Manfred Genditzki steht vor Urteilsverkündung im Wiederaufnahmeverfahren um den sogenannten Badewannen-Mordfall im Gerichtssaal zwischen seinen Anwälten Klaus Wittmann und Regina Rick.

Vermeintlicher Täter im Badewannenmord-Prozess freigesprochen

Biomechanik als neue Beweismethode vor Gericht

Stand
Autor/in
Stefan Troendle
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos

Der Angeklagte im Wiederaufnahmeverfahren des sogenannten „Badewannenmords“ ist am Freitag, den 7. Juni, am Münchener Landgericht freigesprochen worden.
Grundlage dafür war ein neuartiges biomechanisches Simulationsverfahren Stuttgarter Forscher.

Der 62 Jahre alte Manfred Genditzki saß 13 Jahre unschuldig in Haft. Er kam bereits im vergangenen Herbst frei, nachdem ein Gutachter der Universität Stuttgart durch die Analyse biomechanischer Prozesse und thermodynamischer Prozesse nachgewiesen hatte, dass die Verletzungen, die das angebliche Mordopfer hatte, nicht durch Anwendung von Gewalt, sondern beim Sturz in die Wanne entstanden waren.

Professor Syn Schmitt leitet das Institut für Modellierung und Simulation Biomechanischer Systeme an der Uni Stuttgart.

Großer Erfolg für Wissenschaft

Schmitt sieht es als großen Erfolg für ihre wissenschaftliche Forschung, da es das erste Mal war, dass ein biomechanisches Simulationsverfahren als Beweismethode vor Gericht anerkannt wurde.

Wir bilden den Menschen am Computer ab und versuchen dann Bewegungsabläufe zu generieren und zwar inklusive Muskeln und Nerven.

Forschung beschäftigt sich mit menschlichen Bewegungen

Professor Schmitts Grundlagenforschung beschäftigt sich damit, wie Menschen Bewegung lernen, was beispielsweise beim Stolpern passiert. Praktische Anwendungen waren bisher eher auf die Autoindustrie beschränkt:

Wenn‘s um Fahrzeugsicherheit geht, Insassensicherheit oder Fußgängerschutz – Rollerfahrer, Fahrradfahrerschutz, wo man dann Sicherheitssysteme auslegt und testet mit solchen neuromechanischen Simulationsmodellen.

Also: wie fällt ein Mensch einer bestimmten Größe aus einer bestimmten Haltung über eine Motorhaube und wo schlägt er mit dem Kopf auf? Da ist der Schritt zum Sturz in die Badewanne nicht weit.

Simulationsergebnisse können Unschuld von vermeintlichem Täter beweisen

Professor Schmitts Simulationen zeigen, dass man bei einer Gleichgewichtsstörung, wenn man weit genug von der Badewanne entfernt steht, natürlich nicht unbedingt in die Wanne fallen muss. Näher an der Wanne und bei bestimmten Handgriffen ist die Gefährdungslage aber dramatisch anders:

Die überwiegende Mehrzahl aller Simulationsergebnisse haben aber gezeigt: Wenn man vor der Wanne steht und möglicherweise noch etwas an den Hähnen einstellen möchte – wenn man die öffnen oder schließen will, dass dann ein Gleichgewichtsverlust unweigerlich zu einem Sturz in die Wanne führt.

Unweigerlich, das heißt sogar unabhängig von sogenannten Rettungsbewegungen – wie zum Beispiel Rudern mit den Armen, so Schmitt. Man fällt sozusagen trotzdem rein, also aktiv im Fallen kann man sich nicht retten.

Der Sturz erfolgt nach den Regeln der Physik

Entscheidend für die Simulation ist die Ausgangsposition, sagt Syn Schmitt, in diesem Fall lag die Tote in der Wanne leicht seitlich auf dem Bauch, das linke Bein hing über den Rand.

Insofern war es für diese Simulation besonders wichtig, zu zeigen: Das ist keine unnatürliche Haltung.

Schmitt kann sogar zeigen, wo sich die Tote beim Sturz in die Wanne wahrscheinlich den Kopf angeschlagen hat. Und er hat nicht nur mit Computer-Modellen geforscht, sondern auch Versuche mit echten Menschen gemacht, unter anderem mit einer 100 Jahre alten Dame, die sich über eine Badewanne nach vorne gebeugt und gezeigt hat, wie sie sich verhalten hätte. Genaue Prozentzahlen für die Zuverlässigkeit seiner Berechnungen hat er keine – noch keine - aber er sagt:

Wir finden aus allen plausiblen Positionen, wie man vor der Wanne stehen kann, mit unserem Modell überwiegend weit mehr als drei Viertel oder zwei Drittel Lösungen, die genau dieses Ergebnis zeigen.

Syn Schmitt hofft nun, dass seine biomechanischen Simulationsverfahren als Gutachten häufiger zum Einsatz kommen – natürlich immer dann, wenn es um Bewegung geht.

München/Stuttgart

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