Manchmal stecken hinter unscheinbaren Namen große Fortschritte. Für Autoimmunerkrankungen könnten CAR-T-Zellen so ein Fall sein. CAR-T-Zellen werden aktuell bei der Behandlung von bestimmten Krebsarten eingesetzt. Doch Studien aus der ganzen Welt zeigen: Offenbar könnten CAR-T-Zellen auch bei Autoimmunerkrankungen eine Wirkung zeigen.
Myasthenie: Dank CAR-T-Zellen aus dem Rollstuhl
Noch steht die Forschung am Anfang: Erst etwa 100 Menschen mit einer Autoimmunerkrankung wurden experimentell mit CAR-T-Zellen behandelt. Zum Teil zeigten sich beeindruckende Erfolgen - wie bei Fabienne Schröder. Sie hat Myasthenie, eine schwere neurologische Autoimmunerkrankung. Bei einer Myasthenia gravis - kurz: Myasthenie - blockieren fehlgeleitete Antikörper die Signale zwischen Nerven und Muskeln. Bei längeren Strecken war Fabienne Schröder auf einen Rollstuhl angewiesen, ihre Lunge wurde immer schwächer.
Als letzte Möglichkeit erhielt Fabienne Schröder in der Uniklinik Bochum eine CAR-T-Zell-Therapie, eine Gentherapie. Keine Kleinigkeit. "Ich hatte Todesängste, das nicht zu überstehen", berichtet Fabienne Schröder, "dass die Therapie so eingreifend ist, dass ich da nicht mehr rauskomme. Ich hatte aber letztendlich keine andere Wahl."
Nach der Behandlung gab es tatsächlich Komplikationen, Fabienne Schröder musste zeitweise auf die Intensivstation. Doch es hat sich ausgezahlt: Bereits nach wenigen Monaten zeigten die Kontrolluntersuchungen: Ihre Muskelkraft und Lungenfunktion sind zum Teil wieder wie bei einer gesunden Frau.
Ein so gutes Ergebnis hatte auch das Ärzteteam aus Bochum nicht erwartet. "Ich habe in 36 Jahren Myasthenie-Therapie an deutschen Universitäten nie eine Patientin gesehen, die aus dem Elektro-Rollstuhl quasi wieder ins Leben zurückgekommen ist", sagt Ralf Gold, Direktor Neurologie, Katholisches Klinikum Bochum.
CAR-T-Zellen machen B-Zellen unschädlich
Diese Erfolge sind möglich, weil CAR-T-Zellen bestimmte Immunzellen der Patient*innen unschädlich machen: Die sogenannten B-Zellen.
In einem gesunden Immunsystem bilden B-Zellen Antikörper, die Schädlinge erkennen und ausschalten können. Bei Autoimmunerkrankungen richten sich einige dieser Antikörper gegen den eigenen Körper - mit fatalen Folgen.
Bei der CAR-T-Zell-Therapie werden sogenannte T-Zellen, also andere Immunzellen der Patient*innen im Labor genetisch verändert. Damit können die neu hergestellten Immunzellen die B-Zellen im Körper festhalten und zerstören. Mit den B-Zellen verschwinden auch die schädlichen Antikörper. Das Immunsystem der Patient*innen muss jedoch erst wieder neu aufgebaut werden.
Weltweit erste CAR-T-Zell-Therapie in Erlangen an Lupus-Patientin
Weltweit das erste Mal haben Ärzte der Uniklinik in Erlangen eine CAR-T-Zell-Therapie bei Menschen angewandt - bei einer jungen Patientin mit der seltenen Autoimmunerkrankung systemische Lupus erythematodes (SLE), kurz: Lupus. Die Antikörper griffen ihre Organe an und es wurde lebensbedrohlich.
