Falten weg, volle Lippen, markantes Kinn

Warum die Hyaluron-Spritze so beliebt und so umstritten ist

Stand
Autor/in
Annika Ulrich
Doro Werkmann
Lars Tepel / Markt WDR, 16.10.2024

Die Behandlung mit Hyaluron-Fillern dauert nur wenige Minuten und gilt als risikoarm, auch weil sich das Hyaluron angeblich im Körper von selbst wieder abbaut. Daran gibt es allerdings immer mehr Zweifel.

Junge Erwachsene lassen sich mit Hyaluron-Fillern die Lippen aufspritzen oder mehr Kontur in Kiefer und Kinn bringen -  so wie es viele Influencer vormachen. Ab 50 sind vor allem Faltenunterspritzungen gefragt.

Was beide Altersgruppen überzeugt: Die Behandlung scheint unverbindlich zu sein. Denn im Netz heißt es auf den Werbeseiten verschiedener Anbieter, nach sechs bis 18 Monaten baue sich das Hyaluron von selbst wieder ab.

Wenn der Filler sich nicht auflöst

Einzelne Ärzte und Patientinnen haben jetzt aber Ultraschallaufnahmen und MRTs veröffentlicht, mit denen sie abgelagerte Filler nach deutlich längerer Zeit nachweisen. Zu ihnen gehört die Dermatologin Dr. Lela Ahlemann aus Hagen. Sie stellt fest, dass der Filler teilweise nach über zehn Jahren immer noch sehr gut im Gesicht nachweisbar ist: "Ich weiß wohl, dass es Common Sense ist, dass sich Hyaluron nach einem Jahr auflöst, aber meine Erfahrungen sind tatsächlich ganz andere."

Fillerreste können zu Verhärtungen und Entzündungen führen. Sie können außerdem langfristige ästhetische Folgen haben.

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Boomende Branche

Die Behandlung mit Hyaluron-Fillern boomt. Über 280.000 Eingriffe gab es im vergangenen Jahr laut Statistik der International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) in Deutschland. Weil nicht alle Anbieter Mitglied der ISAPS sind, dürfte die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen.

Prinzipiell darf jeder zugelassene Arzt und jeder Heilpraktiker Hyaluron spritzen. Dazu kommen Ketten wie DocBoom und My Health and Beauty. Sie machen immer mehr Filialen in Fußgängerzonen und Einkaufszentren auf und setzen auf Laufkundschaft, die Shoppen und Spritzen verbindet. Der Anbieter PAAU hat mehrere Filialen in Gebäuden der Parfümerie Douglas eröffnet.

„Meine Lippen sind schief – damit muss ich jetzt dealen“

Eine der schärfsten Kritikerinnen des Hyaluron-Hypes ist die Youtuberin Jasmin Gnu. Sie warnt vor Hyaluron-Fillern und erzählt offen von ihren eigenen Erfahrungen. Sie hat sich selbst acht Jahre lang Hyaluron spritzen lassen und dachte, dass ihr Gesicht wieder wird wie vorher, wenn sie damit aufhört.

Das hat nicht funktioniert und auch eine Nachbehandlung konnte die Folgen nicht beseitigen. Ihre Lippen sind schief und beim Lächeln zeigt sich eine Delle im Kinn. Damals habe sie eine falsche Selbstwahrnehmung gehabt, sich immer mehr Hyaluron vor allem in die Lippen spritzen lassen. "Unser Körper hinterlässt Narben und Spuren", sagt sie heute.

Filler sind kein körpereigenes Hyaluron

"Natürlicher Bestandteil des Körpers" und "körpereigene Substanz" – solche Formulierungen finden sich auf den Internetseiten von Anbietern. Das führt Verbraucher in die Irre.

Es stimmt, dass der Körper Hyaluronsäure bildet, die der Haut hilft, Wasser zu binden. Im Alter wird weniger Hyaluron gebildet. Die Filler sind diesem Stoff nachempfunden, aber sie sind künstlich hergestellt und so verändert, dass sie länger halten. Man spricht von einer "Quervernetzung". Denn anders als natürliches Hyaluron soll der Filler nicht innerhalb weniger Tage wieder vom Körper abgebaut werden.

