Emissionsbilanz 2024

Wo steht Deutschland in Sachen Klimaneutralität?

Stand
Interview mit
Dr. Felix Christian Matthes vom Öko-Institut in Berlin
Das Interview führte
Jochen Steiner
Onlinefassung
Lilly Zerbst
Portraitbild der Reporterin Lilly Zerbst.

Deutschland hat 2024 sein Klimaziel geschafft. Das zeigt die kürzlich veröffentlichte Emissionsbilanz. Warum man sich darüber nur bedingt freuen darf, erklärt Dr. Felix Christian Matthes vom Öko-Institut.

In Deutschland wurden 2024 drei Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als im Vorjahr - die Emissionen sanken um 18 Millionen Tonnen auf 656 Millionen Tonnen. Das zeigt die Emissionsbilanz der Denkfabrik Agora Energiewende.

Deutschland erreicht damit sein Klimaziel, obwohl die Prognosen anders waren. Die EU-Ziele verfehlt Deutschland allerdings. Wie kann das sein?

Dr. Felix Christian Matthes vom Öko-Institut im Gespräch mit dem SWR-Wissenschaftsmagazin Impuls.

Emissionsbilanz: EU-Ziele nicht erreicht

Jochen Steiner, SWR Impuls: 18 Millionen Tonnen Treibhausgase weniger in einem Jahr - ist das viel oder wenig?

Felix Christian Matthes, Öko-Institut: Das ist ein mittlerer Betrag, wenn man sich vorstellt, dass wir in den nächsten 20 Jahren klimaneutral werden wollen. Es ist ein signifikanter Betrag. Er ist an der Untergrenze dessen, was wir brauchen.

Aber das eigentlich interessante bei dieser Emissionsentwicklung ist nicht die Gesamtentwicklung, sondern wie sich das in den unterschiedlichen Sektoren darstellt. Denn da kommt die eigentliche Dramatik her. Da kommt auch dieser scheinbare Widerspruch her, dass wir das nationale Ziel erreichen, die EU-Ziele aber nicht.

Stromwirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität

Impuls: Wir stehen ganz gut da was die Energie angeht, also Kohlekraftwerke wurden abgeschaltet, die erneuerbaren Energien wurden ausgebaut. Nicht so gut sieht es aus bei der Industrie teilweise, im Gebäudesektor und im Verkehr. Stimmt das so?

Matthes: Genau das ist der entscheidende Blick hinter die Kulissen. Diese Emissionsminderungen, die wir 2024 wahrscheinlich erreicht haben, sind erste Schätzungen.

In der Stromwirtschaft sind drei Viertel dieser Emissionsminderung dadurch entstanden, dass weniger Kohle verstromt worden ist und dass deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt worden ist. Ein Viertel dieser gesamten Emissionsminderung im Stromsektor kommt dadurch, dass wir weniger Strom verbraucht haben und dass wir ein bisschen mehr Strom importiert haben.

Fabrik mit Kohlenstoffemissionen. Insgesamt konnten die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 18 Millionen Tonnen gesenkt werden. Das liegt unter anderem daran, dass weniger Kohle zur Stromproduktion eingesetzt wurde.
Insgesamt konnten die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 18 Millionen Tonnen gesenkt werden. Das liegt unter anderem daran, dass weniger Kohle zur Stromproduktion eingesetzt wurde.

Langer Weg zur Klimaneutralität: Diese Sektoren liegen in Deutschland noch hinten

Matthes: Die Einsparungen aus dem Stromsektor machen fast die gesamte nationale Emissionsminderung aus. Dem entgegen steht eine leichte Emissionssteigerung im Bereich der Industrie. Das hat insbesondere mit dem Wiederanlaufen energieintensiver Industrieprozesse nach den Krisenjahren 2022 und 2023 zu tun.

Wir haben fast keine Änderung im Bereich der Gebäude und wir haben eine ganz geringe Emissionsminderung im Verkehr, die vermutlich überwiegend auch konjunkturell bedingt ist.

Die EU-Ziele beziehen sich insbesondere auf die Bereiche Gebäude und Verkehr. Weil Deutschland da faktisch keine Emissionsminderung erzielt hat, sind diese Ziele verletzt. Deswegen ist diese Bilanz so gemischt, dass wir bei der Stromerzeugung auf dem Zielpfad sind, aber in den anderen Bereichen sehr deutlich entfernt sind von den Zielpfaden.

Wie lassen sich Emissionen mindern?

Impuls: Jetzt können wir ein bisschen flapsig sagen: Was bringt so eine Bilanz dann? Hilft eine Bilanz, zu sagen: Hier müssen wir noch was tun und dann tut sich was?

Matthes: Die Emissionsminderung kann im Kern auf zwei verschiedene Art und weisen passieren. Erstens: Man hat einen bestehenden Anlagenpark, zum Beispiel ein Kohlekraftwerk und das wird mehr oder weniger ausgelastet. Das sind sehr schnell reaktive Emissionsminderungen. Die kommen durch den Betrieb von Kraftwerken zustande. Die andere Quelle von Emissionsminderung sind Veränderungen der Anlagenparks, also der Autos, der Heizungen, der Gebäude etc.

Im Bereich von Verkehr, Industrie und Gebäuden ist genau das der Weg, dass die Technologien geändert werden müssen und nicht nur der Einsatz von Technologien. Es muss entsprechende Investitionen geben - isolierte Gebäude, andere Heizungen. Stahlwerke, die nicht mehr auf Kohle, sondern auf Wasserstoffbasis existieren, oder Elektroautos anstelle von Verbrennerautos.

Dafür bekommen wir eine Indikation aus diesen Emissionsbilanzen, inwieweit wir Fortschritte machen. Deswegen ist es wichtig, in die Strukturen dieser Emissionszahlen rein zu gucken und sich nicht täuschen zu lassen. Wir haben jetzt im Stromsektor tolle und wichtige Emissionsminderungen.

Aber in den Bereichen, wo das dauert, diese Investition umzusetzen, sehen wir im Moment eben leider zu geringe Emissionsminderung. Das ist die dramatische Nachricht hinter dieser im Grundsatz erstmal erfreulichen Gesamtzahl, dass wir eben überall dort, wo es in Industrie, Gebäuden und Verkehr um investitionsgetriebene Emissionsminderungen geht, dass wir da eben deutlich hinter den Zielen zurückliegen.

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