"Die Patientin konnte mit der Infusion der CAR-T-Zellen alle Therapien beenden, sie war cortisonfrei und hat keine Immunsupression mehr", berichtet Georg Schett, Direktor Rheumatologie und Immunologie, Uniklinik Erlangen. "Sie ist jetzt 3 Jahre später immer noch später komplett krankheitsfrei und therapiefrei."
Sollte sich das in Zukunft weiter bestätigen - sollte Lupus mit CAR-T-Zellen dauerhaft heilbar sein - dann würde das auch die hohen Kosten rechtfertigen, so die Erlanger Forscher. Sie rechnen mit 200.000 Euro pro Infusion.
In Erlangen können sie CAR-T-Zellen selbst herstellen, doch das ist sehr aufwendig und muss für jeden Patienten individuell geschehen. Weltweit laufen bereits die ersten großen Studien an.
Nur sehr schwere Fällen dürfen an Studien mit CAR-T-Zellen teilnehmen
In Erlangen wurden bisher 25 Betroffene mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen erfolgreich mit CAR-T-Zellen behandelt. Dabei profitiert man von den Erfahrungen mit Krebspatienten aus den vergangenen Jahren.
Doch es gibt Unterschiede - auch aus ethischer Sicht, erklärt Andreas Mackensen, Direktor Hämatologie und Internistische Onkologie, Uniklinik Erlangen: "Bei den Krebspatienten geht es da in der Regel auch um Leben und Tod. Die Patienten mit den Autoimmunerkrankungen sind häufig sehr junge Patienten, die können durchaus auch trotz der fortgeschrittenen Erkrankung damit leben. Aber, man muss natürlich auch an die Zukunft denken: Die Patienten, die wir hier behandeln, haben alle letztendlich einen Organbefall gehabt von lebenswichtigen Organen."
Zurzeit dürfen deshalb nur sehr schwere Fälle an den Studien teilnehmen, nachdem alle anderen Behandlungen fehlschlugen. Denn noch gibt viele offene Fragen.
Könnte der Ansatz auch bei Multipler Sklerose helfen?
Offen ist auch, ob das Prinzip bei anderen Erkrankungen wie Multipler Sklerose wirken könnte. Bei Multipler Sklerose wandern fehlgeleitete B-Zellen ins Gehirn und Rückenmark, bleiben dort und richten über eine lange Zeit kontinuierlichen Schaden an.
CAR-T-Zellen haben hier einen Vorteil: "Am Ende ist es ja eine lebende Zelle, die man gibt und die hat all die Möglichkeiten, die sozusagen eine Zelle hat. Sie hat die Möglichkeit in das Gehirn überzutreten und dort die Ziele zu finden, auf die sie programmiert wurde", erklärt Manuel Friese, Direktor Institut für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose am UKE Hamburg
Die ersten Patientinnen mit Multipler Sklerose haben in Hamburg bereits CAR-T-Zellen erhalten. Größere Studien folgen. Doch einen so auffälligen Effekt wie bei Lupus oder Myasthenie erwartet Manuel Friese bei MS nicht: "Im Gegensatz zu vielen anderen Autoimmunerkrankungen ist es so, dass das Nervensystem meistens ja durch die zurückliegenden Entzündungen schon irreversibel geschädigt wurde.
Und damit jetzt nicht sofort ein sofort ersichtbarer Nutzen irgendwie stattfindet von allen Therapien, die wir so haben. Das Ziel ist es, dass wir weitere Schädigung abwenden wollen." Sagt Manuel Friese, Direktor Institut für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose, UKE Hamburg
Große Studien müssen die Ergebnisse von CAR-T-Zellen bestätigen
Und auch bei Myasthenie oder Lupus gilt: So vielversprechend die Ergebnisse bisher sind: Sie müssen noch durch große Studien bestätigt werden. Bereits im Jahr 2025 erwarten die Forscher in Erlangen wichtige Ergebnisse. Sollten diese positiv ausfallen, könnten die ersten Zulassungen von CAR-T-Zellen bei Autoimmunerkrankungen bald folgen.