Zwischen Kuh, Weide und allem, was dort lebt, gibt es eine geheimnisvolle Symbiose. Darin liegt die Lösung für eine kuh- und umweltfreundliche Tierhaltung, von der wir alle profitieren.
Die Herausforderungen des Birk-Hofs
Im Allgäu betreiben Wolfgang und Barbara Birk ihren Bio-Arche-Hof inzwischen in vierter Generation. Haupteinnahmequelle sind die 50 Milchkühe der Rasse Original Allgäuer Braunvieh. Es sind robuste, langlebige Tiere, die Milch, aber auch Fleisch liefern. Eigentlich gut. Doch um das Image der Bauern steht es nicht gut und die Kuh ist als Klima-Killerin in Verruf geraten. Dabei gibt es auf rund 1000 Metern Höhe kaum eine andere Möglichkeit der Landwirtschaft. Die Hänge sind steil, die Vegetationszeit kurz. Feldfrüchte anzubauen, macht hier gar keinen Sinn. Die offene Ackerkrume wäre zu anfällig für Erosion, die fruchtbare Humusschicht noch gefährdeter. Deshalb wird Grünland im Allgäu traditionell beweidet. Das hört sich einfacher an als es im Arbeitsalltag der Birks ist.
Kostbares Grünland – Der Unterschied zwischen Mähen und Weiden
Im Sommer hat es lange nicht geregnet. Die Böden waren ausgetrocknet. Als es endlich geregnet hat, waren das derartige Mengen, die der Boden nicht mehr aufnehmen konnte. Ein Schnitt hat im Winter komplett als Tierfutter gefehlt. Für die Birks war das Jahr 2018 ein Schlüsselerlebnis, denn das bedroht ihre Existenz. Sie schließen sie sich dem Projekt „Kuh pro Klima“ an, ein praxisnahes Forschungsprojekt im Allgäu, das Landwirte ins Leben gerufen haben und dabei von Wissenschaftlern wie der Ingenieurökologin Franziska Hanko unterstützt werden. Sie untersucht auf Wiesen und Weiden und wie sich Mähen und Grasen auf die Pflanzenvielfalt auf und im Boden auswirkt. Und sie findet heraus: Dort, wo die Kuh auf der Weide aktiv ist, wachsen deutlich mehr Pflanzen und vor allem viele verschiedene Pflanzen, die auch unterschiedlich lange Wurzeln haben. Das ist gut, denn es wirkt gegen Erosion.
Was ist besser? Öko-Landbau mit oder ohne Kuh?
Was auf dem Birkhof erst seit kurzem wissenschaftlich untersucht wird, ist auf dem Versuchsbetrieb für ökologischen Landbau der Technischen Universität München bei Freising schon seit Jahren unter Dauerbeobachtung. Hier untersuchen Prof. Dr. Kurt-Jürgen Hülsbergen und sein Team wie sich Öko-Betriebe ohne Milchkühe von einem Betrieb mit Tieren unterscheidet. Dabei geht es ihnen um die Wirkung auf Boden, Pflanzenqualität, Ertrag und Klima. Auf ihren schachbrettmusterartigen Parzellen werden die Ackerpflanzen in Fruchtfolgen angebaut. Milchviehhaltung wird simuliert, die entsprechenden Flächen mit Stallmistkompost gedüngt. Und dann kommt es darauf an: Wie viel Stickstoff wird im Boden gebunden? Wie groß sind die Lachgasemissionen? Wie gut wachsen die Pflanzen? Wie steht es um den Ertrag für die Landwirte? Und welche Rolle spielt das Kleegras dabei? Das Fazit: Ökologische Gemischtbetriebe, also mit Kühen, haben geschlossene Wirtschaftskreisläufe und sind damit umweltverträglicher.
Richtiges Beweidungsmanagement ist kein Selbstläufer
Kuh auf die Wiese, fressen lassen, fertig? So einfach ist das nicht, weiß Wolfgang Birk. Seine Kühe bekommen Sommer wie Winter nur Gras und Heu von den eigenen Wiesen. Kraftfutter ist Tabu und zugekauft wird nichts. Deshalb muss er sich sehr genau überlegen, wo die Tiere grasen sollen. Die Pflanzen dürfen nicht zu weit abgefressen werden, damit sie den Boden schützen und gut wachsen können. Die Kühe brauchen bei prallen Sonne Schattenflächen, denn sie leiden unter Hitze und können sogar Sonnenbrand bekommen. Und sie benötigen auch windgeschützte Bereiche. Dazu eignen sich Hecken oder Baumgruppen. Satt werden müssen die Tiere natürlich auch noch. Eine schwierige Balance, bei der die Birks von Franziska Hanko von „Kuh pro Klima“ beraten werden.
