Umwelt und Gehirn

Macht Feinstaub dumm?

Stand
Autor/in
Piotr Heller
Onlinefassung
Ralf Kölbel

Winzige Feinstaub-Partikel können einen Einfluss auf das Gehirn haben. Wie diese die Denkleistung beeinflussen, wurde jetzt an Schachspielern erforscht.

Feinstaub senkt menschliche Produktivität

„Wir wissen, dass Menschen, wenn es eine hohe Luftverschmutzung insbesondere hinsichtlich Feinstaub gibt, ihre Produktivität senken. Wir wissen das von Studien in Callcentern, von Studien im landwirtschaftlichen Bereich. Wir wissen das aber auch von Studien zum Verhalten von Investmentbankern, also wie oft sie sich einloggen und wann sie sich einloggen."

Bei Steffen Künns Forschung geht es um Effizienz und Produktivität – eben darum, wie man das meiste aus Arbeitern herausholt. Schlechte Luft zum Beispiel mindert die Leistung.

Aber das ist  nur das grobe Bild der Effekte von Feinstaub. Man kann es auch ganz fein betrachten, auf der medizinischen Ebene:

  • Feinstaub kann über die Nase ins Gehirn vordringen.
  • Außerdem können die Partikel Entzündungen in der Lunge hervorrufen, bei denen wiederum schädliche Eiweiße entstehen.
Eine hohe Feinstaubbelastung kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken.
Eine hohe Feinstaubbelastung kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken.

Einfluss von Feinstaub auf Hirnleistung von Schachspielern

Zwischen dieser groben und der feinen Beobachtung liegt die Frage, ob und wie sehr der Feinstaub wirklich beim Denken stört. Dabei kommt man, so Künn allerdings schnell an die Grenzen des empirisch Machbaren:

„Wie misst man unsere Produktivität? Wie misst man die Produktivität eines Managers? Das ist empirisch nicht einfach.“

Es gibt eben kaum ein objektives Maß dafür, wie „gut“ jemand, der Denkarbeit leistet, arbeitet. Die Forscher mussten ein anderes Studienobjekt suchen. So kamen sie durch Brainstorming auf Schachspieler. 

„Schach ist ein Spiel,  dafür braucht man keine körperliche Anstrengung. Das ist eine rein kognitive Tätigkeit. Wir messen die Denkleistung.“

Schachcomputer bewertet Schachspieler, Sensoren messen Luftqualität

Für die Messung haben sie sich ein Schachturnier in Köln vorgenommen. Sie untersuchten die Daten aus drei Jahren, insgesamt 21 Spieltage, knapp 600 Partien, 30.000 Schachzüge. Die Qualität jedes einzelnen Zuges ließen sie von einem Schachcomputer bewerten. So konnten sie ermitteln, wie oft die Spieler Fehler begingen.

Mit verschiedenen Sensoren wurde dann noch die Luftqualität im Raum gemessen: Wie zum Beispiel: Feinstaub-Konzentration, CO2, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, aber auch Geräusche und andere Luftqualität-Maße.

Die Fehlerquote bei Schachspielern steigt bei schlechter Luftqualität.
Die Fehlerquote bei Schachspielern steigt bei schlechter Luftqualität.

Mehr Feinstaub, mehr Fehler

Die Geräusch-Messungen werden gleich noch wichtig. Erstmal das Ergebnis: Stieg die Feinstaub-Belastung um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter – was in Städten durchaus vorkommt – dann stieg gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit der einzelnen Spieler, einen Fehler zu begehen, im Schnitt um 26 Prozent.

Die Forscher beurteilen das als einen starken Effekt. Mehr noch:

„Die Spieler mussten ihre ersten 40 Züge innerhalb von 110 Minuten durchführen. Man kann da annehmen, dass die Spieler unter einem gewissen Zeitdruck agieren, und dort sehen wir die größten Effekte und auch am deutlichsten.“

Andere Faktoren wie der Verkehr werden ausgeschlossen

Wenn die Spieler unter Zeitdruck waren, hatte übrigens auch das CO2 in der Luft einen Einfluss auf die Fehlerrate, ansonsten nicht. Man könnte jetzt sagen: „Aufgabe erledigt!“ Die Forscher haben einen Einfluss von Feinstaub auf die geistige Leistung nachgewiesen. Aber so einfach ist es eben nicht.

Ein Schachturnier ist kein gut kontrolliertes Experiment. Die Forscher haben nicht alle Faktoren im Griff. Könnte es sein, dass der Feinstaub nur einen scheinbaren Einfluss hat, und die Ursache in Wahrheit eine andere ist? Wie wäre es mit folgendem Szenario: Feinstaub entsteht durch den Verkehr. Vielleicht waren die Spieler an verkehrsreichen Tagen einfach gestresst, weil sie vor der Partie im Stau standen.

„Das schließen wir aus. Weil wir kontrollieren für diese potenziellen Faktoren, die beides beeinflussen können. Wir kontrollieren für das tägliche Verkehrsaufkommen in der Stadt sowie in der näheren Umgebung der Austragungsstätte.“

Autos stehen im Stau. Viele Pendler sind hier auf dem Weg in die Stadt. Die Zahl derjenigen, die vom Wohnort zur Arbeitsstätte pendeln müssen, steigt in Baden-Württemberg zunehmend. Foto: Patrick Seegerdpa +++ dpa-Bildfunk +++
Andere Faktoren, wie z.B. Stress durch Stau wurden bei der Studie ausgeschlossen - wobei die Luftqualität im Stau sicher auch mit relativ viel Feinstaub belastet ist.

Denkarbeit lieber im Grünen?

„Kontrollieren“ heißt: Die Forscher ermitteln auch Verkehrsdaten und zeigen, dass die keinen messbaren Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit haben. Gleiches gilt für die Temperatur und für eventuellen Verkehrslärm beim Turnier – daher die Geräuschmessungen. All das sind starke Hinweis darauf, dass es tatsächlich der Feinstaub war. Was können Arbeitsökonomen, bei denen es wie gesagt um Produktivität und Effizienz geht, mit so einem Ergebnis anfangen?

„Im Moment sind deutsche Städte ja so oder Unternehmen so organisiert, dass die meisten Zentralen – Unternehmenszentralen – in Stadtzentren angesiedelt sind, wo auch die höchste Luftverschmutzung gemessen wird. Wenn man jetzt sagen würde: ‚Okay, wir glauben, dass unsere Mitarbeiter genauso beansprucht wären wie die Kognition des Schachspielers‘, könnte man überdenken, ob es der richtige Platz ist für meine Arbeitnehmer – die Stadtzentren.“

Denkarbeit nur noch im Grünen? Das wäre vielleicht eine extreme Schlussfolgerung aus der Studie. Das Ergebnis zeigt aber in jedem Fall, dass Arbeitgeber ein direktes wirtschaftliches Interesse daran haben könnten, ihre Mitarbeiter möglichst saubere Luft atmen zu lassen.

Frische Luft ist gut für die Leistung des Gehirns.
Frische Luft ist gut für die Leistung des Gehirns.
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Piotr Heller
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Ralf Kölbel