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Vorher-Nachher-Bilder, aber keine Gewebeproben

Die Hersteller müssen Studien zur Sicherheit ihrer Hyaluron-Filler vorlegen. Das kontrolliert unter anderem der TÜV. Allerdings stößt dieses Kontrollsystem an Grenzen. Die Hersteller argumentieren, dass die Ethikkommission ihnen direkte klinische Studien am Menschen verbietet. Man bekomme keine Genehmigung dafür, Hautproben zu entnehmen, weil es sich um eine rein ästhetische Behandlung handele.

Ob sich die Filler auflösen, wird deshalb im Labor und anhand von Vorher-Nachher-Bildern von behandelten Gesichtern überprüft.

Martin Witte vom TÜV Süd sagt: "Eine klinische Überprüfung endet, wenn das Produkt keine optische Wirkung mehr zeigt. Ob zu dem Zeitpunkt dann noch Reste vom Produkt im Körper sind, wird nicht überprüft, kann also nicht ausgeschlossen werden."

Neue Diskussionsgrundlage durch kritische Berichte

Der zuständige Ärzte-Verband, die Deutsche Gesellschaft für ästhetische Botulinum- und Fillertherapie, räumt ein, dass sich die Sachlage durch die Beobachtungen von betroffenen Patienten und Ärzten geändert habe. Man habe bisher darauf vertraut, dass der Filler abgebaut sei, wenn der Fülleffekt in einer Falte nicht mehr sichtbar sei. Das sei aber kein ausreichender Beweis.

Der Verband hat eine Expertenkomission eingesetzt. Sie soll über ein neues Studiendesign beraten und die Behörden überzeugen, dass Gewebeproben notwendig sind.

Kritik an „Hyaluron to go“

Es gibt aber noch mehr Kritik an der Hyaluron-Branche. Die Verbraucherzentrale NRW kritisiert, dass Behandlungen zunehmend verharmlost würden. Denn Hyaluron bekommt man immer öfter "to go", in "Walk-in"-Praxen, ohne Termin, zu Preisen ab etwa 100 Euro.

Besonders Ketten wie Docboom und My Health and Beauty werben massiv auf Social Media, unter anderem mit Gewinnspielen und Vorher-Nachher-Fotos von aufgespritzten Lippen.

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Gerichtsurteil gegen Vorher-Nachher-Bilder

Gegen diese Vorher-Nachher-Bilder hat die Verbraucherzentrale NRW geklagt und im Oktober 2024 vom Oberlandesgericht Hamm Recht bekommen. Das Urteil besagt: Hyaluronbehandlungen fallen unter eine Vorschrift des Heilmittelwerbegesetzes. Das verbietet Vorher-Nachher-Bilder als Werbung für operativ plastisch-chirurgische Eingriffe, die nicht medizinisch notwendig sind.

Die Klage richtete sich gegen ein Unternehmen aus Recklinghausen, das die Sache anders bewertet: Eine Unterspritzung mit Hyaluronsäure sei kein operativ plastisch-chirurgischer Eingriff und falle deshalb auch nicht unter die Vorschrift. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht hat eine Revision zugelassen.

Auflösung von Hyaluron-Fillern: schmerzhaft und teuer

Wenn bei einem Hyaluron-Eingriff etwas schief geht, ist die letzte Hoffnung ein Gegenmittel namens Hyaluronidase. Aber auch hier sollte man nicht zu sorglos sein.

Hyaluron lässt sich zwar mit dem Enzym auflösen, aber die Behandlung ist unangehm. Der Arzt muss mit einer Nadel unter der Haut arbeiten und die Filler-Bläschen treffen.

Dermatologin Dr. Lela Ahlemann warnt: "Es gibt die Gefahr, dass das nicht gemacht werden kann, weil man eine Unverträglichkeit auf das Mittel zum Auflösen hat. Und es sind zusätzliche Kosten, die man vielleicht nicht einkalkuliert hat, als man sich den Filler gespritzt hat."

Das Auflösen kostet in der Regel mehrere hundert Euro.

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