Das Klimagas Methan und der Effekt des Futters
Für eine umwelt- und tierfreundliche Tierhaltung lässt sich viel machen. Größtes Problem bleibt aber das Methan. Das Gas ist etwa 25 mal klimaschädlicher als CO2. Im Schnitt sind das rund 100 Kilo Methan pro Kuh und Jahr. Bei rund 11 Millionen Kühen allein in Deutschland kommt da eine ganze Menge zusammen. Methan hat daher den Ruf der Kuh ruiniert. Für Prof. Friedhelm Taube von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel liegt das aber nicht am Tier an sich. Für ihn ist das eine Frage der Haltung und des Futters. Seit 25 Jahren beschäftigt er sich mit dem Zusammenhang zwischen Futter, Kuh und Umwelt. Er und sein Team messen auf unterschiedlichen Futterflächen, wie viel Methan eine Weidekuh bei welcher Art von Futter von sich gibt. Das Ergebnis: Je höher die Vielfalt an unterschiedlichen Kräutern, Klee und Gräsern zum Grasen zur Verfügung stehen, desto geringer ist der Methanausstoß der Kühe. Bei ihren umfassenden Untersuchungen konnten die Forschenden auf dem Bio-Versuchsgut Lindhof bei Eckernförde zeigen, dass die Ökoeffizienz einer Bio-Kuh auf der Weide beachtlich ist. Der CO2 -Fußabdruck ist nur etwa halb so hoch wie bei konventioneller Stallhaltung. Der Stickstoff-Überschuss ist erheblich geringer und die Milcherzeugung auf der Fläche ist effizienter. Denn schließlich muss kein Kraftfutter zugekauft werden. Außerdem brauchen diese Bio-Kühe seltener einen Tierarzt. Prof. Taube ist davon überzeugt: Deutlich weniger Tiere, die überwiegend draußen auf der Weide grasen, sind gut für den Landwirt, gut für den Boden und schaden auch dem Klima nicht. Doch die Realität sieht anders aus.
Die Europäische Union und ihre Agrar-Subventionspolitik
Seit dem 2. Weltkrieg hat die deutsche Landwirtschaft einen erheblichen Strukturwandel erfahren. Ursprünglich war sie geprägt von Mischbetrieben mit Ackerbau und Viehhaltung. Anreize der EU-Agrarpolitik seit den 1970er Jahren und steigende Löhne haben dazu geführt, dass sich immer mehr Landwirte gezwungen sahen, sich zu spezialisieren, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben. Wer viel Grund und Boden sein Eigen nennt, erhält heute viele Subventionen. Das hat dazu geführt, dass immer weniger Betriebe immer mehr produzieren. Umweltfolgekosten werden in diesem System nur unzureichend berücksichtigt. Das müsste sich ändern, meint Prof. Taube. Landwirte sollten nicht mehr für ihren Grundbesitz subventioniert werden, sondern für eine umweltfreundliche Bewirtschaftung. Wenn man die großen Umweltprobleme unserer Zeit in Griff bekommen will, braucht es entsprechende finanzielle Anreize für die Landwirte ihr Wirtschaftsweise umzustellen.
Die Zukunft auf dem Birk-Hof
Wolfgang Birk hat inzwischen gemeinsam mit Franziska Hanko ein besseres Weidemanagement erarbeitet. Außerdem will er weitere Hecken pflanzen. Das ist gut für die Artenvielfalt und den Boden. Und seine Kühe haben an heißen Tagen wertvolle Schattenplätze. Familie Birk treibt außerdem ihre Idee einer möglichst ökologischen Kreislauwirtschaft voran. Sie kaufen kein Kraftfutter dazu und wenn sie Tiere schlachten lassen, müssen diese nicht weit transportiert werden. Wenn möglich, soll auch kein Tier an einen Mastbetrieb verkauft werden. In ihrem Hofladen verkaufen sie möglichst alles von ihren Tieren. Deshalb kommt eine mobile Käserei zu ihnen auf den Hof, um aus der Milch ihrer Kühe Käse zu machen. Und die Birks planen eine eigene Hofmolkerei. So können sie von ihrem Hof leben und sind weitgehend unabhängig. Mit ihrer Art der Landwirtschaft, die sich an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert tun sie etwas für die Artenvielfalt und machen ihren Hof zugleich zukunftsfähig. Sie haben erkannt: Eine artgerechte und umweltfreundliche Milchviehhaltung ist möglich. Sie müssen „nur“ die Potenziale der Natur nutzen. Auch die der Kuh.