Die Wirkung von Medikamenten auf Frauen ist nur teilweise erforscht

Fehldiagnosen und mangelndes Praxiswissen

Warum in der Medizin noch immer zu wenig an Frauen geforscht wird

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AUTOR/IN
Franziska Grote
ONLINEFASSUNG
Martin Heuser

Herzinfarkte bei Frauen werden häufig nicht oder zu spät erkannt, weil Frauen andere Symptome als Männer haben. Und weil an Frauen weniger geforscht wird. Warum ist das so?

Frauen sind in der medizinischen Forschung unterrepräsentiert und das kann lebensgefährlich sein. Ein Beispiel dafür ist die heute 36 Jahre alte Manja Baumgärtner. Vor zwei Jahren erlitt sie auf einem Kindergeburtstag einen Herzinfarkt, der vom Notarzt zunächst als Panikattacke diagnostiziert wurde. Erst bei einer Herzkatheter-Untersuchung in der Unimedizin Mainz wurde die richtige Diagnose gestellt und Manja Baumgärtner bekam einen lebensrettenden Stent (Gefäßstütze) in die Herzarterie gesetzt.

Dass der Herzinfarkt nicht gleich festgestellt wurde, ist kein Zufall. Manja Baumgärtners Infarkt wurde durch eine sogenannte SCAD ausgelöst - einen Arterienriss am Herzen. Diese tritt vor allem bei jüngeren Frauen auf, ist aber noch nicht ausgiebig erforscht, wie Dr. Maike Knorr erläutert, die stellvertretende Leiterin des Herzkatheter-Labors der Uniklinik Mainz.

Allgemein treten Herzinfarkte öfter bei Männern auf, deshalb gibt es auch mehr Studien am männlichen Körper. Aber warum werden medizinische Studien oder Medikamententests vor allem an Männern durchgeführt?

Contergan-Skandal aus den 1960er-Jahren wirkt bis heute

Ein Grund dafür ist der wohl größte Medizin-Skandal der Nachkriegsgeschichte. Das Beruhigungsmittel Contergan war in den 1960er-Jahren fast nur an Nagetieren getestet worden, aber eben nicht an schwangeren Nagetieren. Dennoch wurde es schwangeren Frauen verschrieben. Die Folge: Weltweit wurden etwa 10.000 Kinder mit schweren körperlichen Missbildungen geboren.

Daraufhin wurde der Schutz der Fruchtbarkeit häufig als Grund genommen, Frauen aus Studien auszuschließen. Denn Frauen kommen mit einer bestimmten Menge an Eizellen auf die Welt und bilden im Laufe ihres Lebens keine neuen mehr. Falls ein zu testendes Medikament die Fruchtbarkeit beeinträchtigen sollte, kann das für Frauen langfristige Folgen haben.

Wenn wir es ganz genau nehmen, müssten wir die Forschung bei allen Medikamenten wiederholen oder getrennt nach dem Geschlecht eben auswerten.

Nur ein knappes Drittel der Studien und Tests an Frauen

Ute Seeland hat die einzige Professur für geschlechtersensible Medizin deutschlandweit an der Universität Magdeburg. Sie sagt, dass in den meisten Medikamentenforschungen noch immer 70 Prozent der Männer und nur 30 Prozent Frauen vertreten sind. "Wenn wir es ganz genau nehmen, müssten wir die Forschung bei allen Medikamenten wiederholen oder getrennt nach dem Geschlecht eben auswerten", so Seeland im SWR.

Dass dies völlig unrealistisch ist, weiß auch die Medizinerin Seeland. Sie fordert aber, dass die Forschung sich stärker auf Frauen und hier auf den sich verändernden Hormonhaushalt ausrichtet. Denn, der Hormonhaushalt von Frauen verändert sich deutlich stärker im Laufe ihres Lebens als der von Männern.

Herzinfarkt-Patientin Baumgärtner geht es inzwischen wieder gut. Einmal im Jahr muss sie zur Routineuntersuchung. Fälle wie ihrer zeigen aber, wie wichtig es ist, noch mehr auf geschlechterspezifische Unterschiede zu achten. Sowohl in der Forschung als auch in der medizinischen Praxis.

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