Schonung des Gegenübers
Manieren moderieren den Umgang der Menschen untereinander. Sie sind Vorkehrungen der Zuvorkommenheit, die der Präsenz eines tatsächlichen oder gedachten Gegenübers Rechnung tragen. Die Diskretion, das Gegenüber zu schonen, ist ihr vornehmstes Ziel.
Zumutung und Entlastung
Es gibt nicht wenige Menschen, die in Regeln nur Zumutung sehen, ein Ärgernis, einen Zwang oder gar Grund zur Empörung. Typischerweise entsteht dieser Eindruck bei Jugendlichen, weil ihnen alle Üblichkeiten, alle Ordnung, von denen sie umgeben sind, als eine Zumutung erscheinen.
Aber Regeln versprechen auch einen seelischen Komfort: Man muss nicht ständig darüber nachdenken, was als Nächstes zu tun ist. Das ist die andere Seite der Medaille.
Oder einfacher ausgedrückt: "Jeder gibt dem anderen so viel Spielraum, als er selbst beansprucht." (Helmuth Plessner)
Bedrohung durch Autonomie
Manieren unterliegen einem Bedeutungswandel, und zwar durch neue Herausforderungen an die Selbstdarstellung durch die Person. Das Insistieren auf die Autonomie der eigenen Person schränkt den Respekt vor der Kunstform menschlicher Begegnung ein, ja, kann Menschen dazu verleiten, den direkten Weg zu wählen – und rücksichtslos zu handeln.
Fazit
Manieren helfen, alltägliche Begegnungen in Beruf, Arbeit, Freundschaft und Nachbarschaft zu gestalten. Dem Gegenüber wird Raum gewährt, man selbst genießt den Abstand von der Unmittelbarkeit und den Schutz der Diskretion.
Manieren, die oft belächelten Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, passen sehr wohl in die Gegenwart. Sie stehen den Menschen gut an als Kostüme der Demut.