Debattenbuch über toxische Männlichkeit

Sammelband „Oh Boy“ wegen sexualisierter Gewalt in der Kritik: Verlag stoppt Auslieferung

Stand
Autor/in
Julia Haungs

Der Kanon Verlag will sich im Sammelband „Oh Boy“ kritisch mit dem Thema „Männlichkeit“ auseinandersetzen. Er agiert derweil selbst toxisch, nachdem sich herausgestellt hat, dass ein Opfer eines sexuellen Übergriffs nicht wollte, dass in dem Buch ein Text über sie erscheint.

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Die Betroffene wollte nicht, dass Profit aus der Täterschaft gezogen wird

Vergangenen Monat ist das viel beachtete Buch über gegenwärtige Männlichkeit im Kanon Verlag erschienen. Einer der Texte in „Oh Boy“ stammt von Mitherausgeber Valentin Moritz.

Darin gesteht er in fiktionalisierter Form einen sexuellen Übergriff auf eine Frau. Mit seinem Text wollte Moritz nach eigener Aussage „Konsequenzen tragen und die Verantwortung übernehmen“.

Allerdings wollte die Betroffene des Übergriffs ausdrücklich nicht, dass Moritz die Begegnung literarisch verarbeitet und so aus ihrer Sicht auch noch Profit aus seiner Täterschaft zieht.

Auslieferungsstopp des Buches

Der Verlag wusste das. Dennoch ist „Oh Boy“ mit dem Text von Moritz erschienen. Kritik in den sozialen Medien wies der Verlag von sich.

Erst jetzt, nachdem das Literaturhaus Rostock eine für September geplante Lesung abgesagt hatte, sah sich der Verlag zum Auslieferungsstopp des Buchs und einer Entschuldigung genötigt.

In einem Statement heißt es: „Wir hätten den Wunsch der Betroffenen, jenen Vorfall in keiner Form aufzugreifen, auch nicht in einer fiktionalisierten, respektieren müssen.“

Keine Entschuldigung von Valentin Moritz

Die taz kommentiert:

„Auch Jahre nach dem Aufkommen von #MeToo und einer weitgehenden Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch, sexualisierter Gewalt und kritischer Männlichkeit scheint ein Mann, der sich über den Wunsch einer Betroffenen hinwegsetzt, noch immer der beste Kassenschlager zu sein.

Wäre dem Verlag und den Herausgebern wirklich etwas an Aufklärungsarbeit gelegen, hätten sie sich von Anfang an mit den Wünschen und Forderungen der Betroffenen auseinandersetzen müssen. Denn für eine gerechtere Gesellschaft sorgen wir erst, wenn wir ihnen zur Seite stehen und sie nicht mundtot machen.“

Der Tagesspiegel meint: „Ebenso sehr wie das Vorgehen des Verlags muss allerdings das Gebaren des Autors schockieren, der mit seiner Erzählung zum zweiten Mal die Grenzen der Betroffenen wissentlich überschritt – und das ausgerechnet unter der Prämisse, sich kritisch mit dem Begriff „Männlichkeit“ auseinanderzusetzen.

Dass Valentin Moritz die Tragweite seiner Übergriffe, des ersten wie des zweiten, im Zuge seiner literarischen Auseinandersetzung mit der Sache auch nur ansatzweise begriffen hat, ist leider bis heute nicht erkennbar. In seinem Statement entschuldigt er sich nicht für sein Handeln, sondern dafür, „dass sich diese Person von meiner Veröffentlichung derart getroffen fühlt“.

Auch bei der Frauen-WM kam es zu einem Übergriff

Wie normal sexuelle Übergriffe nach wie vor sind, konnte man gestern übrigens beim Finale der Fußball-WM der Frauen beobachten. Bei der Siegerehrung umarmte der spanische Verbandschef Luis Rubiales die Gewinnerinnen mit enorm viel Körperkontakt.

La Federación está denunciando el vídeo de Rubiales besando a la jugadora Jenni en la celebración. Pero la foto aquí está. VERGÜENZA. pic.twitter.com/DTCc16fJsH

Dann nahm er den Kopf der Stürmerin Jenni Hermoso in beide Hände und drückte ihr ungefragt einen Kuss auf den Mund. „Wieviel dürfen sich Männer eigentlich noch erlauben?“ fragt eine Nutzerin auf x, vormals Twitter, fassungslos.

„Das Besorgniserregende ist Rubiales nonchalante Art“, postet eine andere Nutzerin: „sich auf der größten Bühne des Sports, gleich neben der spanischen Königin und FIFA-Offiziellen so zu benehmen, das ist sehr verstörend.“

Und eine weitere ergänzt: „Wenn sich jemand vor laufender Kamera so was rausnimmt, möchte ich nicht wissen, was die Spielerinnen über sich ergehen lassen müssen, wenn niemand dabei ist.“ Und die überrumpelte Hermoso selbst? Sie kommentierte hinterher trocken: „Es hat mir nicht gefallen.“

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Julia Haungs