heute“, wird Patrick Druckenmiller in einem Bericht der University of Alaska Fairbanks zitiert. Er war einer der leitenden Autoren des Artikels, der über den Fund veröffentlicht wurde.
"Es war bewaldet und es wimmelte von Dinosauriern", so Druckenmiller. "Es gab einen Tyrannosaurier, der in Denali herumlief und um ein Vielfaches größer war als der größte Braunbär von heute. Es gab Raptoren. Es gab fliegende Reptilien. Es gab Vögel. Es war ein erstaunliches Ökosystem."
Druckenmiller plant, mit dem Team vom Denali National Park in Zukunft noch mehr Spuren im Gestein zu untersuchen, die Hinweise auf das Leben der Dinosaurier in der Kreidezeit liefern könnten. “Der Park ist ein großartiges Gebiet, um die Dinosaurierspuren zu untersuchen”, berichtet Druckenmiller, der auch das University of Alaska Museum of the North leitet. “Es liegt noch ein Leben voller Entdeckungen vor uns.”