Landtagspräsident Hendrik Hering erinnerte daran, dass das NS-Regime nach Mai 1940 auch aus Luxemburg, Belgien und Frankreich Juden systematisch in Konzentrationslager deportieren ließ.
Außerdem schilderte er in seiner Begrüßungsrede, wie kurz vor der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau Tausende Gefangene durch die eisige Kälte in die Mitte des damaligen Reiches getrieben wurden. Viele Männer, Frauen und Kinder starben auf diesen Todesmärschen.
Hering: "Mär vom Nicht-Wissen" hält sich
Im Krieg hätten die Nazis breite Unterstützung aus der Bevölkerung erhalten. In späteren Jahrzehnten sei allerdings häufig der Satz gefallen: "Von all dem haben wir nichts gewusst." Bis heute halte sich die falsche Vorstellung, dass die deutsche Bevölkerung unwissend oder gar völlig unschuldig an den Verbrechen der Nationalsozialisten gewesen sei.
Deshalb sei das Gedenken so wichtig, und zwar "das genaue Hinsehen auf unser Umfeld und auf die Erinnerungsorte, die es bei uns gibt", so Hering. Politische Bildung sowie eine Kultur der Anteilnahme müssten gestärkt werden.
Wickert: "Zum Verständnis gehört mehr als Sprache"
Auch der Journalist und Autor Ulrich Wickert, der als profunder Kenner der französischen Erinnerungskultur gilt, hielt eine Ansprache. Wickert erzählte von seinen vielfältigen Erfahrungen und Begegnungen mit Französinnen und Franzosen seit seiner Kindheit. Als er mit seiner Familie als 13-Jähriger wenige Jahre nach Kriegsende erstmals nach Frankreich gezogen sei, seien Hakenkreuze an den Zaun des Hauses gepinselt worden. Später in der Schule - nachdem er bereits fließend Französisch gesprochen habe - habe er verstanden: "Zum wahren Verständnis gehört mehr als die Sprache."
Leidenschaftlich habe er sich später für die deutsch-französische Verständigung eingesetzt. Bei den Reisen von deutschen Studenten nach Frankreich sei noch nicht alles perfekt organisiert gewesen, erzählte Wickert. Aber: "Ich erinnere mich an fröhliche Feste und viel Rotwein in Toulouse."
Vielfach habe er als Tagesschau-Korrespondent über die Begegnungen von deutschen und französischen Politikerinnen und Politikern berichtet. So hätten etwa die Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) ein starkes Bekenntnis zu Frankreich gehabt. Gerhard Schröder (SPD) und Jacques Chirac hingegen hätten sich nicht gut verstanden.
Appell: Mehr Einsatz für deutsch-französische Freundschaft
Auch heute sei es nicht optimal um die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich bestellt: "In der deutschen Politik fehlt das emotionale Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft." In den Schulen auf beiden Seiten würde zu wenig die Kultur der jeweiligen Nachbarn unterrichtet. Dies alles halte er für gefährlich, so der langjährige ARD-Frankreich-Korrespondent.
"Verstehen bedeutet die Kenntnis der Identität des anderen. Dazu gehört, dass man die eigene Identität akzeptiert", sagte Wickert mit Blick auf die deutsche Vergangenheit. Abschließend appellierte der frühere "Tagesthemen"-Moderator an das Publikum: "Deshalb rufe ich Sie alle auf, sich mehr für Spracherziehung und die Zukunft von Europa einzusetzen. Erinnerung muss uns anregen, die Zukunft vertrauensvoll zu gestalten und Fehler zu verhindern."
Dreyer: Gedenkarbeit grenzüberschreitend ausbauen
Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) betonte die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen und kündigte an, sich auch weiterhin für eine starke Partnerschaft einzusetzen - "zum Wohle aller, die hier leben".
Zudem betonte Dreyer, es bleibe eine deutsche Verantwortung, "unermüdlich gegen das Vergessen anzugehen und die Erinnerungen an die Opfer des Nationalsozialismus zu bewahren". Die Gedenkarbeit bleibe "eine tragende Säule der politischen Arbeit" in Rheinland-Pfalz - und solle grenzüberschreitend ausgebaut werden.
Es dürfe außerdem niemandem gleichgültig sein, wenn Menschen im Netz oder auf der Straße bedroht würden, so Dreyer. "Die Anschläge von Halle und Hanau und viel zu viele Vorfälle im Alltag unseres Landes zeigen, dass Judenhass, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht überwunden sind", sagte die Ministerpräsidentin.
Gesprächsrunde mit Nachfahren von NS-Opfern
Nachfahren von NS-Opfern aus der Großregion Rheinland-Pfalz, Saarland, Frankreich, Belgien, Luxemburg kamen vor den gut 300 Gästen in der Kontantinbasilika ebenfalls zu Wort. So erzählte etwa Henri Juda aus Luxemburg: "Die Traumata meiner Mutter, die absolut Schreckliches in Auschwitz erlebt hat, waren natürlich prägend."
Auch in Rheinland-Pfalz hatten die Nationalsozialisten Konzentrationslager errichtet. Eines der sehr frühen Lager entstand direkt nach der Machtübernahme 1933 in Osthofen im heutigen Landkreis Alzey-Worms. Dort wurden vor allem politische Gegner gefangen gehalten.
Die Nationalsozialisten hätten ihre Gaskammern nicht direkt nach der Machtübernahme gebaut, erklärte Mitarbeiter Dominik Hook. Sondern diese seien das Ergebnis eines Prozesses gewesen. "Osthofen und die frühen Lager sind der erste Baustein in diesem Prozess. Und am Ende führte das zu Lagern wie Auschwitz", so Hook. Deshalb seien kleinere Gedenkstätten auch heute noch wichtig, weil sie die Radikalisierung der Nazis vor Augen führten.
Internationaler Gedenktag seit 2005
Der Holocaust-Gedenktag wird in Deutschland seit 1996 als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Die Vereinten Nationen führten ihn 2005 als internationalen Gedenktag ein. Soldaten der Roten Armee hatten am 27. Januar 1945 die überlebenden Gefangenen im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und den beiden anderen Lagern in Auschwitz befreit.