Was genau passiert im menschlichen Gehirn, wenn wir als Erwachsene sehr intensiv eine zweite neue Sprache lernen? Werden dabei bestimmte neuronale Areale größer, bilden sich dort mehr Verbindungen, verändert sich im Gehirn insgesamt die Verbindungsarchitektur? Arbeiten also etwa linke und rechte Gehirnhälfte besser zusammen? Diese Fragen haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig interessiert. Sie haben eine Studie gemacht, bei der erwachsene syrische Geflüchtete Deutsch gelernt haben.
Hierfür wurde ein umfangreiches Intensivprogramm zum Erlernen der deutschen Sprache für syrische Geflüchtete organisiert. Den Lernfortschritt im Gehirn der Teilnehmenden haben die Forschenden mithilfe hochauflösender Magnetresonanztomographie (MRT) analysiert.
Auch bei Erwachsenen verändert das Erlernen einer neuen Sprache die Strukturen im Gehirn
Die Forschenden konnten erstmals zeigen, dass sich beim Erlernen einer neuen Sprache im Gehirn die Verbindungen zwischen den Regionen der Sprachverarbeitung dynamisch verändern. Erst dadurch wird es möglich, in der neuen Sprache zu kommunizieren und zu denken.
Über einen Zeitraum von sechs Monaten verglich das Forschungsteam unter der Leitung von Alfred Anwander und Angela Friederici genau die Gehirnscans von 59 arabischen Muttersprachlern, die intensiv Deutsch lernten. Entschlüsselt wurden die Veränderungen in der Konnektivität zwischen den Gehirnarealen durch hochauflösende MRT-Bilder, die zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Lernphase aufgenommen wurden.
Mit einem speziellen Verfahren, der so genannten Traktographie, gelang es, die neuronalen Bahnen am Computer sichtbar zu machen. Die Bilder zeigen eine Verstärkung der Nervenverbindungen innerhalb des Sprachnetzwerks in der linken Gehirnhälfte sowie die Beteiligung zusätzlicher Regionen in der rechten Hemisphäre während des Zweitspracherwerbs.
Für das Erlernen einer Zweitsprache ist auch die rechte Hirnhälfte nötig
Mit dem Lernfortschritt, sagt Xuehu Wei, Erstautorin der Studie, nahm die Konnektivität zwischen den Spracharealen in beiden Hemisphären zu.
Die Studie zeigte allerdings auch, dass sich beim Erlernen einer Zweitsprache die Konnektivität zwischen den beiden Gehirnhälften, die über den Gehirnbalken miteinander verbunden sind, verringert.
Beim Erlernen einer Erstsprache, erläutert Anwander, findet die Sprachverarbeitung hauptsächlich in der linken Hemisphäre des Gehirns statt.
Weniger Verbindungen zwischen rechter und linke Hirnhälfte erleichtern das Erlernen einer Zweitsprache
Die rechte Hemisphäre kann beim Erlernen einer Zweitsprache allerdings nur dann gut arbeiten, wenn die linke Hemisphäre die rechte Hemisphäre weniger unterdrückt und sozusagen selbst ihren Anteil an der Sprachverarbeitung machen lässt. Das ist nur möglich, wenn die Verbindungsstärke zwischen den zwei Hirnhälften reduziert wird. Die sprachdominante linke Hemisphäre übt dann weniger Kontrolle über die rechte Hemisphäre aus. So werden Ressourcen in der rechten Gehirnhälfte frei, um die neue Sprache zu integrieren.
So wurde laut Anwander zum Beispiel beim Stottern gezeigt: Wenn die rechte Hemisphäre nicht stark genug unterdrückt wird und da immer mitreden will, kommt es zum Stottern.
Die vorliegende Studie veranschauliche letztlich, sagt Anwander, "wie sich das erwachsene Gehirn an neue kognitive Anforderungen anpasst, indem es die strukturelle Konnektivität innerhalb und zwischen den Hemisphären moduliert.“
Wenn man in gewisser Weise andere Welten wahrnehmen will, brauche man auch andere Hirnverbindungen, erläutert Anwander im Interview mit dem SWR. Früher konnte bereits gezeigt werden, dass Menschen, die in unterschiedlichen Sprachgebieten aufgewachsen sind, auch unterschiedliche Gehirn-Netzwerke haben.
Unser Gehirn bleibt auch im Erwachsenalter formbar
Das Experiment zeigt noch einmal, wie flexibel und formbar unser Gehirn ist. Das betrifft nicht nur das Erlernern von Sprachen, sondern auch das Lernen motorischer Fähigkeiten, wie beispielsweise das Jonglieren von Bällen oder das Halten vom Gleichgewicht. Wer das trainiert, verändert eben auch das Gehirn. Das ist zum Beispiel entscheidend für das Verständnis von Rehabilitationstechniken.
Dass dies auch bei kognitiven Fähigkeiten wie beim Erlernen einer Zweitsprache der Fall ist, wurde bisher so noch nicht gezeigt. Die Forschenden konnten nachweisen, dass sich auch etwas rein Gedankliches im Gehirn widerspiegelt, und dass auch bei Erwachsenen noch Veränderungen im Gehirn möglich sind. Es lohnt sich also auch noch im Erwachsenenalter etwas Neues wie eine neue Fremdsprache zu lernen.